Mike Schmeitzner/ Andreas Wagner (Hg.): Von Macht und Ohnmacht. Sächsische Ministerpräsidenten im Zeitalter der Extreme 1919-1952, Beucha 2006.
Das Ende der Monarchien im Deutschen Kaiserreich und im Königreich Sachsen nach der siegreichen Novemberrevolution 1918 bedeutete einen historischen Bruch in der Geschichte. Zu Fall kam im Machtzentrum des wettinischen Herrschaftsgebietes die aus dem Jahr 1831 stammende halbabsolutistische Verfassungswirklichkeit: Ein König bestimmte die politischen Richtlinien, leitete ein Gesamtministerium mit den von ihm ernannten Ministern und war wie diese weder dem königlich-sächsischen Landtag rechenschaftspflichtig noch parlamentarisch absetzbar. Nach der Abdankung des letzten Königs amtierten zwischen 1919 und 1952 im Freistaat, Gau oder Land Sachsen elf Ministerpräsidenten. Gut nur ein Drittel waren gebürtige „Landeskinder“.
Treffend betitelten die Herausgeber Mike Schmeitzner und Andreas Wagner den Sammelband „Von Macht und Ohnmacht“, in dem insgesamt fünf Autoren biographischen Skizzen über die Lebenswege und das politische Agieren der Ministerpräsidenten referieren. Allein durch die verschiedenen Handschriften wirken die Portraits kurzweilig. Hervorragend zeichnen die Autoren das jeweilige innenpolitische Zeitkolorit nach, dokumentieren die Verhältnisse zur Reichsregierung und reißen prägnant politische Standorte der um die Wählergunst buhlenden Parteien an. Im Mittelpunkt des Einführungskapitels stehen die Ministerpräsidenten, deren Deutung zwischen Anspruch und Wirklichkeit, selbst und die Staatskanzlei als Machtzentrale. Den ausgewogenen Band runden im Anhang die Veröffentlichung von Kabinettsaufstellungen und Landtagswahlergebnissen ab.
Mit der Verabschiedung der Reichsverfassung im August 1919 verlor Sachsen die bislang gewährten Rechte auf auswärtigem und militärischem Gebiet. Eigene Interessen konnte der Freistaat im neu geschaffenen Reichsrat wahrnehmen, der neben dem Reichstag als zweite Legislative fungierte und faktisch die Nachfolge des (kaiserlichen) Bundesrates angetreten hatte.
Außer Martin Mutschmann und Max Seydewitz sind die anderen Ministerpräsidenten aus dem öffentlichen Bewusstsein gewichen. Deren Amtszeit war vergleichsweise kurz bemessen. Nur der aus Potsdam gebürtige SPD-Politiker Max Heldt (1872 bis 1933) konnte auf eine mehr als fünf Jahre währende Ministerpräsidentschaft zurückblicken. Nach den ersten, auch im Freistaat Sachsen innenpolitisch unruhigen Jahren der jungen deutschen Republik bestieg in der Haupt- und Residenzstadt Dresden Max Heldt Anfang 1924 den sächsischen Sessel der Ministerpräsidenten. Er steuerte den Freistaat bis Mitte 1929. Das heißt, seine Regierungszeit erstreckte sich zwischen der Währungsstabilisation in der Weimarer Republik und Ausbruch der Weltwirtschaftskrise. „Heldts Lebensweg und seine Vorstellungswelt erinnern an viele Sozialdemokraten jener Zeit, die ein Talent zu tüchtigen Schatzmeistern und pragmatischen Verwaltern besaßen.“
Am 04. Juni 1872 in Potsdam als Sohn eines Fuhrgeschäftsinhabers begann er den Lebensweg in kleinbürgerlichen Verhältnissen. Nach dem frühen Tod des Vaters wechselte Max Heldt die Schule und erlernte den Beruf eines Metalldrehers. Wie viele andere Handwerker ging er ins industriell aufstrebende Sachsen. Zeitig Mitglied der SPD und des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes, war der junge Mann bereits mit 32 (!) Jahren Gewerkschaftsfunktionär und 1909 erstmals in den Sächsischen Landtag gewählt worden. In seiner Ära als Finanzminister (1920 bis 1924) trieb Heldt erfolgreich den Ausbau des sächsischen Staatswirtschaftskonzerns (nach 1945 aufgelöst) – Kohlebergbau, Energiewirtschaft, Regionalverkehr und Porzellanmanufaktur Meißen – voran. Gleichzeitig mit dem Amtsantritt als Ministerpräsident brachen die in der sächsischen SPD im Verborgenen schwelenden Gegensätze (Bündnispolitik nach links oder Öffnung zu den bürgerlichen Mittelparteien) offen aus. Seine Koalitionspolitik begünstigte die „Agonie des parlamentarischen Systems“ und bedeutete auch das Ende der „roten Hochburg“ Sachsen. „Womöglich ist sein Verzicht auf Ausübung der ihm verfassungsmäßig zustehenden Richtlinienkompetenz als Ministerpräsident die Voraussetzung für die vergleichsweise lange Regierungszeit gewesen.“ Wie wir wissen, wichen schrittweise verfassungstreue Demokraten der Weimarer Republik den Wegbereitern eines diktatorischen Zentralismus und Verfechtern ihrer Weltanschauungspartei. Kurz nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten starb Max Heldt am 27. Dezember 1933 in Dresden.
Autor: Uwe Ullrich
Mike Schmeitzner/ Andreas Wagner (Hg.): Von Macht und Ohnmacht. Sächsische Ministerpräsidenten im Zeitalter der Extreme 1919-1952; Sax-Verlag, Beucha 2006. 408 Seiten, zahlreiche sw-Abbildungen, 30 Euro.