Der vorliegende Sammelband widmet sich ausgrenzenden politischen Ideologien von der Antike bis ins frühe 20. Jahrhundert. Er ist zugleich als Festschrift für Uwe Puschner konzipiert, der durch seine Grundlagenforschung zur völkischen Bewegung neue Perspektiven auf die Entstehung von Nationalsozialismus und Rechtspopulismus ermöglichte. Der Sammelband beschränkt sich allerdings nicht auf dieses Themenfeld, sondern befasst sich mit einem breiteren Spektrum verschiedenster Ausgrenzungs- und Ungleichheitsbegehren, die sich an Herkunft, Religion, Ethnie, Schicht und Geschlecht festmachten.
Am Beispiel Spartas und der athenischen Demokratie zeigen Ernst Baltrusch und Christian Wendt, dass gesellschaftliche In- und Exklusion in der griechischen Antike oft eher einen pragmatischen als einen weltanschaulichen Hintergrund hatten. Anders verhielt sich dies bei der Sklaverei. Hubert Cancik zeigt, dass selbst ein römisches Trauergedicht zum Tod eines Sklaven nicht als Zeugnis von Humanität gewertet werden kann, sondern die Degradierung des Menschen zur austauschbaren Ware nicht hinterfragte.
Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wurden soziale Ungleichheit und Ausgrenzung mit einem religiösen Überbau versehen. Als die Einheit der christlichen Kirche in der Reformation zerbrach, wurde die Konfession selbst zum Streitobjekt, da mit der Pluralisierung der Konfessionen nicht auch der Anspruch auf die Existenz einer einzigen und universellen Glaubenswahrheit verschwand. Étienne François widmet sich dem Zusammenleben von Protestanten und Katholiken in Augsburg zwischen 1648 und 1806, das häufig als Sonderfall frühneuzeitlicher religiöser Toleranz gewertet wird. Doch die Alternative zur Diskriminierung lag nicht in der Gleichberechtigung, sondern in einem System konfessioneller Parität wie es auch in den Reichsinstitutionen existierte. Olaf Blaschke befasst sich mit dem ultramontanen Katholizismus seit dem Ersten Vatikanischen Konzil und deutet ihn im Kontrast zur herkömmlichen Katholizismusforschung nicht als kirchenpolitische Richtung, sondern als ausgrenzende politische Ideologie. Tatsächlich ging es nicht vorrangig um Glaubensfragen, sondern darum, die Homogenität der Papstkirche durch die strikte Bekämpfung äußerer Feinde und innerer Abweichler in die Moderne hinein zu retten. Leider geht in Blaschkes Darstellung etwas unter, dass der Ultramontanismus in Deutschland auch über den Kulturkampf hinaus nicht nur eine ausgrenzende, sondern auch eine ausgegrenzte Ideologie war. Hier hätte die Chance bestanden, zu zeigen, dass eine Minderheit nicht allein deshalb zum Verfechter menschenrechtlicher Vorstellungen wird, weil sie sich in der Mehrheitsgesellschaft einer Diskriminierung ausgesetzt sieht. Über Katholiken als Ausgegrenzte im protestantischen Nationalstaat geht es in Richard Fabers Beitrag über Theodor Fontanes Roman „Grete Minde“ (1880). Dessen Handlung spielt zwar im Dreißigjährigen Krieg, reflektiert aber antikatholische Stereotypen zur Zeit des Kulturkampfs. Fabers Analogiesetzung zwischen Antikatholizismus im 19. Jahrhundert und Islamfeindlichkeit in der Gegenwart wirkt allerdings abenteuerlich, schon gar wenn man sie auf einem Roman als Quelle aufbaut.
Die Beiträge von Werner Treß, Ulrich Wyrwa und Werner Bergmann widmen sich dem modernen Antisemitismus, der religiöse Vorurteile nur noch am Rande beinhaltete. Schon Friedrich Rühs und Jakob Friedrich Fries, die als nationalistische Propagandisten mehr Furore machten als auf ihren akademischen Lehrstühlen, vertraten ein rassifiziertes Judenbild, das wenig Spielraum für Assimilation und Emanzipation ließ. Doch die Verbindung von Nationalismus und Antisemitismus war eine historische Möglichkeit, aber keine strukturelle Notwendigkeit. Das zeigt Ulrich Wyrwa an der führenden Teilhabe von Juden an nationalistischen Bewegungen und Diskursen in Deutschland zwischen 1858 und 1878. Der Bedeutungswandel des Nationalismus im frühen Kaiserreich scheint doch nicht so irrelevant zu sein wie die jüngere Nationalismusforschung suggeriert. Radikalisierung und Bedeutungsgewinn des Antisemitismus in der Weimarer Republik werden häufig auf den Boom von Verschwörungstheorien über Kriegsniederlage, Novemberrevolution und Bolschewismus zurückgeführt. Werner Bergmann geht auf einen oft vernachlässigten Aspekt ein: die so genannte „Ostjudenfrage“. Die Pogrome und der Zerfall der multinationalen Großreiche in Osteuropa führten in den frühen 1920er Jahren zu einer verstärkten Einwanderung von Ostjuden nach Deutschland. Dagegen polemisierten nicht nur die Rechtsparteien, sondern auch die demokratischen Parteien bemühten sich, unter den instabilen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die „unwillkommenen Ausländer“ fernzuhalten oder abzuschieben. Die in ihren Ausmaßen grob übertriebene Flüchtlingskrise verschaffte dem Antisemitismus einen konkreten politischen Gegenstand, der es ihm erlaubte, sich zumindest zeitweise aus seiner Isolierung im völkischen Milieu zu lösen.
Die Nation avancierte in der Moderne zum wichtigsten Bezugspunkt ausgrenzender Ideologien, insbesondere dann, wenn sie als ethnisch homogen vorgestellt wurde. Das sei, so die noch heute allgemein vorherrschende Auffassung, in Deutschland der Fall gewesen, aber nicht in Frankreich. Michel Grunewald zeigt hingegen am Beispiel der Rezeption von Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ durch die Action Française, dass sich auch die Nationskonzepte von „Erbfeinden“ gegenseitig beeinflussen konnten. Die Abwehrbereitschaft nach außen korrespondierte nach Auffassung vieler Nationalisten mit soziobiologischer Funktionalität nach innen. Daraus ergaben sich, wie Oliver Janz und Barbara von Hindenburg zeigen, kontroverse Diskurse um die Rolle der Frau, d.h. ob ihre gesellschaftliche und politische Teilhabe oder ihre Verpflichtung auf die Familie für die Nation mehr Vorteile im sozialdarwinistischen Daseinskampf biete.
In den unmittelbaren Forschungsbereich Uwe Puschners fallen die Beiträge zu kulturellen Hervorbringungen der völkischen Bewegung. Winfried Mogge befasst sich mit dem geplanten, aber nie gebauten neuheidnischen „Germanentempel“ in Witzenhausen, Stefanie Schnurbein referiert über die anachronistische Wikinger-Rezeption im völkischen Schrifttum des 19. und 20. Jahrhunderts und Ulrich G. Großmann stellt die weltanschaulich verbrämte Burgenkunde im Nationalsozialismus vor. Eine überraschende und traurige Aktualität kommt dem Beitrag Gregor Hufenreuters zu. Er rekonstruiert die Biografie des Lebensreformers Gustav Simons. Dieser machte nicht nur als Erfinder des Vollkornbrots Karriere und engagierte sich in der Obstbaukolonie Eden bei Oranienburg, sondern war auch ein fanatischer völkischer Antisemit. Dies stand keineswegs im Gegensatz zu seinem lebensreformerischen Gedankengut, denn in den Juden erkannte er die Verursacher zivilisatorischer Entartung. Die Umwelt- und Klimakrisen des späten 20. Jahrhunderts haben dazu geführt, dass Alternativbewegungen gerne unterschiedslos als links und progressiv eingestuft werden. Die gemeinsamen Demonstrationen von Esoterikern und Neonazis in der Corona-Krise sollten jedem offenbart haben, dass es sich hier um einen fatalen Irrtum handelt, der nicht zuletzt auf historischer Unkenntnis beruht.
Inwiefern die völkische Bewegung den Aufstieg des Nationalsozialismus begünstigte, untersucht Ulrich Pfeil am Beispiel der schleswig-holsteinischen Gemeinde Heide. Sie war schon im Kaiserreich eine Hochburg nationalistischer und wirtschaftlicher Interessenverbände sowie diverser völkischer Kernorganisationen. Der NSDAP fiel es leicht, dieses Milieu zu absorbieren und regelmäßig Wahlergebnisse zu erzielen, die weit über dem Reichsdurschnitt lagen. Weitgehend ausgelassen wurde allerdings die tiefe Verankerung völkischen Gedankenguts in der Heimatkultur. So bleibt der noch lange nach 1945 verehrte Literaturhistoriker Adolf Bartels, der bekannteste völkische Protagonist Dithmarschens, unerwähnt.
Die Nationalsozialisten profitierten aber nicht nur von der Kontinuität völkischen Gedankenguts, sondern auch von der Desintegration ehemaliger Eliten in der Weimarer Republik. Die einst protektionistisch verwöhnte Landwirtschaft litt, so Arndt Bauerkämper, zwischen 1918 und 1923 extrem unter Inflation und Bewirtschaftungspolitik. Die vermeintlich einseitige Bevorzugung urbaner Konsumenten gegenüber ländlichen Produzenten machte die Bauern zur leichten Beute rechtsradikaler Republikfeinde. Jens Flemming zeigt, dass sich hier auch ein Teil der Richterschaft einreihte. Sie empfand sich als degradierte Elite, gezwungen einer Staatsform zu dienen, die sie nicht unterstützte.
Leider begnügt sich der Sammelband mit einer Anhäufung historischer Spezialstudien. Eine soziologische und psychologische Einordnung von Ungleichheitsvorstellungen und Ausgrenzungsbedürfnissen wird nicht versucht. Die Einleitung von Tamara Or und Felix Wiedemann bleibt in dieser Hinsicht unergiebig und vermag nicht, den Einzelbeiträgen einen theoretischen Rahmen zu verschaffen.
Autor:Thomas Gräfe
David Bordiehn/ Chgristian Köhler/ Stefan Noack/ Susanne Wein (Hg.), Ausgrenzende politische Ideologien. Akteure, Organisationen und Programmatiken. Festschrift zu Ehren von Uwe Puschner, Berlin 2020.