Zwischen Normalität und Ausnahmezustand: Alltagserfahrungen im Zweiten Weltkrieg
Wenn die Welt Kopf steht, bleibt dennoch der Alltag nicht stehen. Die Herausforderungen des Lebens bekommen lediglich eine weitere und oft unerträgliche Qualität. Krieg ist immer ein solcher Moment, der den Alltag aus den Fugen holt und für eine neue Realität sorgt. Über sechs Jahre sollten somit die Dinge des Lebens von den Menschen bewältigt werden, während parallel Schüsse und Bomben die Völker mit einer nie zuvor dagewesenen Brutalität entzweite. Aufzeichnungen und Erfahrungsberichte aus dieser Zeit vermitteln uns heute einen umfangreichen Einblick in die Alltagswelten der damaligen Menschen.
Schüler/in sein im Dritten Reich: Lernen ohne viele Fragen zu stellen
Zu den Alltagserfahrungen junger Menschen zählt die Schule. Die ganz grundsätzlich in Zeiten des Krieges ihrem üblichen Unterrichtsplan folgte. Die Schüler/innen wurden schon damals in unterschiedlichen Fächern von verschiedenen Lehrkörpern unterrichtet. Die Leitung der Schule hatte in aller Regel ein strammer Nationalsozialist inne. Dieser sorgte dafür, dass alle in seiner Schule „auf Linie“ waren. Das galt für Lehrer/innen wie auch Schüler/innen in gleicher Weise. Wer „aus der Reihe tanzte“ und nicht den Ansprüchen des Nazi-Regimes entsprach, dem drohten Sanktionen. Viele aus Lehrpersonal und Schülerschaft mussten von den nationalsozialistischen Idealen nicht sonderlich überzeugt werden, sie brachten diese Anschauung bereits selber mit oder hatten sich durch die ständige Propaganda von ihr nachhaltig beeinflussen lassen. Jene erschienen gerne in Uniform zum Unterricht, die Schüler/innen in entsprechender HJ-Bekleidung (Hitlerjugend beziehungsweise Bund Deutscher Mädels). Aber es gab auch Abweichler/innen in den eigenen Reihen: Lehrer/innen, die beispielsweise bei der Begrüßung auf den Hitlergruß verzichteten und damit bereits ein Signal setzten. Es war jedoch stets Vorsicht geboten. Herrschte im eigenen Haushalt eine kritische Meinung gegenüber dem Hitler-Regime, so wusste jedes Kind, dass es darüber nicht mit anderen in der Schule sprechen durfte. Verschwiegenheit war das Gebot der Stunde und in vielen Fällen gewiss überlebensnotwendig. Der Schulalltag wurde mit zunehmender Kriegsbeteiligung der Alliierten immer wieder von Bombenangriffen unterbrochen, wo die Schüler- und Lehrerschaft schnell einen sicheren Zufluchtsort suchen mussten. Bei anhaltender Bombardierung, wurde der Unterricht im Luftschutzbereich „wie normal“ fortgesetzt.
Zuhause mussten die Frauen den Alltag meistern
Gerade in den letzten Kriegsjahren waren alle einsatzfähigen Männer militärisch in den Krieg eingebunden. Zuhause blieben die Frauen und die Kinder. Jene Frauen standen vor der Tatsache, dass trotz der Mehrbelastung des Krieges noch weniger eigene Ressourcen zur Verfügung standen. Denn der „Broterwerb“ war aus nationalsozialistischer Sicht primär für den Mann vorgesehen. Die „deutsche Frau“ hatte ihren Platz am Herd und in der Kinderstube. Maximal durfte sie solchen Tätigkeiten nachgehen, die in den Augen des Nazis noch einigermaßen ihrem weiblichen Ideal entsprachen, wie beispielsweise einer Arbeit in der Krankenpflege. Die Realität sah jedoch ganz anders aus, denn der eigene und die Bäuche der Kinder wollten gestopft und die Unkosten des Alltags bezahlt werden. Entsprechend hatten die Frauen eine doppelte Belastung zu tragen, Beruf und Familie mussten irgendwie in Einklang gebracht werden, ohne dabei auf irgendeine staatliche Unterstützung hoffen zu können. Aber auch das sich selbst verherrlichende Regime musste irgendwann anerkennen, dass es auf die helfenden weiblichen Hände nicht verzichten konnte. So arbeiteten in den letzten Jahren auch vermehrt Frauen in den verschiedensten Industriestätten, zum Beispiel in der Munitionsproduktion.
Umgehen mit Knappheit: Kreativität bei der Lebensmittelbeschaffung gefragt
Anfang des Krieges war noch für eine ausreichende Versorgung in den Grundnahrungsmitteln und sonstigen notwendigen Ressourcen gesorgt. Allerdings mussten mit Kriegszunahme nach und nach die wichtigsten Güter rationiert werden, um so eine einigermaßen „gerechte“ Versorgung zu gewährleisten. Dies beschäftigte die Menschen sehr, da ihnen die Hungersnot aus dem Ersten Weltkrieg mit Schrecken noch im Nacken saß. Milch, Butter, Fleisch und andere Nahrungsmittel waren ab 1939 nur noch mit Lebensmittelkarten erhältlich. Regimegegner/innen und nicht-arische Menschen waren ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ausschließlich von drastischen Sanktionen bedroht, sondern mussten sich zusätzlich dem Hungerkampf stellen, da ihnen keine Lebensmittelkarten ausgestellt wurden. Solche Nutzkarten wurden aber nicht nur in Bezug auf Nahrungsmittel zugeteilt. Ab 1939 regelten sogenannte „Reichskleiderkarten“ die Garderobe der Menschen. Die Bezahlung erfolgte nach einem Punktesystem, jede Karte verfügte über eine begrenzte Anzahl an Bezahlpunkten (100 Punkte je Karte, zum Beispiel ein Paar Socken: 4 Punkte, Damenkostüm: 45 Punkte). Wie so oft im Leben, litten unter diesen Einschränkungen die Menschen, die über ein mittleres oder kleineres Einkommen verfügten. Wer es sich leisten konnte, fand Wege die Rationierungen zu umgehen.
Auf andere Gedanken kommen: Wie sich Menschen vom Kriegsalltag abgelenkt haben
Zur menschlichen Natur gehört dazu, dass sie nicht permanent einer Belastung standhalten kann und nach Wegen der Verarbeitung und Ablenkung sucht. Kultur bietet oft den gewünschten Rahmen, um auf andere Gedanken zu kommen. Die Menschen versuchten in den Kriegsjahren durch Kultur etwas Ablenkung zu erfahren und waren froh, um jede Form der Unterhaltung, die ihnen geboten wurde. Radio war das damals beliebteste und erschwinglichste Medium, um Unterhaltungskultur genießen zu können. Das Kino begeisterte immer mehr Menschen, wer konnte, der verbrachte einen unterhaltsamen Abend bei einem Kinofilm. Musik dröhnte nicht nur zur Ablenkung aus den Lautsprechern, denn selbst sie unterlag den Regularien und Vorstellungen der Nationalsozialisten. Diese wussten – wie niemand zuvor – die Kultur als Mittel der Propaganda zu nutzen. Vorbilder dieser Zeit hatten regimetreu zu sein, ansonsten war eine Karriere im NS-Staat nicht möglich. Deshalb versuchten etliche kritische Kulturschaffende ihr Glück im Ausland, wie beispielsweise die einzigartige Marlene Dietrich. Zu den bewunderten und unkritischen Größen dieser Zeit zählten unter anderem Heinz Rühmann und Zarah Leander.
Alltag und Krieg: Normalität im Ausnahmezustand
Unter den Nationalsozialisten war alles im Alltag der Menschen durchdringt von der Ideologie des Hitlerregimes, welche letztendlich in dem vernichtenden Zweiten Weltkrieg und Millionen von Toten endete. Die Menschen wurden in den Kriegsjahren mit außerordentlichen Herausforderungen konfrontiert, während nebenbei der Alltag weiter lief und bewältigt werden musste. „Zwischen Normalität und Ausnahmezustand“ beschreibt diese Zeit wohl am Trefflichsten, welche die Alltagserfahrungen der Menschen in den Kriegsjahren 1939 bis 1945 ausgemacht haben.
Autor: Bernd Fischer
Literatur & Links
Barth, Reinhard / Friedemann Bedürftig: Taschenlexikon Zweiter Weltkrieg, München 2000.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Derman, Sabine: Alltag im Krieg. Bombenstimmung und Götterdämmerung 1939-1945, Wien 1998.
Maser, Werner: Das Dritte Reich. Alltag in Deutschland von 1933 bis 1945, Beltheim 1997.
Schöbel, Martin: Interview im Rahmen seiner Belegarbeit 2005 über den Schulalltag unter den Nationalsozialisten. https://www.bsz-gast-dd.de/history/1930er/schulalltag.htm
Welt.de: Zweiter Weltkrieg – Alltag im Krieg. https://www.welt.de/themen/zweiter-weltkrieg-alltag-im-krieg/
Zeitklicks.de: Die Rolle der Frau. https://www.zeitklicks.de/nationalsozialismus/zeitklicks/zeit/alltag/gesellschaft-1/die-rolle-der-frau/