In seiner sehr besonderen Art und Weise sagte der spätere bayerische CSU Ministerpräsident Franz-Josef Strauß einst über den Spiegel:
„Sie sind die Gestapo im Deutschland unserer Tage. Sie führen tausende persönliche Akten. Wenn ich an die Nazi-Vergangenheit von Deutschland denke – fast jeder hat irgendetwas zu vertuschen, und das ermöglicht Erpressung… Ich war gezwungen, gegen sie zu handeln.“
Quelle:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46174133.html
Durch diese Äußerung schuf Franz-Josef Strauß, der wegen der sogenannten „Spiegel-Affäre“ zurücktreten musste, eine Korrelation des Spiegel zur NS-Vergangenheit. Dass der Spiegel tatsächlich in historischer Sicht eine Korrelation zu dieser Vergangenheit hat, konnte er damals aber kaum erahnen.
Der 8. Dezember 2000
Erstmalig am 8. Dezember 2000 beschäftigte sich die Neue Zürcher Zeitung mit NS Verbindungen Rudolf Augsteins (1923–2002), der 1947 Herausgeber und Chefredakteur des Spiegel wurde. Von der NZZ wurde heftig kritisiert, dass Augstein nicht würdig wäre, den Börne Preis als Verdienst für seinen Anteil am aufklärerischen Journalismus zu erhalten. Exemplarisch wurden dabei folgende Aspekte genannt:
- Augstein selbst habe einige ranghohe Nazis aus dem unmittelbaren Umfeld von Heydrich zum Ressortleiter bzw. stellvertretenden Chefredakteur aufsteigen lassen.
- Augstein habe dem Pressereferenten von Goebbels einen von ihm selbst unterschriebenen Presseausweis gegeben, was dieser letztlich zu seiner Flucht nach Südamerika nutzte.
- Augstein habe mit seiner Spiegel-Artikelserie zum Reichstagsbrand aufgrund der Marktmacht des Spiegel die historisch widerlegte „Story vom Alleintäter Lubbe“ in der Öffentlichkeit mit der Folge durchgesetzt, dass es keine Ermittlungen gegen einen für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerialdirektors gab.
Quelle:
https://web.archive.org/web/20070312035742/http:/www.netzeitung.de/deutschland/123255.html
Nun kann man argumentieren, dass auch die Kirchen ehemaligen Nazis zur Flucht verholfen hatten und dass zum Beispiel ranghohe Nazis später sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Deutschen Demokratischen Republik in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ihre Karriere fortsetzen konnten. Gleichwohl war aber der Spiegel das Pressemedium, welches sich gerne als Leuchtturm der Aufklärung über die NS Vergangenheit präsentierte.
Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle, welche Personen nach dem II. Weltkrieg mit NS Vergangenheit beim Spiegel waren bzw. mit welchen NS Größen Augstein nach dem II. Weltkrieg Kontakt hatte:
Horst Mahnke (1913–1985), Ressortleiter Ausland des Spiegel
1950 wurde Mahnke Redakteur im Spiegel und stieg 1952 zum Ressortleiter Ausland auf. Diesen Posten behielt er bis 1960 und wurde dann Chefredakteur der Springer-Zeitschrift Kristall. Darüber hinaus war er später noch Geschäftsführer im redaktionellen Beirat des Springer – Verlags und von 1969–1980 Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger.
1937 war trat er der NSDAP und der SS bei. Seit Mai 1939 arbeitete er unter Six im Reichssicherheitshauptamt im Amt VII „Weltanschauliche Forschung“. 1942 wurde Mahnke Hauptsturmführer im Vorkommando Moskau der Einsatzgruppe B, die an der Verfolgung von Kommunisten und Juden vor Moskau beteiligt war. Dieses Vorkommando Moskau beteiligte sich an den berüchtigten Erschießungen in Smolensk.
Nicht von ungefähr wurde Mahnke deshalb am 29. Januar 1946 verhaftet und war bis Mitte 1948 im britischen Internierungslager Bad Nenndorf. Eine Verurteilung zur Geldstrafe ob seiner NS-Vergehen erfolgte am 10. September 1948 und der Entnazifizierungsausschuss der Stadt Hannover untersagte Mahnke am 16. Juli 1949 Lehrer, Jugendpfleger, Journalist oder Redakteur zu werden. Unter mysteriösen Umständen wurden diese Beschränkungen im Berufungsausschuss am 31. März 1950 wieder aufgehoben. Mahnkes journalistische Karriere stand nichts mehr im Wege.
Dabei fällt des Weiteren folgendes auf: Die Tageszeitung ‚Die Welt’ hatte 1947 im Rahmen der Berichterstattung von den Nürnberger Nachfolge-Prozessen von den verbrecherischen Aktivitäten des SS-Hauptsturmführers Mahnke berichtet. Somit war 1947 bekannt, um wen es sich bei Mahnke handelt.
Augstein, welcher persönlich Mahnke einstellte, musste wissen, wer Mahnke war. Ob er jedoch wusste, dass Mahnke bis 1973 Informant für den Geheimdienst wurde, ist nicht bekannt.
Wie hiernach dann Geschichtsglättung betrieben wurde, lässt sich aus folgender Aussage von Franziska Augstein am 17. März 2013 in der von Maybritt Illner auf Nachfrage zu den von ihrem Vater eingestellten NS Größen Mahnke und Wolff ersehen: Die haben nur in der Bildredaktion gearbeitet.
Dies stimmte jedoch nicht.
Franz Six (1909–1975), Verleger des ersten Buches von Augstein
Der erste Verlag, in dem Augstein 1953 sein Werk „Deutschland – ein Rheinbund“ publizierte, war der C.W. Leske Verlag von Franz Six. Unter Vermittlung der ehemaligen NS-Größe Werner Best wurde Six Mitinhaber und Geschäftsführer des vorstehend genannten Verlages. Vergegenwärtigt man sich diesen Sachverhalt, so kann kaum daran gezweifelt werden, dass Six und Augstein sich gekannt haben mussten. Wer aber war Franz Six?
Six wurde 1935 Chef des Presseamtes im Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) in Berlin, 1937 de facto Inlands Chef des SD und ab 1939 Amtschef im Reichssicherheitshauptamtes (RSHA). Es war somit einer der sieben ranghöchsten Führer im gesamten SD-Hauptamt. Am 22. Juni 1941 übertrug Himmler ihm die Leitung des Vorkommandos Moskau der Einsatzgruppe B im Russlandfeldzug. Gemäß der Recherche von Lutz Hachmeister belegt die Ereignismeldung Nr. 73 des 4. Sepember 1941, dass das Vorkommando Moskau in der Zeit vom 22. Juni bis 20. August 48 Personen tötete. Auch war Six Chef von Adolf Eichmann.
1948 wurde Six von SS Untersturmführer Hirschfeld an das amerikanische Counter Intelligence Corps verraten und wurde im Jahr 1948 im Nürnberger Einsatzgruppenprozess zu 20 Jahren Haft verurteilt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Spiegel Artikel aus dem Jahr 1949 mit dem Titel „Merkt euch den Namen Hirschfeld“, der sich mit dem ehemaligen SS-Mann Hirschfeld befasste. Ohne Begründung wurde Six im Oktober 1952 vom US-Hochkommissar für Deutschland, John Jay McCloy begnadigt. Ob dies damit zu tun hat, dass Six wie viele seiner Kollegen aus dem SD und dem RSHA Mitarbeiter der Organisation Gehlen, d.h. dem Vorläufer unseres bundesdeutschen Geheimdienstes, wurden ist natürlich nicht bekannt.
Georg Wolff (1914–1996), stellvertretender Chefredakteur des Spiegel
Zusammen mit dem vorbezeichneten Horst Mahnke schrieb Georg Wolff 1950 die Serie „Am Caffeehandel beteiligt“. In dieser Serie machten Mahnke und Wolff so genannte jüdische „Displaced Persons“ für den Kaffeeschmuggel in der Nachkriegszeit verantwortlich. Ab März 1952 wurde Wolff dann im Spiegel Ressortleiter für den Bereich Internationales und war von 1959 bis 1961 stellvertretender Chefredakteur des Spiegel. 1966 wurde für Wolff beim Spiegel das Ressort „Geisteswissenschaften“ geschaffen, welches er bis 1978 leitete. Zweifelsfrei muss auch Wolff zum Nachkriegsführungskreis des Spiegel gezählt werden.
Welche Geisteshaltung Wolff hatte, lässt sich aus der nachfolgenden Äußerung Wolffs aus dem Jahr 1953 ersehen, getätigt in den Besinnungsaufsätzen der Zeitschrift für Geopolitik des Leske Verlages: „Der Neger ist intelligent, anstellig und lernbegierig, aber er ist ‘faul‘. Er hat keine Moral und keinen Arbeitsethos“.
Quelle:
Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS. Propyläen, Berlin 2014, ISBN 978-3-549-07447-3 (Kapitel: Georg Wolff. Vom SD-Offizier zum „Geisteswissenschaftler“ des Spiegel, Seite 164)
Betrachten wir uns aber die Vergangenheit Wolffs vor 1945:
Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933 trat Wolff der SA bei. Nach freiwilligem Arbeitsdienst und zweijährigem Wehrdienst studierte Wolff bei Franz Six. Obgleich Wolff sowohl sein Studium der Volkswirtschaftslehre als auch sein Studium der Zeitwissenschaften abbrechen musste (und somit ohne Abschluss war), verhalf ihm sein Freund Six zu einem Job als hauptamtlicher Referent beim SD-Leitabschnitt Königsberg. Sein damaliger Vorgesetzter Gritschke bescheinigte ihm 1940 ausgezeichnete Leistungen und dass er in jeder Hinsicht ein Nationalsozialist sei. Bei der SS stieg Georg Wolff bis zum Hauptsturmführer auf. 1944 geriet Wolff in norwegische Kriegsgefangenschaft.
Fazit in Sachen Georg Wolff:
Mit Georg Wolff wurde ein SS Hauptsturmführer [vergleichbar mit dem Rang eines Hauptmannes im Herr], der über keinerlei Studien- oder Berufsabschluss verfügte und dessen NS-Vergangenheit bekannt gewesen sein musste, 1959 stellvertretender Chefredakteur beim Spiegel.
Wilfried von Oven (1912–2008), Auslandskorrespondent des Spiegel
Winfried Oven trat am 1. Mai 1931, d. h. vor der Machtergreifung der Nazis, der NSDAP sowie der SA bei. 1936 besuchte er die Reichspresseschule, nahm als Mitglied der Legion Condor am spanischen Bürgerkrieg teil und wurde dann 1939 Mitglied der Propagandakompanie beim Überfall der Nazis aus Polen. 1943 wurde Oven zum Pressereferent von Joseph Göbbels im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Hierbei hatte er den Rang eines Oberleutnants. Historische „Berühmtheit“ erlangte Oven durch seine zentrale Rolle bei der Niederschlagung des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944. Oven gelang es nach dem Attentat, eine telefonische Verbindung zwischen Hitler und Göbbels herzustellen, so dass Göbbels hiernach den Befehlshaber der Berliner Wachtruppen Major Renner davon überzeugen konnte, dass Hitler noch lebte und dass umgehend die Anführer des Putsches vom 20. Juli 1944 zu verhaften seien. Ohne diese Handlung Ovens hätte eine große Chance bestanden, dass das Attentat vom 20. Juli 1944 doch noch zum Staatsstreich gegen Hitler gereicht hätte. Dieser Umstand machte Oven zu einer mehr als bekannten Persönlichkeit.
1951 setzte sich Oven mit einem von Rudolf Augstein unterschriebenen Presseausweis nach Argentinien ab, um in Argentinien sowohl für Augsteins Spiegel als auch für die Frankfurter Allgemeine Zeitung als Auslandskorrespondent zu arbeiten. Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, worin der grundlegende Unterschied liegt, wenn ein Bischof der katholischen Kirche einem ranghohen Nazi zur Flucht nach Südamerika verhilft bzw. wenn der Herausgeber des Spiegel einem ranghohen Nazi die Flucht nach Südamerika erlaubt. Nun kann man natürlich argumentieren, dass Oven in Deutschland nie angeklagt wurde. Dies mag jedoch auch daran gelegen haben, dass von Oven ab 1950 für die Organisation Gehlen als Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND) und nach offizieller Gründung des BND bis 1966 als Informant für den BND gearbeitet hatte.
Quelle:
http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/bnd-gibt-journalisten-als-informanten-preis-a-903205.html
Nun kann man argumentieren, dass dies ja Vergangenheit sei…..
SPIEGEL ONLINE Kolumne vom 17. September 2012:
Lassen Sie mich aus einer Kolumne von Jakob Augstein in Spiegel Online vom 17.09.2012 mit dem Titel „S.P.O.N. – Im Zweifel links: Wem nützt die Gewalt?“ zitieren:
„Das Feuer brennt in Libyen, im Sudan, im Jemen, in Ländern, die zu den ärmsten der Welt gehören. Aber die Brandstifter sitzen anderswo. Die zornigen jungen Männer, die amerikanische -und neuerdings auch deutsche- Flaggen verbrennen, sind ebenso Opfer wie die Toten von Bengasi und Sanaa. Wem nützt diese Gewalt? Immer nur den Wahnsinnigen und den Skrupellosen. Und dieses Mal auch -wie nebenbei- den US-Republikanern und der israelischen Regierung.“
Quelle:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/mohammed-film-wem-nuetzt-die-welle-der-wut-in-der-islamischen-welt-a-856233.html
Das Simon Wiesenthal Center setzte Augsteins Aussagen 2012 auf Platz 9 seiner „Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs“. Der Vorsitzende der in den USA ansässigen Anti-Defamation-League (ADL) Ken Jacobsen erklärte zum Kolumne Augsteins in Spiegel Online: „Augsteins Kommentar über die jüdische Kontrolle der US-Außenpolitik überschreitet die Grenze zu antisemitischen Verschwörungstheorien.“ Zugleich gab Jacobsen zu bedenken, dass „Kritik an Israel nicht immer gleich Antisemitismus ist“. Der Generalsekretär der Evangelischen Akademien in Deutschland und Antisemitismusforscher Klaus Holz hielt hingegen in einem Gespräch mit dem Deutschlandradio vom 3.1.2013 die Wahl von Jakob Augstein in die Top Ten der weltweit schlimmsten Antisemiten für gefährlich und schädlich.
Sicherlich fragt sich der eine oder andere nun:
Was haben diese Äußerungen von Jakob Augstein denn mit der Vergangenheit des Spiegel zu tun. Ganz einfach:
Es gibt etwas, dass sich historische Verantwortung nennt und dem nicht nur Staaten und Völker, sondern auch verantwortungsvoller Journalismus unterliegt.
Autor: Stefan Loubichi. Wirtschaftswissenschaftler des Jahrganges 1966, der sich seit vielen Jahren auf wissenschaftlicher Basis mit dem Thema beschäftigt und durch sein Engagement verhindern möchte, dass durch Vergessen jemals wieder vergleichbare Gräueltaten wie die der Nazis im III. Reich entstehen könnten – Zukunft braucht Erinnerung.
Literatur
- Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes. 2. Aufl., Hamburg 2008, ISBN 978-3-930908-87-5, S. 549.
- Lutz Hachmeister: Ein deutsches Nachrichtenmagazin. Der frühe „Spiegel“ und sein NS-Personal. In ders. mit Friedemann Siering (Hrsg.): Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945. Beck, München 2002ISBN 3-406-47597-3 S. 87 – 120
- Lutz Hachmeister: Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS. Propyläen, Berlin 2014, ISBN 978-3-549-07447-3 (Kapitel: Georg Wolff. Vom SD-Offizier zum „Geisteswissenschaftler“ des Spiegel, S. 145–171)
- Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt 2003, ISBN 3-10-039309-0
- Lutz Hachmeister: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six. Beck, München 1998, S. 236 ff., ISBN 3-406-43507-6.
- Heiko Buschke: Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer, Campus Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-593-37344-0
Weblinks
- http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/bnd-gibt-journalisten-als-informanten-preis-a-903205.html
- http://www.katholisches.info/2015/11/13/der-spiegel-vertuscht-seine-verstrickung-mit-ns-und-ss-fuehrern-vorspiegeleien-1/
- http://www.sueddeutsche.de/kultur/zum-tod-von-thomas-harlan-was-niemand-wissen-wollte-1.1013032
- http://www.berliner-zeitung.de/archiv/ein-buch-beleuchtet–wie-eng-das-magazin-der-spiegel-in-seinen-anfangsjahren-mit-ns-taetern-kooperierte-braune-vergangenheit,10810590,10782036.html
- http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/bnd-gibt-journalisten-als-informanten-preis-a-903205.html
- http://www.spiegel.de/politik/ausland/mohammed-film-wem-nuetzt-die-welle-der-wut-in-der-islamischen-welt-a-856233.html
- http://www.deutschlandradiokultur.de/klaus-holz-antisemitismus-vorwurf-wird-zur-pauschalen-keule.1013.de.html?dram:article_id=232963