Der ehemalige österreichische Präsident und UN-Generalsekretär ist der letzte Politiker der Kriegsgeneration, der es trotz erheblicher politischer Vorbelastung zu Amt und Würden brachte. Die Filmemacherin Ruth Becker nahm sich erstaunlicherweise als erste des Themas an, das in den 80er Jahren für einen veritablen politischen Skandal sorgte.
1982 veröffentlicht der Jewish World Congress einen Bericht, der die Verstrickungen und Mitwirkungen Waldheims an der Deportation zahlreicher Juden bestätigt und offenlegt. Zur gleichen Zeit befindet sich der ÖVP-Politiker im Wahlkampf für die Bundespräsidentenschaft. Seine Verteidigungsstrategie – konsequentes Leugnen trotz offensichtlicher Sachlage – erinnert stark an diejenige Strategie, die unter dem Begriff „Fakenews“ zum politischen Vokabular wurde. Trotz zahlreicher Dokumente, welche seine Mitgliedschaft bei dem „Nationalistischen Deutschen Studentenbund“ und der SA bestätigen, wehrt er sich mit Ausreden und Verleumdungen. Waldheim ging noch einen Schritt weiter und bezeichnete sich sogar als „erstes Opfer der Nazis“. Ein bis heute unglaublicher Vorgang.
Die Affäre offenbart tiefe politische Gräben in der Alpenrepublik. Das Land spaltete sich in zwei Lager und sorgte für hitzige Diskussionen. Auf der einen Seite die Anhänger Waldheims, die offenkundig ihren Hass gegen Juden kundgeben und auf der anderen Seite die Demonstranten gegen den ehemaligen UN-Generalsekretär. Unter ihnen auch Beckermann. Mit einer der ersten tragbaren Videokameras ausgestattet, dokumentierte sie penibel die Proteste. Später fand sie diese „als verloren gedachte“ Videoaufnahmen wieder. Freunde und Familie animierten sie, einen Film daraus zu machen. Das Ergebnis ist eine großartige Dokumentation über die groteske Dreistigkeit eines Lügners.
Selbst zwei Jahre nach seiner Wahl, 1988, als ein umfassender Bericht über Kurt Waldheim veröffentlicht wird, der eindeutig seine Partizipation an den Kriegsverbrechen bestätigt, versucht er sich zu rechtfertigen. Sprüche, wie „nur meine Pflicht erfüllt“ oder „Ich war anständig“ wurden zu zentralen, sich ständig wiederholenden Aussagen. Beckermann zeigt mit ihrem Film, wie selbstüberzeugt und hartnäckig eine ganze Partei versuchte, die NS-Vergangenheit zu unterdrücken. Der ÖVP-Politiker Alois Mock betitelte die Herausgeber der Berichte als „ehrenlose Gesellen“. Anhänger der Partei riefen den Gegnern antisemitische Hassparolen zu und waren von Waldheims Unschuld überzeugt.
Beckermanns Film hätte nicht passender erscheinen können. Parallelen zu Waldheims Person lassen sich heutzutage auf jedem Kontinent der Welt wiederfinden und das, obwohl Antisemitismus und Rassismus doch zur Vergangenheit zählen sollten. Es gibt Präsidenten, die Aussagen und Berichte als „Fakenews“ bezeichnen, um ihre Unschuld oder Unwissenheit zu bestätigen, Politiker, die ihre Wahlkämpfe mit Fremdenhass zeichnen und gewinnen, sich dennoch als anständig und weltoffen bezeichnen und Parteien, die offenkundig dem rechtsextremen Flügel angehören und ihre Ideale als „gesunden Patriotismus“ verschleiern. All dies lässt sich in Kurt Waldheim wiederfinden und auf heutige Politiker übertragen .Der von der Presse hochgelobte Film „Waldheims Walzer“ gibt tiefe Einblicke in die damalige Zeit und nimmt den Zuschauer auf eine Reise in die Vergangenheit mit. Diese Vergangenheit lässt sich aber nur durch ein Merkmal erkennen, die Ton- und Bildqualität. Alle Bilder sind Originale aus der damaligen Zeit, mühselig selber gefilmt und aus Archiven bekannter Sender zusammengeschnitten. Die Ideale, der Hass, die Lügen, die Verleugnung, das Prinzip und die „Unschuld“ sind in der Gegenwart genauso beständig wie in der Vergangenheit. Doch sollte man nicht annehmen, dass man aus der Vergangenheit lernen kann? Oder ist das, was Beckermann hier treffend beobachtete, eben doch nur ein Walzer, den man immer und immer wieder tanzen kann.
Waldheims Walzer
Regie: Ruth Beckermann
Österreich 2018
Deutsch, Englisch, Französisch
93 Min · Farbe
Berlinale – Sektion Forum