Der Chef des Generalstabes Helmuth von Moltke (1857-1888), warnte in einer Reichstagsrede am 14. Mai 1890 : „…wenn der Krieg, der jetzt schon mehr als zehn Jahre lang wie ein Damoklesschwert über unseren Häuptern schwebt – wenn dieser Krieg zum Ausbruch kommt, so ist seine Dauer und ist sein Ende nicht abzusehen“. Und später: „…es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden – und wehe dem, der Europa in Brand steckt, der zuerst die Lunte in das Pulverfaß schleudert“! Doch was macht sein Neffe – der deutsche Generalstabschef gleichen Namens (1906-1914)? Krieg! Von 1914 bis 1918 gingen „Stahlgewitter“ (Ernst Jünger) hernieder – der erste Weltkrieg kam für vier Jahre auf die Bühne. Die tragende Rolle spielte das Militär. Der Vorhang fiel – alles Menschliche verschwand dahinter.
Beide Moltkes dürften gewusst haben, Krieg ist nie nur ein Akt militärischer Gewalt, er ist auch ein Feld geistiger Auseinandersetzung. Gefochten wird nicht nur auf dem Feld, sondern auch in Werkhallen und Ingenieurbüros. Dabei werden auch Pinsel und Feder zu Waffen. Der jüngere Moltke entdeckte auf seine Art, den Geist für sich, als er schrieb: „Eine geistige Weiterentwicklung der Menschheit ist nur durch Deutschland möglich…. Es ist das einzige Volk, das zur Zeit die Führung der Menschheit zu höheren Zielen übernehmen kann“. Moltke machte mit diesen Worten schon deutlich, worum es dabei geht: Um geistige Führungsansprüche, sowie um die Verteidigung und Ausweitung eigener politischer und wirtschaftlicher Interessen- und Einflusssphären. So werden Kriege vorbereitet und gemacht. Und es gilt: Für Kriege wird militärisch und geistig mobil gemacht. Dafür bluten müssen meist weniger die Generale, umso mehr jedoch der einfache Soldat. Während die Kriegsmaschine so am Laufen gehalten wird, hallt nicht nur der Geschützdonner über die Schlachtfelder, auch auf propagandistische Begleitmusik wird den Soldaten ein Anrecht eingeräumt. Diesen Aspekt des „Großen Krieges“ erinnernd und ins Bewusstsein rufend, soll hier ins Wort gesetzt werden:
Im Oktober 1914 unterzeichneten 93 Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller einen „Aufruf an die Kulturwelt“. Darin erhoben sie „gegen die Lügen und Verleumdungen unserer Feinde, in dem (Deutschland) aufgezwungenen Daseinskampf“ ihren Protest. Die deutsche Kriegsschuld und der Völkerrechtsbruch wurden in „kulturvoller“ Weise abgestritten. Letztlich wurde noch das Vermächtnis von Goethe, Beethoven und Kant bemüht, um den Krieg zu rechtfertigen.
Erschreckend viele „Ingenieure der Seele“, so nannte Stalin die Intellektuellen, waren zu einem „Stellungswechsel“ – weg vom Schreibtisch, raus aus dem Atelier und rein in den Krieg bereit.
Für andere, wie für den „Zauberberg“, Thomas Mann, wurde die Feder zum Bajonett. Ganz „Mann-haft“ stach er zu, als er sich zu diesem Waffengang äußerte: „Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden und eine ungeheure Hoffnung“. Ferner spricht Mann von der „Veredlung“ des Menschen im Krieg und vom Ausstieg aus einer „satten Friedenswelt“. Der Soziologe Max Weber („Politik als Beruf“), bedauerte hingegen, dass er in diesem „großen und wunderbaren Krieg“, nicht mit an die Front ziehen durfte. Als Lazarettoffizier verteidigte er ihn dennoch: „Wir mußten ein Machtstaat sein und mußten, um mitzusprechen bei der Entscheidung der Zukunft der Erde, es auf diesen Krieg ankommen lassen“. Der Dichter der Lüneburger Heide und Urvater der Umweltschutzbewegung, Hermann Löns, schaffte es, obwohl schon relativ alt (*1866), in die Kaserne und dann an die Front. Dort kam die Ernüchterung, die er in folgenden Zeilen ausdrückte: „Sehe von meinem Lager den Sternschnuppen zu. Denke an die Leichen, an den erschossenen Spion.droben am Firmament dieselbe Not. Leben ist Sterben, Werden, Verderben“. Bei einem Sturmangriff bei Loivre, am 26. September 1914, schrieb eine Kugel einen letzten verderblichen Reim und beendete sein Leben. Hinterlassen hat Löns ein berührendes wie realistisches Kriegstagebuch. Im August 1914 meldete sich der Maler Franz Marc freiwillig zum Kriegsdienst. Bei Ausbruch des Krieges empfand er ihn noch als „positive Instanz“. In seinen „Briefen aus dem Feld“, beschreibt Marc ein „krankes Europa“, das durch den „Krieg geläutert werde“. Ein Umdenken setzte erst 1915 ein. Da bezeichnete er den Krieg als den „gemeinsten Menschenfang, dem wir uns ergeben haben“. 1916 wurde Franz Marc in die Liste der bedeutendsten Künstler Deutschlands aufgenommen und damit vom Kriegsdienst befreit. Aber zwei Granatsplitter hatten etwas dagegen und rissen den „Blauen Reiter“ (Künstlervereinigung) nahe Verdun bei einem Erkundungsritt, am 4. März in den Tod – einen Tag vor dessen Freistellung vom Kriegsdienst. Als der damalige Kriegsteilnehmer, Adolf Hitler, der sein Eisernes Kreuz nur der Fürsprache eines jüdischen Offiziers zu verdanken hatte, 1933 zur Macht gekommen war, galt Marcs Kunst übrigens als entartet.
Abschließend, wenn solche Beispiele nicht eines klar machen: In jedem Krieg geht es auch um Ideen und um Köpfe, die sie tragen sollen. Die wahre Kunst staatlichen, politischen und militärischen (Nicht)-Handelns sollte darin bestehen, so zu arbeiten, dass diese Köpfe nicht erst fallen müssen, sondern dass mit ihnen im friedlichen Wettbewerb, um die besten Ideen gerungen werden kann. Allerdings scheint von den Staatenlenkern, vor allem diese „Kunstfertigkeit“ nicht sehr geschätzt zu sein. Auf jeden Fall wäre es kreativer, sinnstiftender und menschlicher, als der Bau immer neuer Waffen mit noch tödlicherer Wirkung, die Erfindung immer neuer Kriegsgründe und damit verbundener Lügen und die ständige Reanimation alter Feindbilder, was nur neue Katastrophen herauf beschwören würde.
Autor: René Lindenau