Rezension über: |
---|
Dietrich Kuhlbrodt: Deutsches Filmwunder. Nazis immer besser. Konkret Literatur, Hamburg 2006, 200 Seiten, ISBN 3-89458-245-6, EUR 15,00. |
Im April 1945 richtete Reichspropagandaminister Joseph Goebbels einen letzten Appell an seine Mitarbeiter: „Meine Herren, in hundert Jahren wird man einen schönen Farbfilm über die schrecklichen Tage zeigen, die wir durchleben. Möchten Sie nicht in diesem Film eine Rolle spielen? Halten Sie jetzt durch, damit die Zuschauer nicht johlen und pfeifen, wenn Sie auf der Leinwand erscheinen.“
Hundert Jahre hat es nicht gedauert: Der Farbfilm heißt „Der Untergang“, wurde von Bernd Eichinger produziert und kam 2004 in die Kinos. Ob er Goebbels gefallen hätte, lässt sich natürlich nicht sagen – wohl aber etwas anderes: Hitler und die Nazis sind endgültig Stars von Film und Fernsehen geworden. Sie garantieren im Fernsehen hohe Einschaltquoten und locken Millionen Menschen ins Kino.
Ganz neu ist das freilich nicht. Hitler und die NS-Zeit spielten im Film der Bundesrepublik von Anfang an eine Rolle. Grund genug, dieser Filmgeschichte einmal nachzuspüren. Der Filmkritiker Dietrich Kuhlbrodt zeichnet die Entwicklung des „Hitler-Films“ in der Bundesrepublik in einem äußerst spannenden und gut lesbaren Buch nach.
Dabei zeigt sich: Jede Generation schafft sich ihren eigenen Hitler und ihre eigenen Nazis. Anstelle politischer Aufarbeitung der Hitler-Diktatur spiegelt sich in den Filmen oft nur der jeweilige Zeitgeist.
So zeigt Kuhlbrodt auf, dass unmittelbar nach Kriegsende das gesellschaftliche Verdrängen der NS-Diktatur so weit ging, dass die Nazis selbst aus ausländischen Filmen regelrecht entfernt wurden. Aus dem Hitchcock-Film „Notorious“, in dem es um Nazispionage und Uranschmuggel für die Nazis geht, wurde in der deutschen Synchronfassung ein harmloser Kriminalfilm um Drogenhandel. Erst 1969 konnte die unverfälschte Fassung in die Kinos kommen. Auch aus dem berühmten Film „Casablanca“ mit Humphrey Bogart wurden alle Bezüge zum Dritten Reich getilgt.
In den 1950er-Jahren waren dagegen die Nazis durchaus präsent, vor allem in dem nun wiederum beliebten Genre des Kriegsfilms, der jetzt immerhin wieder 10% der Filmproduktion ausmachte. In Kriegsfilmen wie Frank Wysbars „Haie und kleine Fische“, dienten die Nazifiguren vor allem als Kontrast zu einer vermeintlich unpolitischen und antinazistischen Wehrmacht.
Seit den 1990er-Jahren ist die NS-Zeit weitgehend entpolitisiert. Spielfilme wie „Napola“ oder eben „Der Untergang“ zeigen Hitler und die NS-Führer vor allem als Menschen und versuchen bestenfalls ihre Verbrechen psychologisch zu erklären. Nicht das Interesse an Politik, sondern das gruselige Wohlgefühl, den größten Verbrecher aller Zeiten einmal ganz aus der Nähe zu sehen, lockt die Menschen ins Kino – Hitler als Vehikel spannender Unterhaltung.
Kuhlbrodt geht mit dieser Entwicklung scharf ins Gericht. Es sind wenig Filme und Filmansätze, die vor seiner Analyse bestehen können – und es sind Filme, die kaum eine breite Öffentlichkeit erreicht haben. So etwa Hans Jürgen Syberbergs „Hitler, ein Film aus Deutschland“ aus dem Jahr 1977 – ein immerhin 7-Stundenwerk. Hitler wird hier, so Kuhlbrodt, in den „Kontext abendländischer Kultur“ gestellt.
Dietrich Kuhlbrodt ist Kenner der Materie. Seit vielen Jahren schreibt er in Konkret, taz und Schnitt präzise Filmkritiken. Davor war er 20 Jahre lang als Staatsanwalt tätig und verfolgte Naziverbrecher. Und er ist selbst noch Zeitzeuge, der die NS-Diktatur erlebt hat.
Kuhlbrodt bietet einen überaus instruktiven Überblick über sechs Jahrzehnte des Hitlerfilms. Mit einer Einschränkung freilich, unter der aber viele filmgeschichtliche Bücher derzeit leiden: Die Aufarbeitung der NS-Zeit im Film der DDR wird nur punktuell angesprochen.
Autor (Rezensent): Dr. Bernd Kleinhans M.A.