Ein weiterer Gang auf der cineastischen NS-Speisekarte
Man könnte meinen, jeder Winkel der NS-Zeit sei inzwischen filmisch ausgeleuchtet – vom Führerbunker bis zur fiktiven Nazi-Zahnärztin. Vielleicht fehlen nur noch Hitlers Haustiere oder seine Leibwäscher als Leinwandhelden. Und doch findet sich mit Die Vorkosterinnen ein neuer Eintrag im Menü deutscher Vergangenheitsbewältigung – diesmal mit Besteck, Porzellan und tödlicher Vorspeise.
Ein düsteres Frauenensemble unter Porzellanlampen nahe der Wolfsschanze
Herbst 1943: Die junge Berlinerin Rosa Sauer flieht vor den Bombenangriffen aufs ostpreußische Land und wird dort unfreiwillig Teil eines makabren Kommandos. Gemeinsam mit sechs weiteren Frauen soll sie im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ die Mahlzeiten Adolf Hitlers auf Gift testen – zweimal täglich, unter den wachsamen Augen der SS. Was wie eine absurde Fußnote aus einem satirischen Tarantino-Drehbuch klingt, basiert tatsächlich auf spärlich belegten Erinnerungen der echten Margot Wölk.
Der Film begleitet Rosa durch diesen Alltag voller Angst, Hunger, Stille und sich langsam entwickelnder Solidarität unter den Vorkosterinnen. Zwischen Porzellangeschirr und Suppenterrine entfaltet sich das Drama aus Perspektive derer, die zwar am Rande des Systems stehen, aber dennoch Teil davon sind. Als Rosa sich dann auch noch auf eine Affäre mit einem SS-Offizier einlässt, rutscht der Film endgültig in moralisches Grauzonen-Terrain – nicht ohne Risiko, wie sich zeigt.
Ein ungewöhnlicher Blick auf eine überstrapazierte Ära
Die Vorkosterinnen will etwas Neues erzählen – und das gelingt zumindest im Ansatz. Dass inmitten der unendlichen NS-Filmografie einmal nicht Soldaten, Generäle oder Widerstandskämpfer, sondern sieben junge Frauen im Zentrum stehen, wirkt zunächst frisch. Die weibliche Perspektive auf den Kriegsalltag ist selten. Dass sie hier an einem gedeckten Tisch sitzen, bei dem jeder Bissen tödlich sein könnte, schafft eine intime Spannung.
Trotzdem entkommt auch dieser Film nicht dem Verdacht, Teil einer mittlerweile ritualisierten Filmtradition zu sein, in der die NS-Vergangenheit filmisch immer neue Blüten treibt – manchmal realitätsnah, manchmal poetisch, manchmal unfreiwillig grotesk. Ein Film über Hitlers Hühnerstall wäre wohl nur noch eine Frage der Zeit. Und auch Die Vorkosterinnen reiht sich irgendwann ein in diese lange Galerie gut gemeinter, aber nicht immer neuer Erzählungen.
Wenn Stil auf Routine in Ostpreussen trifft
Regisseur Silvio Soldini inszeniert mit ruhiger Hand. Er verzichtet auf Pathos, lässt viele Szenen für sich stehen, ohne sie zu überfrachten. Das langsame Tempo spiegelt die Routine des Vorkostens wider – Busfahrt, Tischszene, Stille. In diesen Momenten ist der Film stark. Die Tischaufnahmen, das stoische Kauen unter SS-Blick, der zaghafte Aufbau von Vertrauen unter den Frauen: Das alles erzeugt eine Spannung, die leise daherkommt, aber wirkt.
Doch je weiter der Film voranschreitet, desto schwerer wird sein eigenes Gewicht. Die Inszenierung beginnt zu schleppen. Wiederholungen setzen ein, dramaturgische Ideen wirken nach Schema F eingeführt. Die Balance zwischen innerer Spannung und filmischer Bewegung gerät ins Wanken. Was als atmosphärisch dichte Studie beginnt, wird stellenweise zu einem etwas ermüdenden Routinefilm – hochwertig inszeniert, aber ohne nachhaltigen cineastischen Nachhall.
Glanzlichter dank starker Darstellerinnen und ganz ohne Hitler
Die große Stärke des Films liegt in seinem Ensemble. Elisa Schlott als Rosa trägt das Geschehen mit beeindruckender Präsenz. Ihre Darstellung einer Frau, die zwischen Pflicht, Angst und Begierde schwankt, ist fein abgestimmt und glaubwürdig. Auch die anderen Vorkosterinnen – etwa Alma Hasun als Elfriede – schaffen es, mit wenigen Dialogen starke Charaktere zu zeichnen.
Max Riemelt als SS-Offizier ist ein ambivalenter Gegenspieler: harsch, kontrolliert, aber mit kleinen Rissen in der Fassade. Seine Figur bleibt umstritten – nicht zuletzt wegen der romantischen Handlung, die der Film zwischen ihm und Rosa konstruiert. Hier geraten moralische Dimensionen ins Wanken, was man als mutig oder unangenehm empfinden kann. Eine solche Liaison wirkt in einem historischen Kontext wie diesem schnell deplatziert – oder zumindest problematisch weichgezeichnet.
Zwischen echter Spannung und konstruiertem Drehbuch und einer wahren Geschichte des Zweiten Weltkriegs
Das Drehbuch lässt vielversprechende Ideen anklingen, verliert aber zusehends die Kontrolle über den Ton. Die Spannung des Settings – Gift, Tod, Gehorsam – wird durch zu viele Nebenhandlungen verwässert. Die Liebesgeschichte wirkt unnötig, einige Twists (eine Jüdin unter den Testerinnen!) fast schon als dramaturgischer Reflex. Das alles könnte man verzeihen, wenn der Film sich durchgängig trauen würde, konsequent bei den Frauen und ihren Ängsten zu bleiben. Doch stattdessen verheddert sich das Drehbuch in zu vielen Details, die es nicht braucht.
Die historische Genauigkeit bleibt dabei ohnehin vage – was okay wäre, würde der Film dies auch als Fiktion erkennbar markieren. Doch an manchen Stellen hat man das Gefühl, hier werde ein wenig glattgebügelt, ein wenig versöhnt, ein wenig zu versöhnlich erzählt. Das ist schade, weil das Setting und die Grundidee eigentlich viel mehr Sprengkraft besitzen.
Die Vorkosterinnen: Gedeckter Tisch, bekannte Zutaten
Die Vorkosterinnen ist kein schlechter Film. Er ist ambitioniert, fein gespielt, schön ausgestattet – und er versucht, eine neue Perspektive zu erzählen. Doch in einem überfüllten Genre wie dem NS-Historienfilm braucht es mehr als nur eine originelle Idee. Es braucht Mut zur Reduktion, zur klaren Haltung, zur dramaturgischen Strenge.
Was bleibt, ist ein solides Drama mit starker Besetzung und interessanter Prämisse. Aber auch ein Werk, das zeigt, wie schwer es geworden ist, in diesem Thema noch frische Geschichten zu finden. Vielleicht ist es wirklich Zeit, dass Hitlers Dackel seinen eigenen Film bekommt. Oder wenigstens die Geschichte seiner Leibwäsche. Denn irgendwann ist auch der letzte Bissen Vergangenheit aufgetischt.
Wer mehr über die Ernährungsgewohnheiten Adolf Hitlers erfahren will, findet diese hier in dem Beitrag „Hitler Vegetarier„