Detlef Bald (Hrsg.): „Wider die Kriegsmaschinerie“. Kriegserfahrungen und Motive zum Widerstand der „Weissen Rose“, Essen 2005.
An Büchern, Aufsätzen und didaktischen Handreichungen zur Geschichte der „Weißen Rose“ mangelt es nicht. Und doch bleibt bis heute die Thematisierung dieser Widerstandsgruppe um den Mentor der universitären Jugend und zugleich aktiven Träger des Widerstandes, Prof. Kurt Huber, im idealistischen, angeblich realitätsfernen Widerstandsbereich verhaftet, nicht selten nahezu ausschließlich auf das Geschwisterpaar Sophie und Hans Scholl fokussiert. Wenig berücksichtigt wird in der Regel, dass gleich fünf Widerständler der Weißen Rose einschlägige Erfahrungen mit dem Vernichtungskrieg an der Ostfront machten, zu dem sie zeitweise abkommandiert waren: Hans Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf, Hubert Furtwängler und Jürgen Wittenstein. Der Herausgeber des Sammelbandes, Detlef Bald, bis 1996 Leiter des Bereichs Militär und Gesellschaft des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr und seither freier Publizist in München, erachtet die Kriegserfahrungen der Münchner Medizinstudenten, die diese als Sanitätsfeldwebel mit der Kriegsführung und Besatzungsherrschaft der Wehrmacht direkt an der Ostfront im Sommer 1942 machten, als prägend für ihre Widerstandshaltung.
Die Beiträge dieses auf einem entsprechenden von der Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2003 ausgerichteten Symposium an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität basierenden Sammelband wollen keine umfassende Geschichte der Weißen Rose schreiben, sondern konzentrieren sich auf Kriegserfahrungen und Motive des Münchner Widerstands. Jakob Knab analysiert die Bedeutung der Religion für die Haltungen und Einstellungen Hans Scholls zum NS-Regime und beschreibt den Gesinnungswandel von Sophie Scholl vom begeisterten Mitglied der Hitler-Jugend, über ihre Konfrontation mit der Gewalt des NS-Regimes bis zur handlungsorientierenden Bedeutung ihrer Gewissensbildung. Alexander Schmorell, der in Russland aufgewachsen war, wird von dem ehemaligen stellvertretenden Amtschef des Streitkräfteamtes der Bundeswehr, Brigadegeneral Winfried Vogel, porträtiert. Vogel beschreibt die schwierige und mehrdeutige Quellenlage, macht aber die Konsequenzen, die Schmorell u. a. aus ihrer persönlichen Anschauung mit den Wehrmachtsverbrechen schon viel eher als die Bewegung des 20. Juli 1944 zogen, deutlich. Beiträge des Herausgebers zu Willi Graf, von Arno Lustiger zum Verhältnis von deutschem Widerstand und Holocaust, Manfred Messerschmidt zu den Todesurteilen des „Volksgerichtshofs“, Karl Heinz Jahnke zur Verortung der „Weißen Rose“ im Jugendwiderstand insgesamt sowie ein Interview mit Wolfgang Huber, dem Sohn Kurt Hubers, und ein Vorwort des Religionsphilosophen Eugen Biser, der seinerzeit als Soldat vor Stalingrad wegen Defätismus und Wehrkraftzersetzung vor ein Kriegsgericht kam, runden den Sammelband ab.
Die Analysen des Sammelbandes widerlegen das immer noch verbreitete Fehlurteil vom angeblich weltfremden konkreten Widerstandshandeln der jungen Menschen der „Weißen Rose“. Im Unterschied zu den meisten anderen Gruppen sowohl aus dem militärischen als auch dem jugendlichen Widerstand prangerten sie schon früh die Verfolgung und Vernichtung der Juden an und klagten die Verantwortung der Militäreliten für die verbrecherische Kriegführung ein. Erwähnt sei abschließend das ausgesprochen leserfreundliche Lektorieren des Sammelbandes, das nicht nur ein sinnvolles Register zu den Personen, Institutionen und Orten enthält, sondern zudem in einer abschließenden synoptischen Darstellung die Angehörigen der „Weißen Rose“ in einer Übersicht zusammenführt und Merkmale der Persönlichkeiten sowie ihres Militärdienstes und ihres Widerstandes aufzeigt.
Autor: Wigbert Benz. Erstveröffentlichung in: Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer, Heft 71/2006, S. 99.
Detlef Bald (Hrsg.): „Wider die Kriegsmaschinerie“. Kriegserfahrungen und Motive zum Widerstand der „Weissen Rose“. Mit einem Geleitwort von Eugen Biser. Klartext Verlag, Essen 2005, 211 Seiten, ISBN 978-3-89861-488-7 oder ISBN 3-89861-488-3, EUR 14,90.