NS-Regisseur Veit Harlan – vor 50 Jahren in Hamburg vor Gericht und freigesprochen
„Jud Süss“ war der berüchtigtste Spielfilm im Nationalsozialismus. Er bot alles, was die NS-Propaganda brauchte: ausgefeilte Technik, eine melodramatische Liebesgeschichte und antisemitische Feindbilder. Regie führte die Symbolfigur des Unterhaltungskinos unterm Hakenkreuz, der Schauspieler und Goebbels-Liebling Veit Harlan. Harlan, 1899 in Berlin geboren, setzte sich nach Kriegsende in Richtung Hamburg ab. Er erhielt eine sogenannte Unbedenklichkeitserklärung, wurde als „politisch unbelastet“ eingestuft. Dieser Skandal blieb nicht verborgen. Am 3. März 1949 eröffnete das Hamburger Landgericht den Prozeß gegen ihn. Es ging um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Harlan wurde beschuldigt, durch seinen Hetzfilm „Jud Süss“ als psychologischer Wegbereiter des Holocaust gewirkt zu haben. Den Einsatzkommandos in Osteuropa wurde vor ihren Erschießungsaktionen der Kinostreifen ebenso vorgeführt wie den Wachmannschaften der SS in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. „Offensichtlich an dem Verhalten des Publikums“, sagt Ralph Giordano, damals Prozeßbeobachter und Berichterstatter für die „Jüdische Allgemeine Zeitung“, „war die totale innere Beziehungslosigkeit zur Welt der Nazi-Opfer. Der Konnex zwischen ,Jud Süss‘ und dem Holocaust ist überhaupt nicht gezogen worden.“ Harlan gelang es, sich als unpolitischen Künstler darzustellen. Für große Teile der Bevölkerung wurde er zur Symbolfigur. Zeugen, die gegen Harlan aussagten, wurden als „Judensau“ und „Kommunistenschwein“ beleidigt. Harlan selbst behauptete, er sei von Goebbels zur Regiearbeit für „Jud Süss“ quasi zwangsverpflichtet worden. Filmschaffende wie Harlan waren keineswegs nur wehrlose Opfer. Regisseur, Schauspieler oder Drehbuchautor unterm Hakenkreuz zu sein, erforderte eine spezifische Mentalität: eine Mischung aus partieller Anpassung, äußerer Unterwerfung und innerer Emigration. Vor Gericht betonte Veit Harlan, nur untergeordnet tätig gewesen zu sein. Er hielt sich im Sinne der Anklage, die ihm die Gesamtverantwortung unterstellt, für nicht schuldig. Nach 52 Tagen und zahllosen Zeugenvernehmungen wurde am 23. April 1949 das Urteil gesprochen. Den Belastungszeugen wurde das Belastende abgesprochen. Im Falle des Kronzeugen Norbert Wollheim etwa, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde der britischen Zone, hieß es: „Die Angst der Juden vor dem Film ist lediglich auf die aufreizende Reklame zurückzuführen, nicht aber auf den Film selbst, dessen so milde Form die Juden als eine Erleichterung empfunden haben“, so der Vorsitzende Richter Walter Tyrolf in seiner Begründung für Harlans Freispruch.
Wie aber hätte das Gericht entscheiden sollen, ob Harlan freiwillig oder widerwillig handelte? Alle Prozeßbeteiligten sahen sich mit einem neuen Täterkreis konfrontiert: den Künstlern und Intellektuellen der NS-Diktatur. Harlan war keineswegs der dämonische Verbrecher, für den ihn Teile der Öffentlichkeit hielten. Und er war nie Mitglied der NSDAP, obwohl er sich zum Nationalsozialismus bekannt hatte. „Nach dem damaligen Kontrollratsgesetz hätte man Harlan verurteilen müssen“, sagt der Hamburger Filmkritiker und Staatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt, „wobei eine ganz große Ungerechtigkeit darin besteht, daß man ihn sich alleine rausgesucht hat. Der Prozeß war – rückblickend gesehen – eine Alibiveranstaltung. Man hat alles auf ihn geschoben.“ Harlan blieb der einzige Künstler aus der NS-Zeit, der sich juristisch zu verantworten hatte. Sein Freispruch wurde ein Jahr später im Revisionsprozeß sogar mit dem Zusatz bestätigt, Harlan habe die Arbeit an „Jud Süss“ aus einem Befehlsnotstand heraus begonnen. Verantwortlich für dieses exemplarische Urteil: Richter Walter Tyrolf. Der wiederum war während der NS-Zeit Staatsanwalt am Sondergericht Hamburg und hatte in mehreren Bagatellfällen wie leichtem Diebstahl und „Rassenschande“ für die Todesstrafe plädiert, die auch vollstreckt wurde. Trotzdem erhielt auch Tyrolf nach dem Krieg eine Unbedenklichkeitserklärung. Er wurde unter anderem Vorsitzender Richter im Hamburger Euthanasieprozeß, der fast zeitgleich zum Harlan-Verfahren lief. Wieder ging es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wieder sprach Tyrolf die wegen Totschlags angeklagten Ärzte frei. Ende der 50er Jahre wurde gegen Tyrolf wegen seiner Tätigkeit am Sondergericht ermittelt. Doch das Verfahren wurde eingestellt – mangels Tatverdacht, wie es offiziell hieß. Auch das ist exemplarisch: Nach 1945 wurde kein einziger NS-Jurist wegen seiner Vergangenheit in der Bundesrepublik verurteilt.
Autor: Michael Marek. Artikel aus dem Hamburger Abendblatt, 26.4.1999, mit freundlicher Genehmigung des Autors
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Noack, Frank: Veit Harlan. Des Teufels Regisseur, München 1998.
Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt/Main 2003.