Peter Bürger/ Werner Neuhaus, Am Anfang war der Hass. Der Weg des katholischen Priesters und Nationalsozialisten Lorenz Pieper (1875-1951). Erster Teil, Schmallenberg 2022.
Die Vereinbarkeit von Katholizismus und Antisemitismus im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist ein komplexes und kontrovers diskutiertes Thema. Die Immunitätsthese der kirchennahen Kommission für Zeitgeschichte kann mittlerweile als widerlegt gelten. Sie beruft sich auf die weitgehende Resistenz geschlossener katholischer Milieus gegenüber dem Nationalsozialismus. Damit verkennt sie, dass der moderne Antisemitismus kein Alleinstellungsmerkmal der Nationalsozialisten war, sondern mit anderen Begründungen auch in Kirche und katholischem Milieu Verbreitung fand. Viele ultramontane Katholiken hassten zugleich die Nazis und die Juden als Repräsentanten der säkularen Moderne. Dieses Einstellungsmuster kann man nicht unter einem religiös motivierten Antijudaismus verbuchen. Die Abwendung von judenfeindlicher Theologie ist zwar zu begrüßen, dringt aber nicht zum Kern des Problems vor, wenn sie mit der falschen Behauptung verbunden wird, Katholizismus und moderner Antisemitismus seien strukturell unvereinbar gewesen.
Doch mit dem milieuinternen Antisemitismus befasst sich die von dem Theologen Peter Bürger und dem Historiker Werner Neuhaus vorgelegte Studie nicht. Ihre Biografie des Priesters Lorenz Pieper (1875-1951) zeichnet die Karriere eines Geistlichen nach, dessen modernistische und antiultramontane Einstellung ihn nicht nach „links“, sondern vom Zentrum und vom Volksverein für das katholische Deutschland nach ganz „rechts“ führte. Pieper trat bereits 1922 der NSDAP bei und ging 1923 nach München, um Adolf Hitler mit Propagandavorträgen zu unterstützen. Von der Kirche zurück in seine sauerländische Heimat beordert, wurde Pieper in verschiedenen seelsorgerischen Stellungen eingesetzt, in denen er nie lange verblieb. Der umstrittene Priester wurde im Sauerland zu einer Schlüsselfigur im völkischen Vereinswesen. Er gehörte unter anderem dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund und dem Jungdeutschen Orden an. In diesem Zusammenhang scheute er sich nicht, radauantisemitische Propagandareden zu halten und Schriften mit völkisch-neuheidnischem Gedankengut zu veröffentlichen. Pieper war aber auch über das völkische Milieu hinaus in der Region gut vernetzt, insbesondere über den Sauerländer Heimatbund, die Dichterinnen Maria Kahle und Josefa Berens-Totenohl sowie über die Kleriker Alban Schachleiter und Joseph Roth.
1932 wurde Pieper wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft in den Ruhestand versetzt, aus dem man ihn nach der NS-Machtergreifung als Schulrat und Krankenhauspfarrer schnell reaktivierte. Als Pfarrer an der Provinzialheilanstalt Münster sprach sich Pieper 1941 gegen die T4-Aktion aus und warnte Angehörige von Patienten. Dies war jedoch der einzige Aspekt der NS-Ideologie, mit dem er aus religiösen und ethischen Gründen nicht einverstanden war. Er blieb ein ultraradikaler Antisemit, und zeigte sich auch nach 1945 uneinsichtig. Die Behandlung der Nachkriegszeit und des Entnazifizierungsverfahrens haben Bürger und Neuhaus allerdings auf einen geplanten zweiten Band verschoben. Dafür enthält die Biografie Piepers einen umfangreichen Dokumententeil mit abgedruckten Briefen und Veröffentlichungen des Priesters. Im Anhang findet man eine Zeittafel und eine kommentierte Liste mit Büchern aus Piepers Privatbibliothek.
Es ist zwar nicht die Aufgabe einer Biografie, nach sozialer Repräsentativität zu fragen. Jedoch ist es etwas unglücklich, völlig offen zu lassen, ob es sich bei Lorenz Pieper um einen Einzelfall handelt. Für München hat Derek Hastings dies eindeutig verneint.[1] Dort kann allerdings auch nicht von einem geschlossenen katholisch-ultramontanen Milieu ausgegangen werden wie im Sauerland. Zu kritisieren gibt es an der detail- und kenntnisreich zusammengestellten Biografie ansonsten nur einige Formalia. So ist die seitenlange Aneinanderreihung von Quellenzitaten zum Nachweis desselben Sachverhalts wenig nützlich. Die Autoren setzen den Begriff „Euthanasie“ zwar in Anführungszeichen, erläutern aber nicht, warum er problematisch ist und die Mordaktion an Behinderten nicht sachgerecht umschreibt.
Autor: Thomas Gräfe
[1] Derek Hastings, Catholicism and the roots of Nazism. Religious Identity and National Socialism, Oxford 2010.