Am 23. November 1963, einen Tag nach dem Attentat auf den damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy (1917 – 1963) startete auf der BBC die Science-Fiction-Serie „Doctor Who“. Die Serie existiert bis heute und ist damit die am längsten laufende Science-Fiction-Serie der Geschichte, obgleich es eine nur von einem einmaligen Fernsehfilm unterbrochenen Pause von 1989 bis 2005 gab. Im Zentrum der Handlung steht ein außerirdischer Zeitreisender, genannt der Doctor, der mit seinen zumeist menschlichen Begleitern durch Raum und Zeit reist, was bedeutet, dass er auch immer wieder historischen Ereignissen der Menschheitsgeschichte beiwohnt. Das Volk des Doctors, die Time Lords von Gallifrey, besitzen die Fähigkeit, sich, wenn ihr Körper nicht mehr lebensfähig ist, zu regenerieren, wodurch sie eine neue Gestalt annhemen. Auf diese Weise schlüpften schon eine Vielzahl von Schauspielern in die Rolle des Doctors: William Hartnell (1908 – 1975), Patrick Troughton (1920 – 1987), Jon Pertwee (1919 – 1996), Tom Baker (*1934), Peter Davison (*1951), Colin Baker (*1943), Sylvester McCoy (*1943), Paul McGann (*1959), John Hurt (1940 – 2017), Christopher Eccleston (*1964), David Tennant (*1971), Matt Smith (*1982), Peter Capaldi (*1958), Jodie Whitaker (*1982) und ab 2024 Ncuti Gatwa (*1992).
Die Serie adressiert seit ihrem Start immer wieder historische und politische Themen. Der Doctor selbst stahl seine Zeitmaschine, die TARDIS, und floh von seinem Heimatplaneten, weil er der Dekadenz und Untätigkeit seines Volkes entgegentreten wollte. Er selbst sagt von sich, er sei kein guter oder schlechter Mann, kein Held, sondern ein Trottel auf der Durchreise (Clip). Auch wenn er von sich selbst behaupten mag, nicht gut zu sein (Clip), sprechen die Fakten dagegen, denn der Doctor hilft jedem, wo auch immer er erscheint. Das Geräusch der TARDIS bedeutet Hoffnung und es hat einen guten Grund, warum der Doctor die Funktion, die das Aussehen der TARDIS der Umgebung anpassen soll, nie repariert hat und sie von außen stets aussieht wie eine Notrufzelle. Der Doctor ist ein Pazifist (Clip) und Anarchist, ein Weltverbesserer (Clip), ein Moralist (Clip). Was setzt man also dem ultimativen Helden, der nie eine Waffe trägt, sondern lediglich einen Schraubenzieher, entgegen?
Die Antwort: das ultimative Böse. Drehbuchautor Terry Nation (1930 – 1997) entwickelte schon 1963 die ultimativen Feinde des Doctors: die Daleks. Diese etwas plump aussehenden Cyborgs bilden eine klare Anspielung auf die Nazis. Der Doctor nennt sie „die ultimativen ethnischen Säuberer“, denn die Daleks sind genetisch gezüchtete Lebensformen, die keine Emotion außer Hass kennen und alles vernichten, was nicht Dalek ist. In der Storyline „Genesis of the Daleks“ von 1975 wohnen wir ihrer Schöpfung durch den Wissenschaftler Davros (Michael Wisher, 1935 – 1995) bei, der so einen seit Jahrhunderte währenden Krieg zwischen seinem Volk, den Kaled, und den Thal auf dem gemeinsamen Heimatplaneten Skaro beenden will. Davros, selbst wegen eines Bombenattentats ein Cyborg, erinnert in Sprechweise und Manierismus klar an Adolf Hitler (1889 – 1945) (Clip auf Englisch). Die Uniformen der Kaled-Militärs haben zudem eine bestechende Ähnlichkeit zu denen der Schutzstaffel (SS). Ferner spielt die Handlung großteils in einer unterirdischen Anlage, die dem Führerbunker gleicht.
Doch in einer Serie, in der Zeitreisen möglich sind, spielte die Handlung natürlich immer wieder einmal während des Zweiten Weltkriegs oder der NS-Zeit. In „Die Todesbucht der Wikinger“ („The Curse of Fenric“, 1989) geht es um eine Entschlüsselungsmaschine, die die Enigma knacken soll, was eine klare Anspielung auf die Codeknacker vom Bletchley Park ist. Der Entwickler des Computers, Dr. Judson (Dinsdale James Landen, 1932 – 2003), wurde von Autor Ian Briggs (*1958) in Anlehnung an Alan Turing (1912 – 1954) erschaffen. Turing gilt als Vater der Computertechnologie, auch wenn Ada Lovelace (1815 – 1852) dann wohl deren Mutter ist. Turing entwickelte auch Schachprogramme und so ist es nur folgerichtig, dass die finale Konfrontation zwischen dem Doctor und dem Hauptantagonisten der Storyline, dem Großen Alten Fenric (Tomasz Borkowy, *1952), aus einem Schachspiel besteht.
Zwei Geschichten aus „Doctor Who“ spielen während des Blitzkrieges in London: „Das leere Kind“/„Der Doktor tanzt“ („The Empty Child“/„The Doctor Dances“, 2005) und „Sieg der Daleks“ („Victory of the Daleks“, 2011). Die erste dieser beiden Stories lässt den Doctor bei der Suche nach einem außerirdischen Notruf durch die Straßen Londons eilen. Wir sehen Waisenkinder, die bei Fliegeralarm in die eilig verlassenen Häuser einbrechen und Essen stehlen, weil sie sonst verhungern würden. Die Verzweiflung der Menschen, Leben und Tod sind die zentralen Themen des Zweiteilers. In einer Szene preist der Doctor das Vereinigte Königreich als Maus, die sich alleine einem Löwen entgegenstelle, womit das übermächtige Deutsche Reich gemeint ist. Noch sehr viel patriotischer und – man muss es leider sagen – geschichtsverfälschender geht es in „Sieg der Daleks“ zu, wenn der Doctor auf Winston Churchill (1874 – 1965) trifft. Dieser wird als Freund des Doctors inszeniert. Nun ist der Doctor eine Person, die alles und jeden als Freund behandelt, selbst seine Feinde. Es ist aber nun einmal auch eine Tatsache, dass die Briten sich den misogynen Rassisten und Anti-Kommunisten Churchill gerne schön reden und Churchill mit diesen Positionen im Grunde alles vertritt, was der Doctor verachtet.
Weit mehr, vielleicht noch mehr als die Daleks, die so geschaffen sind, verachtet der Doctor aber Hitler. In „Gegen die Zeit“ („Let’s kill Hitler“, 2011) kracht der Doctor mit der TARDIS in die Neue Reichskanzlei und hindert unbeabsichtigt einen Roboter, der den Diktator seiner gerechten Strafe zuführen sollte, daran, Hitler zu töten, was zu einer der aberwitzigsten Szenen der Fernsehgeschichte führt: Clip. Auch sonst nimmt die Folge das Dritte Reich aufs Korn, wenn River Song (Alex Kingston, *1963) etwa vor ein paar SS-Offiziere tritt und verkündet: „Well, I was on my way to this gay Gypsy bar-mitzvah for the disabled when I suddenly thought: ‚Gosh, the Third Reich’s a bit rubbish. I think I’ll kill the Führer.‘ Who’s with me?“ („Nun, ich war auf meinem Weg zu dieser schwulen Zigeuner-Bar-Mizwa für Behinderte, als ich plötzlich dachte: ‚Meine Güte, das Dritte Reich ist ziemlich schieße. Ich glaube, ich töte den Führer.‘ Wer macht mit?“).
Eine weitere Szene während des Zweiten Weltkrieges trägt sich in „Spyfall“ (2020) zu, wenn der Doctor seinem Erzfeind, dem Master (Sacha Dhawan, *1984), ebenfalls ein abtrünniger Time Lord, auf dem Eiffelturm während der Besatzung Frankreichs durch das Deutsche Reich entgegentritt. Der Master hat sich in die SS eingeschlichen und der Doctor hält ihm entgegen, ihr (die Figur wurde da von Jodie Whitaker verkörpert) würde nicht gefallen, was er trage, noch in welche Gesellschaft er sich begebe. Dies ist insofern sehr bezeichnend, da der Master, der ganze Welten verwüstet hat, in den Augen des Doctors durch eine zweckmäßige Allianz mit den Nazis noch einmal deutlich tiefer gefallen ist.