Elisabeth Zöller: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel, Frankfurt/Main 2012.
Nach ihrem preisgekrönten Roman Anton oder Die Zeit des unwerten Lebens, in dem sie die Euthanasie-Politik im Dritten Reich behandelt, befasst sich Elisabeth Zöller in Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel erneut mit der NS-Zeit. Dieses Mal geht es um die Begeisterung junger Menschen für den Nationalsozialismus.
Protagonistin des Romans, der Anfang der 40er Jahre im westfälischen Münster spielt, ist die 15-jährige Paula Laurenz, deren Vater dort als Polizeimajor arbeitet. Paula ist begeistertes BDM-Mitglied, wo sie gerade mit der Ernennung zur Schaftführerin den ersten Karriereschritt vollzogen hat, sowie überzeugte Anhängerin des Nationalsozialismus. Gleiches gilt für ihre Eltern sowie ihren 12 Jahre alten Bruder Hans. Auch als sie erfährt, dass die Mutter ihrer besten Freundin Mathilda Schubert Jüdin ist, Mathilda selbst also – im Sinne der NS-Terminologie – Halbjüdin, ändert sich zunächst nichts grundsätzlich an Paulas Einstellung zum Nationalsozialismus. Zeitweise scheint Paula beides miteinander vereinbaren zu können: die engagierte Tätigkeit im BDM und die Freundschaft zu der inzwischen mit ihrer Familie untergetauchten Mathilda. Erst als Paula entdeckt, dass ihr Vater maßgeblich an der Verfolgung systemkritischer Jugendlicher beteiligt ist und die Deportation der jüdischen Bürger Münsters maßgeblich organisiert, und sie realisiert, dass der plötzliche Wohlstand ihrer Familie der Zwangsarisierung jüdischen Besitzes geschuldet ist, stellt sich Paula gegen ihren Vater. Als sie ihn mit ihrem Wissen konfrontiert, reagiert Paulas Vaters aggressiv, misshandelt seine Tochter und beschimpft sie als „Volksverräterin“, zumal er vermutet, dass sie das Versteck der Familie Schubert kennt. Schließlich wird Paula aus der Familie ausgeschlossen und in ein von Nonnen geleitetes Heim gebracht.
Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel ist leicht zu lesen. Sprache und Struktur sind recht einfach, die Handlung wird chronologisch erzählt, Begriffe können mit Hilfe eines guten Glossars erschlossen werden. Anschaulich zeigt der Roman, wie junge Menschen sich in der HJ und im BDM für Hitler und den Nationalsozialismus begeisterten und wie ihr Alltag angesichts der Beschränkungen in Folge des Krieges und der alliierten Luftangriffe verlief. Dass Paula sich in einen HJ-Führer verliebt und hierbei in Rivalität zu einer anderen jungen Frau gerät, erhöht zusätzlich die Spannung.
Wie bereits in Anton oder Die Zeit des unwerten Lebens beschreibt Elisabeth Zöller auch dieses Mal einen authentischen Fall. Dennoch müsste Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel auch als literarischer Text funktionieren. Und da bleiben Zweifel: Zu eindimensional ist die Charakterisierung des Vaters; zu knapp wird erläutert, warum Paula an der Freundschaft zu Mathilda festhält, wie man ohnehin über Mathilda und ihre Familie gern mehr erführe. (Warum muss Familie Schubert eigentlich wohlhabend sein?) Dass Paulas Eltern 1943 bei einem alliierten Luftangriff auf Münster zu Tode kommen, mag authentisch sein, ist für die Romanhandlung aber problematisch: Damit werden nicht nur angesichts der detaillierten Schilderung der Misshandlungen Paulas aufkommende Rachegefühle der Leserinnen und Leser vordergründig befriedigt, damit wird vor allem der Protagonistin die Möglichkeit genommen, sich mit ihrem Vater nach der zwangsweisen Entfernung aus dem Elternhaus argumentativ auseinanderzusetzen.
Auch wenn der Text als Roman nicht überzeugt: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel vermittelt anschaulich vielfältige Informationen über das Leben junger Menschen in der NS-Zeit und ist daher für Jugendliche ab etwa 13 Jahren lesenswert.
Autor: Tomas Unglaube
Elisabeth Zöller: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel, Frankfurt/Main: Fischer Schatzinsel 2012. 270 S. ISBN 978-3-596-85447-9.