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Uwe Neumärker / Robert Conrad / Cord Woywodt: Wolfsschanze. Hitlers Machtzentrale im Zweiten Weltkrieg. 3. aktualisierte und erweiterte Auflage. Ch. Links, Berlin 2007, 238 Seiten, ISBN 978-3-86153-433-4, EUR 19,90. |
Das sogenannte „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ gehört zu den Orten des Dritten Reiches, um die sich besonders viele Mythen ranken – und dies bereits während der NS-Zeit. Nur ein ausgewählter Personenkreis hatte Zugang und das Innenleben dieses Führerhauptquartiers unterlag strenger Geheimhaltung. Dennoch war hier – weit mehr als in der Reichshauptstadt Berlin – in den letzten Jahren des Krieges das eigentliche Machtzentrum des Dritten Reiches. Hier war es auch, wo Claus Graf Schenk von Stauffenberg im Juli 1944 das – missglückte – Bombenattentat auf Adolf Hitler durchführte.
Dabei war die „Wolfsschanze“ eigentlich nichts anderes als eines von mehreren militärischen Lagezentren außerhalb der Reichshauptstadt Berlin. Dort konnte der militärische Stab und natürlich Hitler selbst in der Nähe der Front, vor allem aber außerhalb des immer stärker von Bombenangriffen gefährdeten Berlins, ihre Entscheidungen treffen. Solche „Führerhauptquartiere“ gab es insgesamt mehr als ein Dutzend.
Die „Wolfsschanze“ hatte unter allen aber eine besondere Bedeutung – nicht zuletzt, weil Hitler von hier aus den Überfall auf die Sowjetunion plante und den leitete. Die „Wolfsschanze“ lag in der Nähe von Rastenburg in Ostpreußen, im heutigen Polen. Erbaut wurde die Anlage ab 1940. Insgesamt umfasste sie etwa 100 Gebäude, davon rund 40 Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude und 47 Stahlbetonbunker. Außerdem gab es einen Bahnanschluss und zwei Flugplätze. Das großräumige Gelände wurde von etwa 10 Kilometer Stacheldraht eingezäunt und von einem breiten Minengürtel geschützt. Nur mit besonderer Genehmigung hatte ein ausgewählter Kreis des NS-Führungszirkels Zutritt. Insgesamt gab es drei Sperrkreise, für die man jeweils Passierscheine brauchte. Kern war der sogenannte Sperrkreis 1, in dem Hitler sich aufhielt und einen eigenen „Führerbunker“ bewohnte. Der Name „Wolfsschanze“ geht dabei auf Hitler selbst zurück, der sich vor der Machtergreifung der NSDAP – während der sogenannten „Kampfzeit“ – selbst immer wieder „Wolf“ nennen ließ.
Insgesamt waren es mehr als 2000 Personen, die ständig in der „Wolfsschanze“ lebten. Neben Offizieren und Wachpersonal gab es auch eine komplette Verwaltung und Versorgungseinheiten. Insofern funktionierte die „Wolfsschanze“ wie eine eigene Kleinstadt. Sogar ein Feldpostamt und einen eigenen Frisiersalon gab es.
Mit dem Vorrücken der Roten Armee im Jahre 1944 war aber auch die „Wolfsschanze“ nicht mehr zu halten. Im November wurde sie aufgegeben. Im äußersten Sperrkreis waren bereits Bomben gefallen. Hitler zog sich nach Berlin in den Bunker unter der Neuen Reichskanzlei zurück. Im Januar 1945 sprengte die Wehrmacht die Anlage dann, um sie nicht den Sowjettruppen in die Hände fallen zu lassen. Geblieben sind nur Trümmer und Ruinenteile.
Das Autorenteam Neumärker, Conrad und Woywodt arbeiten die Geschichte der „Wolfsschanze“ und ihrer Bedeutung im NS-System auf mehr als 200 Seiten akribisch auf. Dazu wurde nicht nur die vorhandene Literatur verwertet, sondern vor allem umfangreiche Archivstudien betrieben. Herausgekommen ist eine detailreiche und vollständige Studie. Dabei geht es den Autoren nicht nur um eine Darstellung der baulichen Geschichte – die „Wolfsschanze“ bleibt immer eingeordnet in den historischen Kontext des verbrecherischen NS-Systems. Ausführlich berichten sie beispielsweise über Planung und Verlauf des Überfalls auf die Sowjetunion.
Aufschlussreich ist auch der Abschnitt über die „Wolfsschanze“ als touristisches Ziel: „Von Hitlers Machtzentrale zum Freizeitpark“ überschreiben die Autoren dieses Kapitel. Rund eine Viertelmillion Besucher kommen jedes Jahr hierher. Für viele von ihnen ist die „Wolfsschanze“ weniger ein Ort historischen Erinnerns, sondern, wie die Autoren sarkastisch bemerken, eine Art „Freizeitpark des Grauens“. Die Stärke des Bandes liegt natürlich auch in dem umfangreichen Bildmaterial. Fotos, Kartenmaterial und Zeichnungen aus der Zeit geben einen Einblick in das Leben in der „Wolfsschanze“. Gleichwohl ist auch hier – wie bei allen Fotos aus der NS-Zeit Vorsicht geboten: Etliche der Bilder waren bereits damals veröffentlicht oder für eine mögliche Veröffentlichung bestimmt. Damit zeigen sie, so authentisch sie im Einzelnen auch wirken mögen, nicht unbedingt das wirkliche Leben in der „Wolfsschanze“, sondern das von der NS-Propaganda gewünschte. Das gilt natürlich besonders für die Darstellung Hitlers. Der Gefahr, ungewollt eine „Home-Story“ aus dem Umfeld Hitlers zu präsentieren, entgehen die Autoren aber dadurch, dass sie eine Vielzahl von Bildern zeigen, die die Grausamkeit des Krieges und das Leid der Zivilbevölkerung illustrieren. Idyllische Bilder von einer Weihnachtsfeier in der „Wolfsschanze“ kontrastieren so mit den Bildern des zerstörten Stalingrads, Bilder eines dynamisch über den Kartentisch gebeugten Hitlers mit solchen, die das Leid der Vertriebenen zeigen.
Der Berliner Verlag Ch. Links hat bereits eine Reihe von Bild- und Textbänden zu historisch bedeutenden Orten veröffentlicht. Ein Schwerpunkt bildet dabei das Dritte Reich. So gibt es Bände über die Neue Reichskanzlei, Görings „Residenz“ Carinhall oder über die „Paradiesruinen“ des monumentalen Seebadprojektes auf Rügen. Mit diesem Band ist ein weiterer wichtiger Beitrag zur Geschichte historischer Orte des Dritten Reichs geleistet.
Autor (Rezensent): Dr. Bernd Kleinhans M.A.