(dt. Reich 1939)
UA: Biennale Venedig August 1939 / Deutsche EA: 26. September 1939
Bis heute werden Filme der NS-Zeit auf ihren propagandistischen Hintergrund hin untersucht. Dieser Prozess begann bereits unmittelbar nach Kriegsende, denn auch im zerstörten Deutschland wollten die Menschen Kinofilme sehen. Einige Filme wurden von der Alliierten Kontrollkommission verboten und sind bis heute nur in Ausnahmefällen und unter Auflagen zu sehen (z.B. der ebenfalls auf diesen Seiten vorgestellte Hetzfilm „Der ewige Jude“). Bei anderen Filmen wurden nur einige Sequenzen herausgekürzt. Nach solchen Abänderungen erschienen diese Filme den Alliierten als „propagandafrei“ und damit entschärft. Einer dieser Filme ist „Robert Koch, der Bekämpfer des Todes“.
Handlung im Zeitraffer
Robert Koch arbeitet in Wollstein (heute Wolsztyn in Polen) als Landarzt. Dort fallen viele Menschen der Tuberkulose zum Opfer, ohne dass jemand weiß, wie diese Krankheit entsteht und wie man gegen sie vorgehen kann. Um dies herauszufinden geht Robert Koch in seinem Studierzimmer mit dem Mikroskop auf „Mikrobenjagd“. Doch seine revolutionären Ergebnisse stoßen auf Widerstand, zuerst bei den Dorfbewohnern, nach seiner Versetzung nach Berlin auch beim „Medizinpapst“ Virchow. Doch schließlich überwindet Koch alle Widerstände, etabliert seine Theorie vom „Erreger, der von außen in die Zellen eindringt und das Gewebe zerstört“ und erhält dafür den Nobelpreis der Medizin.
Der Film wird nach drei Orten gegliedert. Der erste in Wollstein, der zweite in Berlin, der dritte in Stockholm. Für Robert Koch werden an den ersten beiden Orten Gegner konstruiert, in Wollstein der Schullehrer und die christliche Sekte der Gesundbeter, in Berlin die Bürokratie und, als besonders starker Gegner, Rudolf Virchow. Robert Koch überwindet sie mit Hilfe von Helferfiguren und hält im letzten Teil seine Dankesrede bei der Verleihung des Nobelpreises. Dieser Teil wurde zensiert.
Historische Wirklichkeit
Die dargestellte Thematik ist hochkomplex und bildet bis heute die Grundlagen der Medizin. Seit dem Altertum glaubten die Ärzte, dass Krankheiten aus einer ungünstigen Mischung von vier so genannten Kardinalsäften entstehen. Diese Sicht ist lediglich philosophisch begründet. Erst Rudolf Virchow beobachtete 1858, dass das menschliche Gewebe und damit die Zellen, aus denen es aufgebaut ist, bei einer Krankheit beschädigt sind. Für Virchow ist damit die geschädigte Zelle Ursache der Krankheit.
Robert Koch konnte 1876 zeigen, dass Mikroorganismen die Erreger des Milzbrandes sind, indem er sie isolierte, anzüchtete und seine Versuchstiere damit infizierte.
Somit gab es zwei Revolutionen in der Medizin innerhalb von zwei Jahrzehnten. Virchow stand Kochs Theorie von Erregern, die Krankheiten verursachen, anfänglich ablehnend gegenüber, schien sie doch seiner eigenen zu widersprechen.
Darstellung und Wirkung im Film
Zur Premiere des Films 1939 wurde ein Presseheft herausgegeben, in dem es heißt:
„Weiterhin kam es uns darauf an, wissenschaftliche Probleme zum ersten Mal in allgemeinverständlicher, ja volkstümlicher Form zu schildern.“
Unter diesem Vorwand wurde eine starke Selektion des Stoffes vorgenommen. Aus dem Milzbranderreger in Wollstein wurde der Tuberkuloseerreger, den Koch erst sechs Jahre später in Berlin nachwies. Warum wird überhaupt der Tuberkuloseerreger verwendet? Tuberkulose stellte noch vor ca. 60 Jahren eine große Gefahr für die Bevölkerung dar. 1941 starben im Großdeutschen Reich 80.000 Menschen an Tuberkulose, 1,6 Millionen Tuberkulosekranke waren registriert.
Aus gegenseitigen Auffassungen über die Entstehung der Tuberkulose wird im Film der Kampf zweier Weltanschauungen:
Virchow:verknöchert, kleinlich, „Demokrat“, senil | Koch:revolutionär, opferbereit, glaubt an seine Sendung und die Vorsehung |
Diese Aufzählung von Gegensätzen lässt sich fast beliebig fortsetzen.
Auch die Schauspieler stellen rein äußerlich Kontraste dar: Werner Krauß als Rudolf Virchow von kleiner Gestalt, mit dünner zittriger Stimme. Die Kamera nimmt ihn nur von oben auf, so dass er noch kleiner wirkt, mit eisgrauem spärlichen Bart; Robert Koch (Emil Jannings) mit mächtigem Bart, groß, stämmig, im dominierenden Bildvordergrund. Die Assoziation ist klar: das revolutionäre Neue setzt sich gegen altes, reaktionäres Gedankengut durch (die Weimarer Republik wurde von den Nationalsozialisten gerne mit Begriffen wie „reaktionäre Systemzeit“ belegt. Damit sind demokratische Tugenden im Nationalsozialismus Untugenden und werden als solche dargestellt.).
Durch Szenenanalysen werden diese Gegensätze untermauert; nur einige Beispiele:
- Virchow wird mit Schädeln und schadhaften Organen dargestellt, Koch mit „modernen Geräten“ wie Mikroskop und Versuchstieren
- Virchow unterliegt als Demokrat in einem Rededuell Bismarck, eine Szene, die die Handlung nicht weiterbringt, die aber an der von den NS-Filmen gerne verwendeten Überfigur des „eisernen Kanzlers“ zeigt, dass Virchow auch außerhalb der Medizin irren kann.
Für den Betrachter ergibt sich, ohne dass er näher auf Argumentation, Haltung oder Verhalten der Kontrahenten zu achten braucht, dass Robert Koch eine positive Vorbildfigur ist.
Das Ende bietet eine modellhafte Lösung: Virchow erkennt die Theorie Kochs an. Damit ist im übergeordneten Sinn die Reaktion überwunden und in die revolutionäre Bewegung aufgenommen, die als einzige bestehen bleibt und im Filmverlauf keine Entwicklung durchgemacht hat.
Für den Menschen im nationalsozialistischen Staat ergibt sich eine weitere Assoziation: Koch erscheint als Führerfigur. Sein Wissen muss er nur noch den anderen beweisen, damit sie ihm glauben wobei die eingeführten Helferfiguren Koch auch ohne Beweise folgen.
Er selbst hat sich dieses Wissen nicht erarbeitet, sondern hat es intuitiv und ist damit ein Genie.
Schließlich erkennen auch die Gegnerfiguren Kochs Theorie an – Virchow kann mit Hilfe von Beweisen überzeugt werden. Die endgültige Bestätigung für seine Erkenntnisse, die auch von der Allgemeinheit akzeptiert werden kann, ist die Verleihung des Nobelpreises.
Die Patienten, die „alle der Reihe nach“ behandelt werden und nicht nach Ständen und Schichten getrennt, stellen ein Abbild der Volksgemeinschaft dar. Für das Wohl dieser Gemeinschaft sorgt Robert Koch (Der reale Koch behandelte, nachdem er zum Direktor des Instituts für Hygiene in Berlin ernannt worden war, nie mehr einen Patienten).
Die Sprache wird so gehalten, dass Feindbilder beliebig austauschbar sind. So favorisierten die Nationalsozialisten nicht näher definierte Begriffe, die in möglichst vielen Kombinationen angewandt werden konnten. Der Zuhörer, Zuschauer oder Leser soll eine Assoziation selbst erbringen. Im ganzen Film wird z.B. – obwohl vor Beginn des 2. Weltkriegs gedreht – Kriegsterminologie verwendet. Der „Erreger“ ist für Koch der „Gegner“, er muss „aufgespürt“ und „ausgerottet“ werden. Ungläubige sind „Provinzler“ oder „Kanaken“. Außerdem benutzt Koch in zwischenmenschlichen Gesprächen medizinische Begriffe wie „Parasiten“. Durch dieses ständige Vertauschen von Sprachebenen wird eine Sprache und Gestik mit vier Charakteristika transportiert:
- Der Feindbegriff ist variabel. Es handelt sich um unbestimmte Gegner. Ob das nur beschränkt auf den Erreger gemünzt ist oder auch auf andere Personen und Personengruppen, wird nicht gesagt.
- Die verwendeten Begriffe stellen eine Vermischung aus technischem und lebendig-menschlichem Vokabular dar. Die technischen Begriffe wirken kalt, werden aber so mit dem organisch-menschlichen verbunden.
- Die Filmsprache verfügt über keine wirklich warmen Worte. Zuneigung wird allenfalls durch Gesten erkennbar. Wenn Koch seine Frau als „Mama“ anspricht, so wirkt das menschlich; aber diese Menschlichkeit wird kolportiert, indem er vorher sagt: „Dafür opfere ich…auch euch“.
- Spricht er von seiner Vision, dann geschieht das mit weit geöffnetem Blick in einen imaginären Raum, Großaufnahme des Gesichts, Beleuchtung des Gesichts, so dass immer nur Emotionen beim Zuschauer hervorgerufen werden, aber niemals eigenes Nachdenken und Reflektieren.
Die Selektion aus historischen Tatsachen und ihre Kombination mit frei erfundenen Situationen vermittelt dem Zuschauer dabei das Bild einer historisch authentischen Situation. Die Authentizität wird durch die historische Kulisse an Originalschauplätzen unterstützt.
Zusammenfassung
Alles wiederholt sich, übermächtige Gegner stehen gegen das revolutionär Neue, sei es die Weimarer Republik, die vom Nationalsozialismus abgelöst wird, sei es als Vorgriff auf den kommenden Krieg.
Der Zuschauer findet im Film in der Gestalt Robert Kochs eine verkleinerte Führerfigur als Abbild der Realität im NS-Staat. Per Definition ist der Führer der personifizierte Volkswille. Deshalb müssen Kochs Handlungen von Erfolg gekrönt sein, um mit dem NS-Weltbild konform sein zu können. Ein tragischer Held ist in dieser Weltanschauung nicht vorstellbar. Aus demselben Grund kann die Figur des Virchow kein Held sein – sie verliert im Verlauf der Handlung ihre Unterstützer (Gegnerfiguren Kochs), steht also isoliert da und kann ihrem Untergang im Sinne des klassischen Dramas nur durch Anpassung entgehen.
Die oben erwähnten vier Charakteristika von Sprache und Gestik zeigen ihre Ausrichtung auf propagandistische Effekte. Sprache dient in diesem Zusammenhang nicht mehr als Anregung zum weiteren Reflektieren. Der Sprecher verfügt vielmehr über alle Argumente, und sein Ziel ist lediglich, diese im Zuschauer zu verankern.
Heute fällt uns vor allem der teils menschenverachtende Ton auf. In diesem Zusammenhang sprach bereits Victor Klemperer von einer grundsätzlichen Armut der NS-Sprache.
Eine Partei legt ihre Überzeugungen in einem Parteiprogramm dar. In der NSDAP jedoch war nicht das Parteiprogramm maßgebend, sondern der Wille des Führers. Deshalb forderte Hitler von seinen Anhängern den Glauben an ihn, der nicht in Frage gestellt werden durfte.
Diese Verwendung des Begriffs „Glaube“ spiegelt sich metaphorisch bei Robert Koch wieder. Einige Helferfiguren schwanken zwar in ihrem Glauben, bekennen sich aber am Ende immer zu Robert Koch. Andere Helferfiguren opfern sich auf bis zu ihrem Tod. Damit ist eine Kombination aus Glaube, Opfer und Vorsehung erreicht.
Der Film gehört einer eigenen Kategorie der Propagandafilme an, die sich am treffendsten mit dem Begriff „Scharfmacherfilm“ charakterisieren lässt. In einem von ständigen Brandreden und menschenverachtenden Aktionen aufgepeitschten Land soll dieser Film eine „revolutionäre“ Stimmung aufrechterhalten, die jeweils im Interesse der Machthaber genutzt werden kann. Unwillkürlich dringen bei täglicher Wiederholung von Worten wie „Parasiten“, „Schädlinge“, „ausbrennen“ in der Zeitung, im Radio, in den Kinos und vielleicht sogar im Gespräch diese ins Gedächtnis und, noch viel gravierender, da im Zusammenhang mit Emotionen benutzt, ins Unterbewusstsein, wo sie sich festsetzen und abrufbereit sind. Die Ausdehnung dieses Vokabulars auf das Kino zeigt den Anspruch des totalen Staates, den Menschen in allen Lebenslagen zu beeinflussen.
Der heutige Betrachter wird das handwerkliche und schauspielerische Geschick auf durchaus hohem Niveau erkennen. Er ist als aufgeklärter Bürger eines demokratischen Staates jedoch nicht täglicher Hetze ausgesetzt, so dass ihn zumindest der Ton des Films nur überraschen, aber nicht mehr mobilisieren kann.
Autor: Tobias Hager
Literatur
http://www.uni-kiel.de/medien/koch.html
http://www.opus-bayern.de/uni-regensburg/frontdoor.php?source_opus=18