Hitler, Hahn und Heisenberg oder wie Wissenschaftler aufhörten sich zu sorgen und begannen, die Bombe zu lieben
Mit den Abwürfen der Atombomben „Little Boy“ und „Fat Man“ durch die USA auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 änderte die Welt sich schlagartig grundlegend. Der Zweite Weltkrieg endete und plötzlich lebten wir in einer Welt, in der es nicht nur möglich war, 100.000 Menschen auf einen Schlag zu töten, sondern in der Menschen auch willens waren, von einer derartigen Zerstörungskraft Gebrauch zu machen. Befohlen hatte den Einsatz US-Präsident Harry S. Truman (1884 – 1972). Wie hatte es dazu kommen können? Die Motivation hinter der Entwicklung der Atombombe, dem Manhattan-Project, war Angst. Nicht etwa die Angst vor den Japanern, die die Zerstörungskraft der Waffe am Ende zu spüren bekamen, sondern vor den Nazis und davor, die könnten schneller als die USA eine Nuklearwaffe entwickeln. Immerhin hatten die Nazis die Raketentechniken eines Wernher von Braun (1912 – 1977) und einige der größten Experten auf dem Gebiet der Atomforschung, darunter der spätere Nobelpreisträger Otto Hahn (1879 – 1968), den „Vater der Kernchemie“ und ersten Menschen, der die Kernspaltung nachwies. Dies gelang ihm 1938 zusammen mit seinem Assistenten Fritz Straßmann (1902 – 1980).
Dies beunruhigte einen anderen Nobelpreisträger, den Physiker Albert Einstein (1879 – 1955) so sehr, dass er im August 1939 einen Brief an US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882 – 1945) richtete, in dem er seine Sorge, Adolf Hitler (1889 – 1945) könne die Macht der Kernspaltung nutzen, um damit in den Besitz einer Waffe mit nie dagewesener Zerstörungskraft zu gelangen, zum Ausdruck brachte. Ein Schreiben, das Einstein später zutiefst bereuen sollte, denn es löste die Forschung der USA an Nuklearwaffen aus, wohingegen die Nazis ihr keine Priorität einräumten. Das heißt jedoch nicht, dass deutsche Wissenschaftler nicht auf dem Gebiet geforscht hätten. Nur ähnlich wie J. Robert Oppenheimer (1904 – 1967) und sein Team hatten auch Werner Heisenberg (1901 – 1976) und Carl Friedrich von Weizsäcker (1912 – 2007) nie ernsthaft an den Einsatz derartiger Waffen glauben wollen. Wie Mary Shelleys (1797 – 1851) Victor Frankenstein (im Roman übrigens ohne Doktortitel, er ist noch Student) oder Michael Crichtons (1942 – 2008) John Hammond und sein Team stellten sich diese großen Geister nur die Frage, ob sie es schaffen konnten oder nicht, obwohl sie sich hätten fragen sollen, ob sie es tun sollten oder nicht.
Im Dezember 1938 war Hahn und Straßmann also die Spaltung eines Uran-Kerns durch Neutronen gelungen, wodurch große Mengen an Energie freigesetzt worden waren. Die Schlussfolgerung für Wissenschaftler überall auf der Welt, die die Publikationen Hahns und Straßmanns dazu in der Zeitschrift „Die Naturwissenschaft“ lasen, war klar: Der Weg zur technischen Nutzung der Kernenergie war bereitet, was aber eben auch die Nutzung für neuartige Waffentechnologien mit einschloss. Aber nicht nur Wissenschaftler wie Einstein erkannten das Potenzial für eine militärische Nutzung der Kernenergie zum Bau von Atomwaffen, sondern auch die deutsche Wehrmacht.
Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin wurde unter der Leitung von Heisenberg zum wissenschaftlichen Zentrum der vom Heereswaffenamt koordinierten Atomforschung. Zusätzlich und in Konkurrenz zu Heisenbergs Forschung unterhielt das Uranprojekt des Heereswaffenamtes das vom Leiter des Referats für Atomphysik, Kurt Diebner (1905 – 1964) geleitete Heeresversuchsgelände Kummersdorf in Gottow südlich von Berlin. Angesichts der geringen Uranerzvorkommen im Deutschen Reich stellte die von Hitler stets beabsichtigte Konkurrenz zwischen den einzelnen Abteilungen von Partei, Staat und Militär ein Problem dar. Hätten beide Forschergruppen, also Heisenbergs und Diebners, kooperiert, hätte das Uran für die Forschung ausgereicht. So tauschten sie nur Uranwürfel hin und her, die dabei verunreinigt wurden, hatten aber beide nie genug Uran für ihre Versuche. Beide Gruppe zusammen hätten wohl Ergebnisse erzielt. Der Glaube, Konkurrenz führe zu schnelleren Ergebnissen, erwies sich als falsch.
Dies änderte sich jedoch 1940 mit der Besetzung Belgiens, wodurch das Reich ausreichend Uran- und Radiumerzvorkommen hatte, um nicht nur die Forschung voranzutreiben, sondern auch in der Theorie eine Atombombe zu konstruieren. Mit der Einnahme von Paris kam das Deutsche Reich auch in den Besitz eines Teilchenbeschleunigers, denn der befand sich im Pariser Institut des Physikers und Nobelpreisträgers Frederic Joliot-Curie (1900 – 1958), der nicht mit der ebenfalls in der Atomforschung so bedeutenden Marie Curie (1867 – 1934) verwandt, sondern mit deren Tochter (1897 – 1956) verheiratet war, mit der auch zusammen forschte. Erst 1943 gelang es den Deutschen, einen eigenen Teilchenbeschleuniger zu konstruieren. Schweres Wasser bezogen die Forscher aus der Osloer Fabrik „Norsk Hydro“, die die einzige Produktionsstätte für die zur Atomforschung dringen benötigte Ressource in Europa war und sich durch die Eroberungsfeldzüge der Nazis nun unter Kontrolle des Deutschen Reichs befand. Ferner musste das noch naturbelassene Uranerz zunächst zu Uranoxid und Uranmetall weiterverarbeitet werden, um es für Forschung und Technologien nutzbar zu machen. Hierzu errichtete das Heereswaffenamt ein entsprechendes Werk in Oranienburg.
Zunächst lief der Feldzug gegen Halbeuropa für das NS-Regime sehr erfolgreich, weshalb neue Waffentechnologien keine Priorität mehr hatten. Das Heereswaffenamt übertrug das Uranprojekt Ende 1941 daher ans Reichsforschungsamt. Als das Blatt sich wendete, hatte man die Forschung zu lange vernachlässigt, weshalb es noch einige Jahre gedauert hätte, um eine einsatzfähige Atomwaffe zu konstruieren. Hitler setzte daher auf seine sogenannten Vergeltungswaffen. Die seit Juli 1945 auf dem englischen Landsitz Farm Hall festgehaltenen Physiker des deutschen Uranprojektes glaubten daher zunächst nicht, was man ihnen zutrug, als die USA im August 1945 Japan mit Atombomben angriffen.
Literatur
Günter Nagel: „Das geheime deutsche Uranprojekt – Beute der Alliierten“, Jung, Zella-Mehlis 2016.
Günter Nagel: „Wissenschaft für den Krieg“ Franz Steiner, Stuttgart 2012.
Michael Schaaf: „Heisenberg, Hitler und die Bombe – Gespräche mit Zeitzeugen“ GNT-Verlag, Diepholz 2018, ISBN: 978-3-86225-115-5.