Von der zynischen Zerstörung der Stuttgarter Terrorzentrale. Typische Fehlleistung eines kulturpolitisch weit rechts operierenden Stadtmilieus
Für meinen Großonkel ALBERT FEIT
(10. Januar 1944 Flucht in den Tod mit einer Giftkapsel, als die Stuttgarter Gestapo ihn abholen und nach Theresienstadt transportieren wollte; Stolperstein für ihn in der Stadtmitte bei der Sophienstraße 23A, Stuttgart)
Für meine Tante KLARA FEIT, seine Tochter, Schwester meiner Patentante
(20. Mai 1940 von Stuttgarter Ministerialbeamten und Ärzten dem Mord in GRAFENECK zugeführt; Stolperstein für sie demnächst neben ihrem Vater)
In Stuttgart schlummert neben der schmucken Markthalle – Jugendstil – das wichtigste Gebäude des regionalen Naziterrors. Adresse: DOROTHEENSTRASSE 10. Die Stuttgarter haben seine Existenz verschlafen.
Nach dem Krieg war der Bau den Regierungen und ihren Parteien entweder gleichgültig oder schlicht unbekannt. WEGSCHAUEN galt bereits als eine Lösung.
Die Stuttgarter Linie war: In der Stadt gab es ja doch nur ganz wenige Nazis, die sind bei Kriegsende plötzlich verschwunden, an ihre Untaten braucht nicht erinnert zu werden, die Geschäfte gehen bald wieder gut. Denkt euch nichts – die Vergangenheit entsorgt die Stadtverwaltung, irgendwann. Der toten Juden brauchen wir nicht zu gedenken, das macht die Israelitische Religionsgemeinschaft, die bekommt Zuschüsse.
Das Interesse des derzeitigen Oberbürgermeisters Schuster (CDU) dreht sich vorwiegend um die Schokoladenseite der Stadt: Autoindustrie (Mercedes, Porsche), Fußball (VfB) und die Oper.
Nicht anders die Landesregierung, die allgemein als beratungsresistent gilt. Voran der Europameister im Fettnäpfchen-Treten: Günther Oettinger (CDU, geb. 1953). 2006 erhielt er den reizvollen Titel „SPRACHPANSCHER DES JAHRES“ (Weiteres in Wikipedia).
Wie überall, so war auch in Stuttgart die Gestapo ab 1933 aus der geschlagenen Kriegsgeneration aufgestiegen, die sich nicht mit der Demokratie abfinden wollte. Sie gab sich als die einzige rettende Kraft für Recht, Ordnung und ethnische Sauberkeit aus. Es gehörte deshalb später nie zur Stadtkultur, an diesen Terror zu erinnern.
Konsequent war, dass Oettinger 2007 den mordwütigen Marinerichter FILBINGER zum Widerstandskämpfer erklärte.
Das Stuttgarter Stadtarchiv brachte eine Dokumentation über die DEPORTATION der württembergischen Juden heraus, aber vor den Täterbiografien wich es zurück. Manche sehen darin Feigheit, Folgen einer in Stuttgart verbreiteten SERVILITÄT IM AMT.
Alle Spuren hätten zur Gestapo verwiesen – davon wollte man nichts wissen.
Ganz zu schweigen von einer noch übleren Organisation wie dem HOCHKRIMINELLEN SD (Sicherheitsdienst), dem GEHEIMDIENST DER SS. Über ihn ist in Stuttgart so gut wie nichts erforscht und das wenige nicht von Stuttgartern, sondern von Auswärtigen (in die man kein Vertrauen hat). – Und gar noch von einem Schweizer.
Über den STUTTGARTER SD muss bald noch gesprochen werden. Das ruhebedürftige, nur dem Geld hinterher rennende Stuttgart wird nicht so bald Ruhe bekommen.
Im politischen Stuttgart gehört es für einen Bediensteten einfach zur Pflicht, nichts zu unternehmen, was dem Chef nicht passt. Im Land SCHILLERS, HÖLDERLINS und HEGELS – auf die man zu Unrecht stolz ist – liebt man steile Hierarchien und absolute Unterwerfung.
„LAND DER KNECHTE“ raunten sich einst unsere Geistesgrößen zu, mit scheuem Blick hinter sich. Sie gingen außer Landes. Nur mit der EMIGRATION bekamen sie Luft.
Soweit zu Stuttgarts politischer Kultur.
Das stattliche Gestapohaus wurde 1844 als Gasthof „Zum Bahnhof“ errichtet, als der Bahnhof noch am Schlossplatz lag. Danach umbenannt nach dem Besitzer in „Hotel Silber“. Der Name blieb haften, so brauchte man sich nicht mit dem HÄSSLICHEN Wort Gestapo zu bekleckern. Wenigstens sprachlich will man in Stuttgart sauber bleiben – eine SPRACHGEWOHNHEIT TIEFER PROVINZ.
1933 entstand in Stuttgart in der Polizeidirektion Büchsenstraße die Politische Polizei der Nazis, die 1936 ein eigenes Gebäude beim Alten Schloss bekam, das Hotel Silber, und nun (Geheime) STAATSPOLIZEI oder STAPO hieß. Die Stuttgarter wussten, wer das Hotel beherrschte.
Nach dem Krieg wollten sie gleich vergessen. Ihre Enkel sitzen heute an den Schaltstellen des Landtags, des Rathauses, aller Behörden – und in den gefügigen Medien. Schwamm drüber, lautet die Devise. Von dem Grundsatz von Yad Vashem „ZUKUNFT BRAUCHT ERINNERUNG“ halten diese Herrschaften absolut nichts.
Die Nazis gaben sich einst in Stuttgart wenig Mühe, ihren Terrorapparat GEHEIM ZU HALTEN. Wenn die Autos vorfuhren und Gefangene ausluden, oft sichtbar misshandelt, schauten Passanten zu.
Abends nach 20 Uhr konnten die Nachbarn schon mal die SCHMERZENSSCHREIE DER GEFOLTERTEN hören. Wenn Gefesselte von der Polizeidirektion in der Büchsenstraße zu den Verhören in die Gestapozentrale geschleppt wurden, gefesselt, erkannten Passanten die Opfer.
Es gab BESCHWERDEN der Umwohner. Aber nur wegen der Lärmbelästigung durch die Schreie, denn man wollte nichts hören. Der Rest war vielen egal: die Haltung von BIEDERMÄNNERN.
Als eine ungeliebte Frucht der Außerparlamentarischen Opposition (APO) – vulgo 68er – gab es in den 1970er Jahren antinazistische Standrundfahrten des Stadtjugendrings, die um die Gestapozentrale keinen Bogen machten. Es ging um NS-Geschichte, Kirchen, Juden, Sinti. Alles, was die meisten Stuttgarter nicht hören wollten.
Ähnliche Stadtrundfahrten veranstaltete die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) mit dem linken Altstadtrat Eugen Eberle („Wort und Tat: Reden, Aufsätze und Initiativen Eugen Eberles aus den Jahren 1948-1984“, 1988). Eberle gehörte noch zur Generation der Verfolgten. Das offizielle Stuttgart hörte weg. Den Faden griff das Mauthausen-Komitee auf, ebenfalls mit Stadtführungen, außerdem Fahrten mit Jugendlichen ins KZ-Mauthausen.
1978 überlegte man in Stuttgart, ob man das Hotel Silber abreißen oder renovieren solle. Es blieb beim Nichtstun, die Gestapo war für die Stadtkultur zu schwierig. Was damals die Stadt aber klammheimlich tat, um die Spuren der Häftlinge auszulöschen, sollte erst im Jahr 2009 herauskommen. Schon zur Zeit des Oberbürgermeisters Manfred Rommel war Stuttgarts Linie: Keine Spuren aus Gestapozeiten überleben lassen.
1981 schreckte eine Anfrage des Kölner Oberbürgermeisters die Stuttgarter Stadtverwaltung auf: Ob das Gestapogebäude noch stehe? Ob Gefängniszellen und eventuell Hinrichtungsstätten zu sehen seien? Ob das Haus bei Führungen zugänglich sei? Ob es wissenschaftliche Untersuchungen über die Stuttgarter Gestapo gebe?
Der Leiter des Stuttgarter Kulturamts antwortete voll Ignoranz: „Die Wände und das Gewölbe [des Folterkellers] sind offenbar übertüncht worden, so dass nicht festzustellen ist, ob möglicherweise Mauerinschriften vorhanden sind.“ (Tatort Dorotheenstraße, S. 24) Eine freche Lüge, denn wenige Jahre zuvor waren die Wandaufschriften mit einem Meißelbohrer gründlich abgeschlagen und vermutlich die drei Arrestzellen abgerissen worden.
Der OB Manfred Rommel wollte keine Spuren – das passte zum Familien-Syndrom des Wüstenfuchses, der im Jahr 2009 in Stuttgart Auferstehung feiert, im „Haus der Geschichte“. Mit dieser unsäglichen Militärverherrlichung schließt sich der Kreis von Stuttgarts Geschichtspolitik.
Beim Haus der Geschichte handelt es sich um eine zweifelhafte Anstalt mit sehr rechten, nazi-freundlichen Ausstellungen.
(siehe meine Kritik dieser Rommel-Ausstellung)
Die Stadt antwortete nach Köln: „Eine Dokumentation über dieses Gebäude gibt es nicht.“ So ist es geblieben, bald 30 Jahre lang.
In den 1980er Jahren folgte eine erste öffentliche Auseinandersetzung um das Gestapohaus. Dabei begann sich der typische STUTTGARTER HERRSCHAFTSSTIL zu entfalten. Kritische Zeitgenossen verlangten, an der Zentrale des Terrors solle außen eine große Gedenktafel angebracht werden.
Eine Strategie der arbeitsunwilligen Bürokratie, die an der Hochschule für Verwaltung in Ludwigsburg mit Erfolg gelehrt wird:
Bei unbequemen Ideen aus dem Wahlvolk verzögern, nichts begreifen, tricksen, lügen, verschieben, Märchen auftischen, die Presse instrumentalisieren. Wenn gar nichts mehr hilft, muss man sich zum Schein geschlagen geben.
Einige Monaten später rieben sich die Stuttgarter die Augen: Die Gedenktafel fand sich nicht deutlich sichtbar außen am Haus, sondern abseits, im Eingangsbereich auf der Seite versteckt. Heute entdeckt sie kein Fremder, man muss sie schon kennen und sich in die Höhle der Ministerien trauen. Aber wer tut das schon?
Danach breitete sich in dieser Sache wieder tiefe Ruhe über Stuttgart aus.
Kurz vor der Banken- und Finanzkrise 2008/09 schienen die Landesregierung und die Stadt viel Geld übrig zu haben. Sie stürzten sich Mitte 2008 in die gigantische Idee, die Gebäude beim Karlsplatz, zwischen dem Kaufhaus Breuninger und der Markthalle, abzureißen und mit hohen Geschossen stark verdichtet zu bebauen.
Die übers Knie gebrochene Idee trug das ZEICHEN DES IRRSINNS an der Stirn: Sie bekam den für Stuttgart aus den Fingern gesaugten Namen Da-Vinci-Projekt. Seitdem ging die Diskussion vorwiegend ums ABREISSEN, der Stuttgarter Politiker liebstes Geschäft.
Kenner der Stadtgeschichte sagen es jedes Jahr lauter, die hätten MEHR niedergelegt als die ALLIIERTEN BOMBENANGRIFFE.
Am 15. Juli 2008 durfte die Stuttgarter Zeitung etwas von den hinter den Kulissen anlaufenden Planungen preisgeben:
„WILLEM VAN AGTMAEL, der Geschäftsführende Gesellschafter des Hauses Breuninger, hat im vergangenen Jahr seine Idee öffentlich gemacht: ‚Wir wollen die Rückseite unseres Stammhauses attraktiver gestalten und von der Karlstraße her einen neuen, repräsentativen Eingangsbereich schaffen.’ Er sei bereit, Grund und Boden von Breuninger in dieses Projekt einzubringen, wenn das Land seinerseits die Flächen des Innenministeriums an der Dorotheenstraße ebenfalls zur Verfügung stelle; außerdem müssten Grundstücke aus Privatbesitz an der Hauptstätter Straße dazukommen.
Er gebe diesem Projekt den Namen ‚DA VINCI’. Über Monate haben alle Beteiligten unter äußerstem Stillschweigen an diesem Vorschlag gearbeitet – seit Dienstag steht fest: Breuninger und das Land haben eine Gesellschaft gegründet, die bereits alle notwendigen Grundstücke besitzt.“
Als günstig erwies sich, dass heute in der alten Gestapozentrale Einzelabteilungen von drei Ministerien untergebracht sind. Das Gebäude gehört der Landesstiftung Baden-Württemberg, die als KUNSTSTIFTUNG geschaffen wurde, inzwischen aber die übliche CDU-Politik betreibt und große Projekte unter die Fuchtel nimmt, die eigentlich der Landtag finanzieren sollte.
Auch das benachbarte Gebäude des Innenministeriums gehört dieser Kultur-Unstiftung. Dort wurde übrigens 1939/40 die EUTHANASIE-MORDAKTION nach Berliner Plänen von Stuttgarter Ministerialbeamten vorangetrieben und gnadenlos in jedem Heim zum Massenmord geschritten.
Ein weiteres Kapitel, von dem die Machthaber nichts wissen wollen. Keine, nicht mal eine schlechte Gedenktafel erinnert an die Ermordung von über 10.000 Behinderten.
Auch hier müssen kritische Zeitgenossen der VERSCHLAFENEN REGIERUNG Dampf machen. Im Herbst 2009 fährt ein „ZUG DER ERINNERUNG“ den Todesweg vom MORDSCHLOSS GRAFENECK auf der Schwäbischen Alb zurück nach Stuttgart. Damit man im Zeitalter der Medien etwas sieht: mit einer dicken LILA LINIE auf den Straßen.
Das bürokratische Stuttgart steht Kopf. Wieder so eine unnötige Aktion, wo wir nicht mal genügend PORSCHE und MERCEDES verkaufen.
Um das Da-Vinci-Projekt durchzupeitschen, übertrug die Landesstiftung ihre Gebäude dem Finanzministerium zur Verwertung, der Abteilung 41. Wenn sich eine solche Rechtsbeugung ein Bürger erlaubte, käme morgen die Polizei und schleppte Dutzende von Aktenordnern ab, unter den Augen der frohlockenden BILD-ZEITUNG.
Denn der Besitz der Landesstiftung ist ausdrücklich von kommerzieller Verwertung ausgeschlossen. Den Landesjuristen fiel eine Ausrede ein – das Geld fließe der Stiftung ja wieder zu, nach der kommerziellen Ausschlachtung.
Der ahnungslose Bürger sieht sich bestärkt in seinem Kinderglauben, die da oben machen es schon richtig. Ab einer angesehenen Stellung hoch oben werden die Rechtsvorschriften dehnbar wie GUMMIBÄNDER. – Das fördert die POLITIKVERDROSSENHEIT weiter unten, was niemand stört.
Dann gründete das Land mit dem Finanzministerium und der FIRMA BREUNIGER eine Projektgesellschaft. Anfangs wollte man das Gestapohaus nicht abreißen, tat wenigstens so. Auch an eine Gedenkstätte für die NS-Herrschaft sei gedacht – die aber auch bloß eine größere KUNSTPLASTIK werden könnte. (Wir kennen solche AUSRUTSCHER.)
Ende 2008 hatte sich zur Bewahrung des traumatischen Gestapogebäudes eine Bürgerinitiative aus elf Gruppen gebildet, die der Nachgeschichte zu überliefern sind: AK „Euthanasie“ der Stuttgarter Initiativen Stolpersteine, die Anstifter (um Peter Grohmann), Initiative Deserteurdenkmal, Weissenburg e. V. – schwul-lesbisches Zentrum, Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW), Mauthausen Komitee, Stadtjugendring, Initiativen Stolpersteine, VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bundes der Antifaschisten), Verband Deutscher Sinti und Roma und zuletzt Zeichen der Erinnerung e. V.
Rathaus und Ministerien sahen dieses breite Bürgerinteresse nicht gerne. Die aufgeschreckte Bürokratie verständigte sich mit WILLEM VAN AGTMAEL (1949), dem niederländischen Geschäftsführenden Teilhaber von Breuninger, auf eine URALTE STRATEGIE: Aussitzen, Kontakte verweigern, unbeirrt die eigenen Pläne verfolgen, Sand in die Augen streuen.
Die „INITIATIVE FÜR EINEN GEDENKORT IM EHEMALIGEN HOTEL SILBER“ wandte sich an den übermächtigen Breuninger-Boss Agtmael und bat um ein Gespräch. BAT WIEDER und wieder, über 15 mal, schickte ihm das zusammengetragene Material über das Gestapohaus, erinnerte an die alten Bitten, die sich aufhäuften. Vier Monate keine Antwort – was ja auch eine ist.
Ähnliches erlebte PROF. ROLAND OSTERTAG (geb. 1931), der sich am besten über die Bausubstanz des Gestapogebäudes auskennt. Das Finanzministerium gab Monat für Monat keine Antwort, dann Vertröstungen und Nebel. Endlich hieß es: „ein Gespräch NACH PFINGSTEN“.
Inzwischen war es Juni 2009 geworden. Ostertag begriff, es könne auch Pfingsten 2010 oder noch später werden. – Die Politikverdrossenheit bekommt ständig NEUE NAHRUNG.
Nach fünf Monaten Blockade ist die Ministerialdirektorin Gisela MEISTER-SCHEUFELEN (CDU; geb. 1956) aus dem Finanzministerium zu einem Gespräch mit der „Initiative“ für das Hotel Silber bereit. Für die sensiblen Fragen nach dem Umgang mit der NS-Geschichte, mit den Juden-, Sinti-, Schwulen- und sonstigen Verfolgungen hat sich die Frau ZWEIFELSFREI QUALIFIZIERT – wodurch? durch die Tätigkeit im Statistischen Landesamt.
Man staunt. Als Juristin wird sie kaum je mit den Verbrechen der Gestapo zu tun gehabt haben, durch ihr Studium ist sie zu allem und nichts qualifiziert. Wie der Rest der Regierungsleute.
Bei dem Umgang mit der Geschichte und der Finanzpolitik stoßen ZWEI WELTEN aufeinander, die gegensätzlicher nicht sein könnten.
Das Gespräch mit der „Initiative“ für den Gedenkort Hotel Silber verlief frostig. Klar war nur die Grundsatzerklärung: Das Finanzministerium DENKE NICHT DARAN, das Gestapohaus stehen zu lassen.
Mitte Mai 2009 kommt es zu einem in dieser Art einmaligen Treffen: Die Repräsentanz der israelitischen Religionsgemeinschaft (IRGW) LÄDT HISTORIKER EIN, die sich mit der Gestapo und dem Gestapohaus auskennen. So etwas würde Oettinger und Frau Meister-Scheufelen NIE IM SCHLAF einfallen.
In den Räumen der Jüdischen Gemeinde tragen ihre Kenntnisse zur Gestapo und der Zentrale vor: Prof. Roland Ostertag, Prof. Paul Sauer (einst Leiter des Stadtarchivs Stuttgart) und Hellmut G. Haasis (Reutlingen), der Biograf von Joseph Süß Oppenheimer und Georg Elser, Kenner der geheimen Untergrundarbeit der Stuttgarter Gestapo und des SD IN DER SCHWEIZ.
Die ganze Repräsentanz ist da, neun Mitglieder, die Führung liegt beim dreiköpfigen Vorstand: MARTIN WIDERKER, Alexandre Katsnelson und Arno Fern. Das Wort führt auf angenehme Weise Martin Widerker. Mit gutem Gespür beteiligt sich der Landesrabbiner NETANEL WURMSER. Er ahnt aus den Memoiren eines Schweizer Konsulatsbeamten in Stuttgart, der im Stuttgarter Gestapohaus gefoltert worden war, dass in der Schweiz wohl noch sehr viele Dokumente über die Gestapo Stuttgart liegen dürften. Ich konnte ihn zu diesem Gespür nur gratulieren und der Repräsentanz empfehlen, diese Spur weiter zu verfolgen.
Prof. Ostertag stellte dar, dass das Gestapogebäude IN DER SUBSTANZ bis heute erhalten sei. Damit nahm er Wind aus den Segeln des Finanzministeriums und der Stadtverwaltung. Beide saugen sich ohne Sachkenntnis aus den Fingern, das Gebäude sei NICHT MEHR „AUTHENTISCH“.
Die auf Breuninger-Kurs festgelegte Obrigkeit glaubt – und hofft – , das Gebäude sei bis auf die Grundmauern ZERSTÖRT gewesen. Es rächt sich, wenn Juristen und weitere Ahnungslose sich mit Fragen beschäftigen, die ihren Horizont übersteigen.
In der Öffentlichkeit tritt die Kulturbürgermeisterin SUSANNE EISENMANN (geb. 1964) nassforsch auf, wie wenn sie hier je geforscht hätte. Dafür hat auch sie nicht die geringste Vorbildung. Statt bei Sachfragen dicke Bretter zu bohren, sitzt sie in über 37 AUFSICHTSRÄTEN, Verwaltungsräten und Jurys. Und brüstet sich damit in ihrer homepage.
Promoviert hat sie über ein HÖCHST BRISANTES THEMA: „volkstümliche Elemente in den deutschen Predigten des GEILER VON KAYSERSBERG“ (1455-1510). Ein Allerweltsthema, das schon Hunderte ausgelatscht haben.
Das Fachgespräch in der Jüdischen Gemeinde verengte sich durch die irreführenden Vorgaben der Abrisspolitiker auf den GESTAPOKELLER. Prof. Ostertag meinte, man könne den Keller durch einen Fachmann UNTERSUCHEN lassen, aber am Haus sei das Meiste authentisch.
In der öffentlichen Auseinandersetzung riskiert niemand einen Blick auf die vielen stärker zerstörten Gebäude, die nach dem Krieg wieder aufgebaut wurden: Stiftskirche u. ä., vor allem das Neue Schloss, das völlig platt war und nun ausgerechnet das Finanzministerium beherbergt, das überall vom Abreißen träumt.
Haasis betonte, dass aus den von ihm gefundenen Zeitzeugnissen hervorgeht, wie IM GANZEN HAUS GEQUÄLT, GEPRÜGELT UND GEFOLTERT wurde – bis es sogar den PUTZFRAUEN zu viel wurde. Die Gestapozentrale war eine Pestbeule für das ganze Land, von hier gingen die Todesbefehle aus, massenweise.
Die Gestapoleute holten die Juden, die nicht in den Tod gehen wollten, von zuhause ab. Das ganze Haus wäre zu erhalten und als NS-Dokumentationszentrum auszubauen. Ostertag flocht ein: wie das Gestapohaus (EL-DE Zentrum) in KÖLN.
Prof. Sauer spielte wieder einmal seine subalterne Rolle als einstiger Leiter des Stadtarchivs. Er fühlte sich von Haasis beleidigt, der so tue, wie wenn die Stadt nichts getan hätte. Dafür bekam er die GEDENKSTÄTTE NORDBAHNHOF vorgehalten, wo die Stadt Stuttgart jahrelang KEINE MÜDE MARK ausgab, um der Deportation der Stuttgarter Juden in den Tod zu gedenken.
Noch einmal suchte Paul Sauer die Stadt zu retten: Die gewünschte NS-Geschichte werde wohl im geplanten STADTMUSEUM dargestellt werden.
Er musste sich anhören, dass dieses Thema auch dort wieder ausgespart werde. Beweis: die veröffentlichte Konzeption.
Dort heißt es im Blabla der Ausstellungsmacher, die Fehlentwicklungen und Probleme der Stadtgeschichte vertuschen wollen:
„Stuttgart war und ist eine Stadt, die sich auf die Zukunft ausrichtet. Das Stadtmuseum steht in dieser Tradition und lädt die Stuttgarterinnen und Stuttgarter ein, die Entwicklung der Stadt kennen zu lernen, um ihre Gegenwart perspektivenreicher zu beurteilen und ihre Zukunft INFORMIERTER GESTALTEN zu können.“
http://www.stuttgart.de/img/mdb/item/354939/44815.pdf
Wie wenn in der AUTORITÄREN DEMOKRATIE die Bürger irgend etwas mitgestalten könnten.
Darauf ging die Jüdische Gemeindeleitung lieber nicht ein. Es entstand ein wenig der Eindruck, die Erhaltung der Terror-Zentrale sei ihr zu viel. Wichtiger erschien, ob man noch Opfer finde, die damals gefoltert wurden.
Inzwischen leider nicht mehr möglich, denn Stuttgart hat sich absichtlich Jahrzehnte Zeit gelassen. Und will immer noch nichts tun.
Die geretteten Zeitzeugnisse beweisen, so Haasis weiter, wie der Terror in diesem Haus funktionierte. Das wäre mit einer INSZENIERUNG IM GANZEN HAUS zu zeigen.
Was den Keller angehe, solle man aufpassen, dass daraus nicht ein Reich der Bürokratie werde, die immer Recht hat. Vorbild für eine gute Gestaltung könnte YAD VASHEM sein: der Glasraum mit den Namen der TOTEN KINDER, den man in bedrängendem Halbdunkel durchschreitet.
Diese Methode ließe sich realisieren mit den Zeugnissen der Opfer, die in schmerzvoller Detailtreue erzählen, was man ihnen angetan hat. Das könne JUNGE MENSCHEN BEEINDRUCKEN, die wir mit den Gefahren des Rechtsradikalismus und des Antisemitismus konfrontieren müssen.
Am Ende sah sich die Repräsentanz spontan zu einem Beifall hingerissen – das einzige Mal.
Die Stimmung war gut, die Gemeindeleitung schien offen zu sein. Niemand hatte sie zu instrumentalisieren versucht, sie müsse dies oder jenes machen. Martin Widerker, der führende Kopf der Gemeinde, bemerkte erstaunt, wie stark ihn schon beim ersten Gespräch das Finanzministerium und das Rathaus unter ZEITDRUCK zu setzen suchten.
Gegen die Strategie der Abriss-Befürworter schien sich VORSICHT einzustellen.
Ein Abhängiger der Stadtverwaltung, der jetzige Stadtarchiv-Leiter ROLAND MÜLLER, lancierte schon früher den geschmacklosen, fast spöttischen Vorschlag, den Gestapokeller zu erhalten, drüber ein Hochhaus aufzuziehen – und auf den Keller eine GLASPLATTE zu legen – zum Hinunterschauen. In einem Extraraum (wie viel Quadratmeter?) könnten Schulklassen etwas von der Gestapo erfahren.
Aber selbst dieser makabre Vorschlag ist schon mehr als Land und Stadt wollen.
Die wünschen DEN VÖLLIGEN ABRISS, möglichst rasch.
Auf einmal sind dem Breuninger-Chef Agtmael seine toten niederländischen Landsleute nicht mehr „heilig“, von denen er früher emphatisch sprach. Wenn ihm einige Quadratmeter Verkaufsfläche verloren gingen, stünde BREUNINGERS RUIN vor der Tür. – Faselt er jetzt.
Danach gab das Finanzministerium einen Millimeter nach. Frau Meister-Scheufelen versteht sich auf SALAMITAKTIK – sie ist Juristin. Man könnte ja den Keller erhalten, dann dürfe man aber keinen Raum für Schulklassen einrichten. Eine warnende Beschäftigung mit den Nazis, dem Antisemitismus, dem Fremdenhass usw. gehöre nicht in die Linie des Ministeriums.
Es hat niemand dran gedacht, die notwendige Bildungsarbeit diesem Ministerium zu übertragen. Das wäre nun wirklich eine GROSSE DUMMHEIT.
Die Landesregierung bläht auf einmal das Gestapohaus auf, als große Gefahr. Würde ein Raum für Schulklassen eingerichtet, wäre das ganze Projekt des Herrn Agtmael GEFÄHRDET.
Vielleicht ist gemeint: Die Attraktion als Kaufparadies leide, wenn die Breuninger-Kunden auch nur von ferne etwas von der Gestapo riechen. Gleich bleibe der Geldbeutel IN DER HOSE.
Tatsächlich ist der Erhalt der ganzen Gestapozentrale FLÄCHENMÄSSIG KEIN PROBLEM. Beim Hotel Silber handelt es sich um 2.500 bis 3.000 qm Geschossflächen, von den geplanten 55.000 qm machen sie nur 5% aus.
Und diese 5 % liegen am äußersten Rand und können leicht ausgespart bleiben.
Im vorbildlichen EL-DE-Haus (Gestapo) am Appellhofplatz in Köln (eingerichtet 1988) sind 5.000 qm einem Zweck gewidmet, den man in Stuttgart fürchtet, wie der TEUFEL DAS WEIHWASSER. In Köln geben sich 15 hauptamtliche Mitarbeiter Mühe, um Jugendliche über Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu informieren.
Der Bedarf dafür existiert auch in Stuttgart, wie von Schulen zu hören ist und regionale Autoren bei den Lesungen um den 9. November herum jedes Jahr spüren. In Köln kommen jährlich 50.000 Schüler. Wäre das nicht auch für Stuttgart ein gutes Ziel?
Am Beispiel Köln muss sich das gegenwärtige Stuttgart vorhalten lassen, wie provinziell es ist. In seiner Geschichtspolitik ist Stuttgart bundesweit RECHTSAUSSEN.
Schauen wir hinüber zum HAUS DER GESCHICHTE mit nazinahen Ausstellungen (Jud Süß, Rommel), zur Stauffenberg-Gedenkstätte (peinliche Geschichtsklitterung) usw.
Da ist BAYERN moderner und demokratischer. An ein JÜDISCHES MUSEUM wie in München kann man in Stuttgart nicht mal DENKEN. Im Stuttgarter Stadtmuseum ist für die Juden der Stadt- und Landesgeschichte kein einziges Dokument vorgesehen. Die designierte Leiterin dieses Museums erklärte mir: „Daran haben wir kein Interesse.“
Die Stadt Stuttgart benimmt sich BLAMABEL. Als einmal die einstigen Kinder von Zwangsarbeitern eingeladen wurden, musste die hilflose Stadtverwaltung die Gäste in die KZ-GEDENKSTÄTTE LEONBERG führen, weil es in Stuttgart keine Gedenkstätte gibt. – So soll es auch bleiben.
Inzwischen hat das Finanzministerium die Flucht nach vorne angetreten und den Restaurator Ernst Lorch von Sigmaringen damit beauftragt, den Gestapokeller samt den einstigen drei Arrestzellen auf Spuren von Häftlingen zu untersuchen. Der Restaurator betonte, dass er zum ersten Mal einen solchen Auftrag vom Land bekommen habe.
Herr Lorch sagt in seinem Vorgutachten, der Putz in den drei Häftlingszellen, mit eventuellen Kritzeleien, sei schon vor längerer Zeit systematisch abgeschlagen worden.
Das könnte 1983 passiert sein, als das Land den Keller umbauen ließ. Es sollten Tatsachen geschaffen werden, damit niemand mehr die Gestapo-Aktivitäten dokumentieren kann.
Ein steinalter Trick: ZERSTÖRUNG geschichtlicher Spuren.
Schon vor dieser Voruntersuchung fruchtete die gezielte amtliche Irreführung. Alle Gruppierungen, selbst die Jüdische Gemeinde und die bei den letzten Kommunalwahlen stärkste Partei gewordenen Grünen, plapperten das amtliche Märchen nach: „Im Gestapokeller sind keine Spuren mehr von früher zu sehen, also ist er nicht mehr authentisch.“
Selbst wenn keine Spuren mehr zu finden wären – warum soll man nicht in diesem Keller, wie er heute ist, die Terrorwelt der Stuttgarter Nazi vorstellen? Gerade auch die mutwillige Zerstörung später zeigt, wie authentisch dieser ORT DES TERRORS geblieben ist.
Wie gut es geht, eine zerstörte Synagoge gerade mit allen Veränderungen vorzustellen, zeigt das Beispiel BAISINGEN (Teilort von Rottenburg/Neckar).
http://www.rottenburg.de/kultur/museen_det.oscms?&Section=1197
Es wäre reizvoll und notwendig, im Gestapokeller auch die früheren Baumaßnahmen GEGEN DAS ERINNERN mit zu dokumentieren.
Die Abriss-Politiker versuchten von Anfang an, die Jüdische Gemeinde bevorzugt zu behandeln. Ziel: Spaltung.
Das führte letztlich zum Erfolg.
Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde gab am 16. Juni 2009 eine erstaunliche Presseerklärung heraus:
„Position der IRGW zum ehemaligen Gestapo-Gebäude in der Dorotheenstraße
Aus Sicht der IRGW ist ein Abriss des Gebäudes der ehemaligen Stuttgarter Gestapo-Zentrale unter mehreren Voraussetzungen vorstellbar.
Dies sind:
- Die Authentizität des Kellers – der Haftzellen – incl. des
Gewölbekellers, wo nach Aussagen von Historikern Wände mit Blutspuren von geschlagenen Häftlingen zu sehen waren, soll durch Restauratoren hergestellt werden. - Der Neubau soll so gebaut werden, dass der Zugang zu den unter 1.
genannten – rekonstruierten – Kellerräumen leicht zugänglich und auffindbar wird. - Im rekonstruierten Keller soll in bescheidenem Umfang auf die
dort vorgekommenen Gräueltaten hingewiesen werden, mit dem Hinweis, dass mehr darüber in der im selben Gebäude befindlichen und gut zugänglichen Gedenkstätte zu finden ist. - Dieser Gedenkraum soll die Besucher umfassend über die Geschichte
des Hauses und insbesondere die NS-Zeit informieren. - Auf der Außenfassade des Neubaus im Eingangsbereich soll eine gut
sichtbare und repräsentative Gedenktafel angebracht werden, die jeden Passanten auf die Kellerräume gemäß 1. und Gedenkstätte
im Gebäude gem. 3. aufmerksam macht; auf der Tafel soll zu lesen
sein, dass hier an dieser Stelle ein Gebäude stand, in welchem sich das Gestapo-Hauptquartier Stuttgarts befand, in dem Menschen
gefoltert und gemordet wurden. - Ferner soll aus der Tafel ersichtlich sein, dass sowohl die
Kellerräume gem. 1., als auch die Gedenkstätte im Haus für die Öffentlichkeit mindesten 3x pro Woche zu bestimmten Tageszeiten zugänglich ist.
Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW)
Hospitalstraße 36, 70174 Stuttgart“
Damit hatte sich ausgerechnet die Gruppe mit den MEISTEN TOTEN durch Gestapohand vom Ziel, der Bewahrung der NS-Gedenkstätte, verabschiedet.
Wir haben hier ein zentrales Dokument für das politische Selbstverständnis der Gemeinde innerhalb der NS-Geschichte vor uns, das auch viel über ihre Stellung in Stuttgart aussagt.
Wer Erfahrung mit der Stadtverwaltung Stuttgart gesammelt hat, wundert sich über die Gutgläubigkeit dieser Presseerklärung. Wie wenn die Stadt und das Land sich nach dem Abriss des Gestapogebäudes noch an irgendwelche Auflagen halten würden.
WENN ABGERISSEN IST, wird die Stadt tricksen. Zumal die Jüdische Gemeinde nicht den Mut haben wird, von der Stadt und dem Land eine vertragliche, mit klaren Formulierungen und Strafandrohungen versehene Vereinbarung zu fordern. Sie wird alles der Stadt überlassen. Ein Leichtsinn, den sie sich im Geschäftsleben nicht leisten würde.
Klopfen wir die geforderten Punkte auf ihre Realisierbarkeit hin ab:
- Die Authentizität des Gestapokellers durch Restauratoren herstellen.
Sehr fraglich, wie weit Stadt und Land solche Aufwendungen treiben wollen. So etwas wird von Anfang an unterlaufen werden. - Der Zugang zum Keller soll nachher leicht zu finden sein? Das wird Herr Agtmael nicht zulassen, denn wenn sein Kaufpublikum die Gestapo im Genick spürt, wird die Kauflust leiden – so dürfte er glauben.
- Im Gestapokeller sei in „bescheidenem Umfang“ auf „die Gräueltaten“ hinzuweisen? – Wenn man schon so wachsweich beginnt, werden die Hinweise noch bescheidener ausfallen: der Text klein geschrieben, die Erklärungen unbequem tief angebracht oder ähnliche Ausweichmanöver. Grausame Folterinstrumente werden fehlen, weil dies der Firma Breuninger nicht gefällt. Und erst recht fallen die Namen der Folterknechte dem Rotstift anheim. Datenschutz, Persönlichkeitsrechte, Empfindlichkeiten der Nachkommen. Da lobe ich mir Yad Vashem in Jerusalem, dort weicht man nicht vor den Namen der NS-Mörder zurück, aber da stehen ja auch nicht Stuttgarter Geschäftsleute vor der Haustür. In Stuttgart erlebt man einmal mehr, wie das TÄTERVOLK die TÄTER AUS SEINEN REIHEN noch lange über den Tod hinaus verschont. Wie lange soll das noch gehen?
- Ein Gedenkraum soll umfassend über die NS-Zeit informieren? – Wie viele Quadratmeter dürfen es sein? Dem Rathaus reicht sicher ein Hinweis auf das geplante Stadtmuseum – wo dann eh nichts gezeigt werden wird. Wenn solche Punkte nicht glasklar und einklagbar festgeschrieben sind, wird die Stadt sich die billigste Lösung aussuchen – und nachher auch diese noch streichen.
- Außen eine Gedenktafel? – Da wird ein kaum lesbarer, arg zusammengepresster, vielleicht auch sehr „moderner künstlerischer“ Text stehen. Lesbarkeit und Wirkung gegen null.
- Zuletzt eine peinliche Fehlleistung: Die Gedenkstätte braucht nur dreimal die Woche geöffnet sein. Spätestens hier bemerken wir, dass hier jemand die Feder führt, der keine Ahnung hat von Gedenkstätten dieser Art. – Genügt vielleicht 14-17 Uhr? Das Personal kann man danach auch streichen – oder der gehassten „Initiative“ aufladen.
Ohne präzise, einklagbare Bedingungen und ohne eine Kontrolle durch eine kritische Organisation wird dieses Konzessionspapier der Jüdischen Gemeinde als FIASKO enden. Die Stadt, das Land und Breuninger machen, was sie schon lange wollen: die Spuren der Gestapo VERWISCHEN.
Schon einen Monat nach dem Einknicken der Jüdischen Gemeinde klingt es in der Stuttgarter Zeitung vom 15. Juli 2009 nach einem Zurückrudern.
„Arno Fern, Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde, sagte gestern gegenüber der Stuttgarter Zeitung: ‚Wir haben das Hotel Silber vor Wochen besichtigt und im Keller keine Spuren aus der NS-Zeit vorgefunden.’ Deshalb werde die jüdische Gemeinde dem Land nicht vorschreiben, was an der Dorotheenstraße zu tun sei. Allerdings, so Fern, ‚wünschen auch wir uns, dass es in dem neuen Da-Vinci-Projekt eine Gedenkstätte gibt, die angemessen an die Opfer erinnert’.“
Alle sechs Bedingungen für die Zustimmung wären damit gestrichen, es bleibt nur die wachsweiche Formulierung, man solle „angemessen“ der Opfer gedenken.
Die NS-Täter werden, so kann man als sicher annehmen, weiterhin ungenannt bleiben – und natürlich auch unerforscht. Schulungsräume und Schauräume für Jugendliche und Erwachsene bleiben der Stadt erspart.
Der Trick mit der angeblichen AUTHENTIZITÄT hat gezogen. Das ist die RACHE DES EVENT-MILIEUS, das am liebsten prügelnde Gestapoleute gehabt hätte, mit blutverspritzten Händen, Hemden und Hosen.
Vielleicht mit Tonbandaufnahmen vom Geschrei der Gefolterten? Mit einer vom TÜV zertifizierten Sammlung der in Stuttgart erfolgreichen FOLTERINSTRUMENTE?
Aber dann doch lieber in Hollywood oder bei Guido Knopp im Fernsehen.
Dem politischen Rückzug haben sich offenbar auch schon die Grünen angeschlossen, die immer noch gelähmt in ihren Sesseln sitzen und von ihrem überraschenden Wahlsieg träumen. Ihr Fraktionschef Werner Wölfle erklärte, der Keller sei halt doch nicht authentisch und man könne das Gestapohaus nun nicht mehr halten. Man solle jetzt halt überall der NS-Zeit gedenken, im Gestapohaus aber nicht mehr.
Dieser Herr, der sich preist, die NEUE BÜRGERLICHE MITTE zu sein, wird keinen einzigen Millimeter NS-Geschichte dokumentieren helfen.
Wir sind gespannt, wie schnell die Grünen auch beim Tiefbahnhof Stuttgart 21 einknicken werden.
Geschmackvoll angesichts der verdrängten GRAUSAMKEITEN im Hotel Silber wirft sich der Breuninger-Chef Agtmael in die Brust. Am 13. Juli 2009 ließ er die Presse schreiben, er werde keine Abstriche machen an der Größenordnung seines Planes: 55.000 qm.
Nur peinlich, dass just dieselbe Größenordnung schon für ein MEGAKAUFHAUS auf dem Gelände des NEUEN TIEFBAHNHOFS Stuttgart 21 geplant ist. Der überforderte Gemeinderat bedauert inzwischen, dass er diese Größenordnung beim Bahnhof schon einmal zugelassen hat (Stuttgarter Nachrichten 13. Juli 2009).
Stuttgart übernimmt sich in den Proportionen der HEKTISCHEN GESCHÄFTSAUSDEHNUNG. Breuninger selbst hat zur Zeit 35.000 qm Verkaufsfläche. Dazu kämen Da-Vinci 55.000 plus Bahnhof-Areal 55.000. Macht zusammen: 145.000 qm.
Asterix hätte da gesagt: DIE SPINNEN DIE STUTTGARTER. Eine Steigerung der Verkaufsfläche um 385 %. WELCHE SCHLAFMÜTZE glaubt, dass die Region Stuttgart demnächst 385% mehr Kaufkraft haben wird?
Kaum sind MILLIARDENSCHWERE RETTUNGSSCHIRME bei den Banken verschwunden, da dürfen die Zeitgenossen schon wieder erleben, wie die Stuttgarter Stadt-Planung so aus dem Ruder läuft, dass die Dimensionen unbeherrschbar werden.
Aus der Finanz- und Bankenkrise wurde nichts gelernt.
Zur Krönung der STUTTGARTER GESTAPO-POSSE ein Jubelartikel über den Breuninger-Chef Agtmael. Von einem Herrn Offenbach, der sich Medien-Berater nennt. Früher sagte man ehrlicher: Propagandist, Reklamesprecher o. ä. Einst hatte er gleich bei der Zeitung geschrieben.
Der vorerst neueste Schritt: Die „Initiative“ macht seit 20. Juli 1944 für zehn Tage eine Mahnwache. Eine symbolische Hoffnungstat, denn alle politischen Parteien, auch die Grünen, haben die Rechtsmittel des Stadtparlaments gegen den Größenwahnsinn, verschlafen.
Autor: Hellmut G. Haasis
Literatur
Tatort Dorotheenstraße. Herausgegeben von der Initiative für einen Gedenkort im ehemaligen Hotel Silber. Peter Grohmann Verlag, Stuttgart, 2009, 74 Seiten, alte Fotos, darin viele Erstveröffentlichungen von Zeitzeugen über die Folterungen im Gestapohaus.