Lesenswert: Maren Gottschalks Biografie von Sophie Scholl
Vor 70 Jahren erschienen die Flugblätter der Weißen Rose, in denen sich vor allem Münchner Studenten gegen den nationalsozialistischen Staat wandten und die Deutschen zum Aufstand gegen dieses Terrorsystem aufriefen. Eine Vielzahl von Biografien ist seither über die Mitglieder der Weißen Rose und insbesondere Sophie Scholl verfasst worden. Die neue Sophie-Scholl-Biografie von Maren Gottschalk ist besonders gut geeignet, jüngeren Leserinnen und Lesern die Persönlichkeit dieser mutigen jungen Frau in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit näher zu bringen.
Wie bereits Barbara Beuys in ihrer Maßstäbe setzenden Scholl-Biografie aus dem Jahre 2010 berücksichtigt auch Gottschalk nicht nur die gedruckt vorliegenden Quellen, sondern greift ausgiebig auf die überlieferten Tagebücher, Notizen und Briefwechsel der Familie Scholl und derer, die mit ihr in Kontakt standen, zurück. Penibel zitiert die Autorin nicht nur aus ihren Quellen, sondern weist diese auch präzise nach. Dieses Verfahren ist für ein Jugendbuch nicht üblich, hat aber den Vorteil, die jungen Leserinnen und Leser beiläufig auf eine zentrale Methode wissenschaftlichen Arbeitens hinzuweisen. Breiten Raum räumt Gottschalk der Entwicklung Sophie Scholls bis zum Sommer 1942 ein und geht in diesem Zusammenhang genauer auf die Begeisterung Sophie Scholls für den Nationalsozialismus sowie ihre Beziehung zu Fritz Hartnagel ein. Gerade in diesen Passagen präsentiert die Autorin Sophie Scholl eindrücklich als junge Frau, die weltanschaulich, beruflich wie privat unsicher und sprunghaft ist. Dass die Darstellung dennoch flüssig und stellenweise sogar ausgesprochen spannend zu lesen ist, gehört zu den Stärken dieser Biografie.
Geschickt bettet Gottschalk die Biografie Sophie Scholls nicht nur in die Geschichte der Familie Scholl ein, um so insbesondere die Bedeutung der Geschwister für Sophie Scholl zu verdeutlichen. Die Autorin erklärt wesentliche Punkte auch vor dem Hintergrund der Entwicklung in Deutschland und trägt damit angemessen der Tatsache Rechnung, dass sich ihr Werk an jugendliche Leserinnen und Leser wendet. Statt vordergründig zu urteilen, ist Gottschalk immer wieder bemüht, die Ursachen und Motive von Sophie Scholls Handlungen zu nennen und zu erläutern. So wirbt sie auch um Verständnis für Entscheidungen ihrer Protagonistin, die heutigen Leserinnen und Lesern vielleicht fremd vorkommen, wie zum Beispiel Sophie Scholls Einstellung zur Partnerschaft, zur Sexualität oder zum christlichen Glauben.
Schließlich, und das ist ganz wesentlich für die Qualität dieser Biografie, verzichtet die Autorin auf Spekulationen, wo eindeutige Aussagen nicht möglich sind. Vielmehr verweist Gottschalk wiederholt auf Forschungslücken als Folge fehlender Quellen und erläutert und begründet, warum bestimmte Aussagen oder Aktionen Sophie Scholls unterschiedlich gedeutet wurden und werden. Und sie geht noch einen Schritt weiter und referiert und erläutert, dass und warum sich die Sicht auf die Geschwister Scholl im Laufe der Jahre gewandelt hat. Damit aber verzichtet die Autorin ganz bewusst darauf, ihren Leserinnen und Lesern ein geschlossenes Bild ihrer Protagonistin zu bieten. Vielmehr wird die Beschäftigung mit Geschichte hier als offener Prozess verstanden und plausibel dargestellt, der gerade deshalb so spannend ist.
Autor: Tomas Unglaube
Maren Gottschalk: Schluss. Jetzt werde ich etwas tun. Die Lebensgeschichte der Sophie Scholl, Weinheim und Basel: Beltz & Gelberg 2012. 264 S. Ab 14. € 16,95. ISBN 978-3-407-81122-6.