Mehrere Deutsche Fernsehpreise und Grimme-Auszeichnungen gingen 2018 an Babylon Berlin. Nur ein Jahr zuvor debütierte die Serie von Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten auf dem Bezahlsender Sky. Das deutschsprachige Erfolgsformat wurde in einer Kooperation zwischen Sky und der ARD-Produktionsfirma Degeto entwickelt – und beleuchtet eine außergewöhnliche Epoche der deutschen Geschichte. In die Weimarer Republik des Jahres 1929 entführt uns die serielle Erzählung, die Drama, Thriller und Zeitgeschichte miteinander vermischt.
Der Kölner Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch) wird damit betraut, in Berlin die Ursprünge einer mafiösen Verschwörung aufzudecken. Schon bald trifft er auf die mutige Stenotypistin Charlotte Ritter (Lisa Liv Fries), die sich als wichtige Verbündete erweist. Die auf den Romanen von Volker Kutscher basierende Erzählung erweckt die sozialen Spannungen, die politischen Unruhen und die facettenreiche Kultur der Weimarer Republik zum Leben. Aus gutem Grund kann die Epoche der Weimarer Republik als eigentlicher Hauptdarsteller der Serie angesehen werden, so durchleuchtet die Produktion kunstvoll die komplexen gesellschaftlichen Facetten der damaligen Zeit. Doch auf welchen historischen Ereignissen und Konflikten basiert das packend erzählte Zeitportrait von Tom Tykwer?
Die politische Situation in der Weimarer Republik
Verorten lässt sich die Erzählung der deutschsprachigen Erfolgsshow in der Weimarer Republik, die zwischen 1918 und 1933 existierte. Mit dem Ende der Monarchie durch die Novemberrevolution 1918 verschob sich das deutsche Machtzentrum hin zur parlamentarischen Demokratie. Ihren Namen verdankt die Weimarer Republik der verfassungsgebenden Weimarer Nationalversammlung zwischen 1919 und 1920. Politisches Zentrum blieb jedoch weiterhin die damalige Hauptstadt Berlin. Im Jahr 1929, dem Beginn der Serienhandlung, ist die Geschichte der Weimarer Republik bereits weit fortgeschritten.
Nach dem Ersten Weltkrieg und während der Novemberrevolution war das Land innenpolitisch zerrissen, rechte wie linke politische Strömungen kämpfen um die Macht im Land. Diesen extremen Strömungen kam Philipp Scheidemann mit dem Ausrufen der Republik zuvor. Doch das Land blieb, auch aufgrund der hohen Ausgleichszahlungen des Vertrags von Versailles – die sich 1921 auf 132 Milliarden Goldmark beliefen – und der damit verbundenen ökonomischen Unsicherheit während der Weimarer Republik, politisch instabil. Den Parlamentariern schlug von mehreren Seiten Skepsis und Ablehnung entgegen – von rechts wie links, sowie von kaisertreuen Traditionalisten und Militaristen, die ihre destabilisierende Dolchstoßlegende verbreiteten.
Das Parteiensystem der Babylon Berlin Republik
Trotz der gewaltigen gesellschaftlichen Fliehkräfte, konnte die Weimarer Republik knapp 15 Jahre überstehen, bevor die Diktatur das Land in die nächste wohl größte aller Krisen katapultieren sollte. Im damaligen Reichstag waren zeitweise bis zu 17 und in der Regel mehr als elf verschiedene Parteien vertreten, die instabilen Regierungen setzten sich meist aus Koalitionen mit mehr als drei Parteien zusammen. Es war keine Seltenheit, dass Regierungen mehrmals in einem Jahr wechselten. Über ein Dutzend Reichskanzler und -kabinette prägten den kurzen turbulenten politischen Zeitraum der Weimarer Republik. Zu den großen Parteien jener Zeit zählten die einflussreiche Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) sowie die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), die Deutsche Volkspartei (DVP), die Deutsche Demokratische Partei (DDP) und die Deutsche Zentrumspartei. Die extremen Flügel des Parlaments bildeten die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) sowie die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).
Von Wirtschaftskrisen gebeutelt
1929 ist auch deshalb ein Schlüsseljahr – und damit nicht zu unrecht Anfangspunkt der Serie – da im Oktober des Jahres die internationalen Börsen vom Schwarzen Donnerstag erschüttert wurden. Auch nach Deutschland schwappte diese ursprünglich amerikanische Krise, die sich zu einer ernsten Weltwirtschaftskrise entwickelte. Der daraus resultierende Protektionismus und das Einbrechen der industriellen Produktion sorgten für eine Flut an Arbeitslosen, die von Anfangs 2,85 Millionen bis 1932 auf über 6 Millionen anstieg. Die steigende Hoffnungslosigkeit hatte auch Rückwirkungen auf die Politik. Auf die bereits destabilisierende Hyperinflation der Jahre 1919 bis 1923 folgte 1930 die auf die Wirtschaftskrise reagierende Deflationspolitik des Reichskanzlers Heinrich Brüning, die von einer Bankenkrise und dem politischen Aufstieg der NSDAP begleitet wurde.
Der Aufstieg der NSDAP
Die gesellschaftliche Entwicklung der noch jungen Republik stand unter keinem guten Stern, schließlich kämpften kaisertreue Eliten, kommunistische Kräfte sowie erstarkende Nationalsozialisten um politischen Einfluss innerhalb des Landes. Der noch junge Gedanke einer parlamentarischen Republik war einem konstanten politischen Druck ausgesetzt, der schließlich zum Kollaps führen sollte. Der soziale Status vieler Menschen wurde sowohl durch industrielle Veränderungen als auch ständige Wirtschaftskrisen bedroht – die demokratische Identität konnte sich ob der vielen sozialen Milieus und widerstreitenden Gruppierungen nicht verlässlich ausprägen. Auf fruchtbaren Boden fielen zu jener Zeit Ressentiments gegen Minderheiten – insbesondere gegen jüdische Mitbürger, deren Situation durch die Dolchstoßlegende noch verschlechtert wurde. Aufgrund ihrer propagandistischen Verbindung von sozialen Themen und den fruchtbaren Ressentiments konnte die NSDAP 1930 mit 18,3 Prozent zur zweitstärksten Kraft im Parlament aufsteigen. Und Hitlers Machtergreifung 1933 sollte das Land für immer verändern.
Geheime Milizen – Die Schwarze Reichswehr
Instabilität verursachte auch das Aufkommen von paramilitärischen Organisationen wie der Schwarzen Reichswehr, die in der Serie Babylon Berlin eine prominente Rolle einnimmt. Der Friedensvertrag von Versailles verbot den Aufbau eines großen Militärapparats innerhalb der Republik, erlaubt war bloß eine Berufsarmee von maximal 100.000 Soldaten. Zur Entmilitarisierung gesellte sich auch das Verbot von militärischen Vereinen und Mobilmachungsmaßnahmen. Trotz der strengen Überwachung des deutschen Militärs durch die internationale Interalliierte Militär-Kontrollkommission (IMKK) bildete sich mit logistischer und finanzieller Unterstützung der Reichswehr die sogenannte Schwarze Reichswehr, verschiedene paramilitärische Verbände innerhalb der Weimarer Republik. Diese illegalen und destabilisierenden Militäreinheiten sollten das Gesicht der Republik nachhaltig verändern.
Kaisertreue und konservative Eliten
Von einer monarchistischen Restauration träumten konservative Demokratiekritiker und entmachtete Kaisereliten, die während der Weimarer Republik weiterhin großen Einfluss auf soziale Milieus ausübten. Militärische Kreise verbreiteten infolge des verlorenen Ersten Weltkriegs die sogenannte Dolchstoßlegende, die Demokraten – insbesondere die SPD – aber auch sogenannte „Reichsfeinde“ und jüdische Mitbürger des Verrats bezichtigte. Monarchisten wie Nationalsozialisten bedienten sich dieser Propaganda, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen und die Weimarer Republik zu stürzen.
Der kommunistische Einfluss
Babylon Berlin behandelt jedoch auch eine weitere Facette der Weimarer Republik: die kommunistischen und sozialistischen Strömungen. Als Gegenpol zum Nationalismus florierte ob der sozialen Missstände die Unterstützung für revolutionäre kommunistische Gruppen und Verbände. Von den Sozialdemokraten grenzten sich die stalinistischen Kommunisten ab, die ein ganz anderes Deutschland im Sinn hatten. Bereits zur Gründung der Weimarer Republik zeigte sich der Einfluss der sozialistischen Strömung, als der linksgerichtete Politiker Karl Liebknecht nur zwei Stunden nach Philipp Scheidemanns Ausruf zur Weimarer Republik eine „Freie Sozialistische Republik Deutschlands“ forderte. Obwohl dieses Ziel vorerst scheiterte, blieben sozialistische Strömungen wie die KPD auch in der Weimarer Republik einflussreich.
Blutige Straßenkämpfe
Nicht nur wegen der Wirtschaftskrise ist das Anfangsjahr der Serie – 1929 – so elementar für die Geschichte der Weimarer Republik. Zwischen dem 1. und 3. Mai fanden die sogenannten Mai-Unruhen statt, die heute auch als Blutmai bekannt sind – und auch in der Serie behandelt werden. Hier zeigt sich der politische Einfluss der kommunistischen Partei KPD, welche das Demonstrationsverbot am 1. Mai, eigentlich ein Feiertag, zu umgehen versuchte. Etwa 8.000 Menschen zog es auf die Straßen der Berliner Stadtbezirke Neukölln und Wedding. Ihnen begegneten Polizisten mit Schlagstöcken – und später mit schießenden Panzerfahrzeugen. 33 Zivilisten wurden bei den Unruhen getötet, die einen nachhaltigen Einfluss auf das innenpolitische Klima der Weimarer Republik ausübten. Die Differenzen zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Strömungen wurden spätestens jetzt immer deutlicher, die KPD flirtete sich immer mehr mit stalinistischen Positionen.
Die kulturellen Facetten der Weimarer Republik
Eindrucksvoll, wenn auch ein wenig überzeichnet, werden die kulturellen Strömungen jener Zeit in der Serie abgebildet. Trotz der politischen und ökonomischen Krisenjahre florierte während der Weimarer Republik eine lebhafte Kunst- und Kulturszene: darunter der Expressionismus und die nüchterne Gegenströmung der Neuen Sachlichkeit. Der mit Beginn der Weimarer Republik festgeschriebene Achtstundentag ermöglichte eine extensive persönliche Freizeitgestaltung. Über den Großen Teich schwappten die lebendige amerikanische Kultur: der Jazz etablierte sich in der Weimarer Republik. Zu den florierenden Jazzclubs und Cabarets gesellte sich ein modernes Körperverständnis mit Tanzeinlagen wie dem Charleston und einem (insbesondere in den Großstädten) liberalen Sexualverhalten. Das florierende eskapistische Partyleben war sich inmitten der beiden Weltkriege der eigenen Endlichkeit und dem nahenden Unglück hinter jeder Ecke wohl bewusst.