Albert Einsteins große Reue: Die Rolle des größten Naturwissenschaftlers des 20. Jahrhunderts beim Bau der größten Massenvernichtungswaffe
„Wenn ich gewusst hätte, dass es den Deutschen nicht gelingen würde, die Atombombe zu konstruieren, hätte ich mich von allem ferngehalten“,
sagte Albert Einstein (1879 – 1955) rückblickend über einen Brief, den er im August 1939 an US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882 – 1945) richtete. In diesem Schreiben brachte Einstein seine Sorge, Adolf Hitler (1889 – 1945) könne die Macht der Kernspaltung nutzen, um damit in den Besitz einer Waffe mit nie dagewesener Zerstörungskraft zu gelangen, zum Ausdruck. Jene Waffe, die Atombombe, bauten die USA daraufhin selbst. Das Manhattan-Project in Los Alamos, eine 150.000 Mann starke Forschungsgruppe konstruierte unter der Leitung von J. Robert Oppenheimer (1904 – 1967) tatsächlich die Atombombe, testete sie aber im Rahmen von Trinity erst am 16. Juli 1945 um 5:29:45 Uhr Ortszeit, also über zwei Monate nach Kapitulation des Deutschen Reiches. Die Nazis hatten ihr Uranprojekt nur sehr halbherzig betrieben und hatten noch dazu zwei Forschergruppen konkurrieren und nicht kooperieren lassen: eine geleitet von Werner Heisenberg (1901 – 1976) und eine von Kurt Diebner (1905 – 1964). Da aber vor Kriegsausbruch die Universität von Göttingen die Hochburg der Atomforschung gewesen war und der Nachweis der Kernspaltung erstmals Otto Hahn (1879 – 1968) und seinem Assistenten Fritz Straßmann (1902 – 1980) 1938 am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin geglückt war, hatten Wissenschaftler, die wie Einstein und Oppenheimer mit jenen Wissenschaftlern zusammengearbeitet hatten, durchaus eine berechtigte Angst, die Atombombe könne den Nazis in die Hände fallen.
„Autoritätsdusel ist der größte Feind der Wahrheit.“
Aber wie ausschlaggebend war Einsteins Brief? Immerhin bauten Sowjetunion, das Kaiserreich Japan und eben das Deutsche Reich von sich aus an der Atombombe, weshalb man nicht ausschließen kann, dass die Amerikaner nicht ohnehin alles darangesetzt hätten, die Bombe zu bauen. Doch die bloße Möglichkeit, sein Brief könne ein ausschlaggebend Faktor gewesen sein, trieb den Pazifisten und Sozialisten Einstein bis an sein Lebensende gerade in Anbetracht des letztendlichen Einsatzes der Waffe um.
„Vorstellungskraft ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“
Erschwerend hinzukommt, dass Einsteins wohl berühmteste wissenschaftliche Erkenntnis, die Relativitätstheorie ein wichtiges Hilfsmittel für den Bau der Atombombe darstellte. Denn neben all den Erkenntnissen über Zusammenhänge von Raum, Zeit und Gravitation, die Science-Fiction-Autoren seither beflügeln, sagt die Relativitätstheorie mit ihrer berühmten Formel E = m c2 aus, dass eine Masse (m) bei extrem hoher Geschwindigkeit (c steht als Konstante für die Lichtgeschwindigkeit) zu Energie (E) wird oder streng wissenschaftlich ausgedrücktt: Masse ist Energie geteilt durch den Umrechnungsfaktor c2. Bei der Spaltung von Atomen wird die Bindungsenergie, die den Atomkern zusammenhält, frei: Die Ruhemasse des instabilen Atoms wird durch die Spaltung in zwei andere Elemente als Energie freigesetzt. Der Laie spricht hier fälschlicherweise oft von „Umwandlung“, doch sagt der Energieerhaltungssatz, dass Energie zwar von einer Energieform zu einer anderen umgewandelt werden kann, die Energie als eigene Größe aber in jedem System konstant ist. Da wir aber ein Geschichtsportal und kein Physikportal sind, sei an dieser Stelle auf den Artikel der Kollegen von „Einstein online“ verwiesen.
„Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“
Albert Einstein entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie und wurde am 14. März 1879 in Ulm, das damals zum Königreich Württemberg gehörte, aber schon Teil des 1871 geeinten Deutschen Reiches war, geboren. Bei Geburt hatte Albert Einstein also die württembergische Staatsangehörigkeit (eine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit führten erst die Nazis ein), die er aber 1896 wegen seiner Weigerung Militärdienst zu leisten, verlor. Bis 1901, als Einstein die Schweizer Staatsangehörigkeit annahm, war er staatenlos – ein Schicksal, das er übrigens sowohl mit Adolf Hitler als auch mit Karl Marx (1818 – 1883) teilte. Die Eltern von Albert Einstein, Hermann (1847 – 1902) und Pauline Einstein (geborene Koch, 1958 – 1920), waren keine praktizierenden Juden und erzogen Albert und seine Schwester Maja (1881 – 1951) frei und in keiner Weise autoritär. Albert Einstein begann zwar erst spät und zögerlich zu sprechen (mit drei Jahren), war aber in der Schule – gerade in Mathematik und den Naturwissenschaften – ein herausragender Schüler. Die Albert in jungen Jahren attestierte Begriffsstutzigkeit – er sprach zögerlich, wirkte oft abwesend – nährt bis heute die Idee, Einstein sei hochfunktionaler Autist gewesen, was sich jedoch nur aufgrund der biografischen Überlieferungen weder belegen noch widerlegen lässt. Die Mär, Einstein sei ein schlechter Schüler gewesen, ist hingegen genau das: Ein Märchen, das entstand, weil der erste Einstein-Biograf das Benotungssystem in der Schweiz, wo Einstein seine Matura ablegte, weil er München, das er als „antisemitisches reaktionäres Wespennest“ beschrieb, nach einer Konfrontation mit einem Lehrer entflohen war, mit dem deutschen gleichgesetzt hatte: Beide verwenden Zahlen von 1 bis 6, jedoch steht im Schweizer System die 6 für eine „sehr gute“ Leistung und die 1 für „ungenügend“ – also umgekehrt zum deutschen Notensystem. Nach der Matura begann Albert Einstein 1896 ein mathematisch-physikalisches Fachlehrerstudium an der Technischen Hochschule Zürich. Es war der zweite Anlauf – ein Jahr zuvor war er noch abgewiesen worden. Nach vier Jahren schloss er es mit dem entsprechenden Diplom ab, wurde aber nicht Lehrer, sondern arbeitete von 1902 bis 1909 als Technischer Vorprüfer am Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum (dem Schweizer Äquivalent zum Patentamt) in Bern.
„Der gesunde Menschenverstand ist nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat.“
Doch publizierte Einstein in jener Zeit wissenschaftliche Theorien, so etwa zur Quantentheorie, die er ausgehend von den Arbeiten von Max Planck (1858 – 1947) um die Hypothese der Lichtquanten erweiterte, 1905 in „Annalen der Physik“. Hier veröffentlichte er im selben Jahr, in dem er zudem auch Artikel zur brownschen Molekularbewegung schrieb, auch erstmals die Spezielle Relativitätstheorie. Man spricht daher bei 1905 auch von Einsteins Annus mirabilis (lat.: „Wunderjahr“). Während er zunächst noch die theoretischen Grundlagen der speziellen Relativitätstheorie darlegte, folgte bald darauf die die ebenso berühmte wie folgenschwere Formel E = m * c². Einsteins Theorien fanden raschen Anklang im Kreis seiner Kollegen. 1906 wurde Einsteins Habilitation (Lehrbefähigung an Hochschulen) an der Universität Bern noch abgelehnt, sie gelang ihm dann ein Jahr später. 1909 wechselte er an die Universität Zürich, wo er die außerordentliche Professur für theoretische Physik erhielt. Allerdings schien die Lehrtätigkeit ihm zu jener Zeit eher lästig gewesen zu sein. 1912 nahm er eine Stelle an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich an, um dort seiner Tätigkeit als Forscher verstärkt nachzugehen, war aber weiterhin zu Lehrveranstaltungen zur theoretischen Physik verpflichtet. So folgte er dann am 1. April 1914 dem Ruf der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, die ihm eine Stelle anbot, bei der er sich nun ausschließlich der Forschung widmen konnte. Anderthalb Jahre später formulierte Albert Einstein dann die Allgemeine Relativitätstheorie, mit der er die theoretische Physik ein weiteres Mal revolutionierte.
„Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger, aber doch reichlich primitiver Legenden. […] Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Incarnation des primitiven Aberglaubens. Und das jüdische Volk, zu dem ich gern gehöre und mit dessen Mentalität ich tief verwachsen bin, hat für mich doch keine andersartige Dignität als alle anderen Völker. Soweit meine Erfahrung reicht, ist es auch um nichts besser als andere menschliche Gruppierungen, wenn es auch durch Mangel an Macht gegen die schlimmsten Auswüchse gesichert ist. Sonst kann ich nichts ‚Auserwähltes‘ an ihm wahrnehmen.“
Mit den 1920er-Jahren begann die schleichende Veränderung des politischen Klimas im Deutschen Reich – die Nationalsozialisten begannen langsam aber stetig an Relevanz zu gewinnen. Einstein sah sich wegen seiner jüdischen Wurzeln, aber auch wegen seiner Forschung immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Am 24. August 1921 wurde der vom jüdischen Architekten Erich Mendelsohn (1887 – 1953) entworfene Einsteinturm in Potsdam eingeweiht, von dessen Turmteleskop aus die Relativitätstheorie empirisch nachgewiesen werden sollte. Im selben Jahr wurde Albert Einstein für seine revolutionären wissenschaftlichen Erkenntnisse und Theorien, allen voran die Einführung der Lichtquanten, mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Nach dem Mord am jüdischen DDP-Politiker Walther Rathenau (1867 – 1922) verließ Einsteins erstmals aus Angst vor antisemitischen Übergriffen die Hauptstadt – ebenso nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch im November 1923 und nach den Reichstagswahlen von 1932.
„Die Majorität der Dummen ist unüberwindbar und für alle Zeiten gesichert. Der Schrecken ihrer Tyrannei ist indessen gemildert durch Mangel an Konsequenz.“
Als am 30. Januar 1933 die Nazis die Macht übernahmen, befand Albert Einstein sich in Pasadena, Kalifornien, USA. Noch ehe die neuen Machthaber den jüdischen Physiker aus der Preußischen Akademie der Wissenschaften ausschließen konnten, legte der sein Amt nieder. Einstein protestierte öffentlich gegen die Menschenrechtsverletzungen im Deutschem Reich. Mit einer neuen Anstellung am Princeton Institute for Advanced Studies in Princeton, New Jersey wurden die Vereinigten Staaten zu Einsteins neuer Wahlheimat. Während er hier an der „Weltformel“, einer Gleichung, die in der Lage sein sollte, alle Grundkräfte der Physik (Gravitationskraft, Elektromagnetische Wechselwirkung, Schwache Kernkraft und Starke Kernkraft) miteinander in Relation zu setzen, arbeitete, half Einstein Künstlern und Wissenschaftlern aus den von den Nazis kontrollierten Gebieten Europas in die USA überzusiedeln, so etwa dem österreichischen Schriftsteller Hermann Broch (1886 – 1951). Am 2. August 1939 unterzeichnete Einstein dann den folgenschweren Brief an Roosevelt:
„Ich habe einen schweren Fehler in meinem Leben gemacht – als ich den Brief an Präsident Roosevelt mit der Empfehlung zum Bau von Atombomben unterzeichnete; aber es gab eine gewisse Rechtfertigung dafür – die Gefahr, dass die Deutschen welche bauen würden.“
Hitler im Besitz der Atombombe und die Alliierten nicht, das war das Horrorszenario des überzeugten Pazifisten Albert Einstein, denn einen gewissenlosen Massenmörder wie Hitler würde nur ein Gleichgewicht der Kräfte, die Angst vor der Konsequenz des Gegenschlages vor dem Einsatz so einer Waffe zurückschrecken lassen. Leó Szilárd (1898 – 1967), der am Bau der Bombe mitgearbeitet hatte, hatte von ihrem Einsatz abgeraten, einen Brief an Roosevelt gerichtet. Einstein tat es ihm gleich, doch der Präsident starb. Sein Nachfolger Harry S. Truman (1884 – 1972) hat den Brief entweder nie gelesen oder ignoriert. Was Szilárd und Einstein gefürchtet hatten, geschah dann im August 1945: Die Waffe, deren bloße Existenz der Abschreckung dienen sollte, kam zum Einsatz und die USA löschten die Städte Hiroshima und Nagasaki am 6. beziehungsweise 9. August 1945 mit den Atombomben „Little Boy“ und „Fat Man“ aus. Nahezu alle Wissenschaftler, die diesem Kriegsverbrechen mit ihrer Forschung den Weg geebnet hatten, zeigten sich schockiert über den tatsächlichen Einsatz der Waffe – nicht nur Einstein, auch Hahn, Heisenberg, Szilárd, selbst Oppenheimer. Einstein, der, als er die Nachricht im Radio hörte, nur noch ein leises „Oh, weh“ seufzte, gründete mit Szilárd daraufhin das Emergency Committee of Atomic Scientists und engagierte sich fortan – wie auch viele seiner Kollegen – für die friedliche Nutzung der Atomenergie.
„Nachdem die Deutschen meine jüdischen Brüder in Europa hingemordet haben, will ich nichts mehr mit Deutschen zu tun haben, auch nichts mit einer relativ harmlosen Akademie.“
Einsteins Verhältnis zu seinem einstigen Heimatland war – auch wenn er keine generelle Abneigung gegen jeden Deutschen hatte (Sippenhaft wäre für jemanden seines Intellekts wohl auch allzu kleingeistig gewesen) – schwierig. Er lehnte Versuche, ihn wieder nach Deutschland zu holen, allesamt ab. Für die Gründung Israels machte er sich währenddessen stark. Man darf hierbei aber nicht vergessen, dass Albert Einstein 10 Jahre nach Kriegsende, am 18. April 1955, in Princeton starb, also lange bevor die Deutschen bereit waren, sich mit ihrer eigenen Geschichte wirklich auseinanderzusetzen. Denn der Prozess der Aufarbeitung kam vor allem mit dem Heranwachsen der ersten Nachkriegsgeneration Mitte der 60er-Jahre. Bis dahin herrschte bei vielen Deutschen die Leugnung der kollektiven Schuld vor.
„Holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht.“
Seine Rolle beim Bau der Atombombe sollte nicht die wahre Lebensleistung Einsteins überschatten, eines Physikers, Philosophen, Pazifisten, Menschenrechtlers, Sozialisten und Zionisten, dessen Erkenntnisse unser Verständnis von Raum und Zeit so sehr revolutionierten, dass nachfolgende Wissenschaftlergenerationen bis heute damit beschäftigt sind, ihr wahres Ausmaß zu erfassen. Wir verdanken ihm aber auch Technologien, die sich heute in praktisch jedem Haushalt befinden – vom Kühlschrank bis zum DVD-Player.
Quellen und weiterführende Literatur
Thomas Bührke: Albert Einstein. dtv, München 2004, ISBN 3-423-31074-X. (Ein biografischer Überblick über Einsteins Leben.)
Alice Calaprice, Daniel Kennefick, Robert Schulmann: An Einstein Encyclopedia. Princeton University Press, 2015.
Ronald W. Clark: Albert Einstein – Leben und Werk, 100 Jahre Relativitätstheorie. Tosa Verlag, Wien 2005, ISBN 3-85492-604-9 (die Taschenbuchausgabe erschien in 8. Auflage 1988 im Heyne Verlag).
Banesh Hoffmann, Helen Dukas: Albert Einstein. Schöpfer und Rebell. Dietikon-Zürich, Belser 1976.
Albrecht Fölsing: Albert Einstein. Suhrkamp Verlag, 1995, ISBN 3-518-38990-4.