„In Ukraine“ ist ein weitere Film auf der Berlinale, der den Krieg thematisiert. Der Film zeigt in Bildausschnitten und Filmen unzensiert und ungefälscht das Leben der Ukrainer im Kriegsgebiet und das Leben während des Krieges. Es gibt keine Stimmen zu hören, keine Interviews und keine erklärenden Texte. Es gibt keine Musik und nur wenige Dialoge. Es gibt keine Kommentare. Der Zuschauer erfährt und sieht mit eigenen Augen, was die Menschen dort sehen und erleben. Zerbombte Straßen, Sperrholzplatten statt Fenstern, zerstörte russische Panzer – diese Bilder sind Zeichen des russisch-ukrainischen Krieges. Oberflächenspuren, die in den Massenmedien reproduziert werden. Ausgehend von diesen Bildern beginnen die Regisseure Tomasz Wolski und Piotr Pawlus ihre Reise durch die Ukraine – von den westlichen Städten über Kyiv nach Charkiw.
Filmemacher Pawlus und Wolski geben dem Zuschauer durch statische, meist breite Bildausschnitte mit langen Einstellungen Zeit und Raum, die kriegszerrüttete Ukraine zu betrachten. Der Betrachter erlebt Menschen, die Gebäude reparieren, Straßensperren besetzen, Essen verteilen, aber auch einfach die Straße entlang gehen, Auto fahren, einen Fluss überqueren. Zwischen den Trümmern spielen Kinder, und Menschen machen Selfies mit zerstörten russischen Panzern. Der Film zeigt Gebiete aus der Ukraine, die sich größtenteils außerhalb des Kriegsgebiets befinden. Der Zuschauer erlebt Menschen in Gebieten, die noch nicht von Russland angegriffen wurden. Der Betrachter des Films erfährt, wie das Leben abseits der Kämpfe, aber nur wenige Kilometer von diesen entfernt, weiter geht und stattfindet. Sie erleben Bombenangriffe aus der Ferne und leben nahe der nächtlichen Brände.
„In Ukraine“ kann zurecht als Kriegsfilm gesehen werden. Er zeigt, was vor, während und nach den Angriffen mit der Bevölkerung passiert. Er zeigt die Emotionen der Menschen hautnah und realistisch in den jeweiligen Momenten. Dennoch bleiben die Filmemacher auf Distanz, auch wenn die Kamera näher ans Geschehen rückt. Man zieht zwar die Bevölkerung in ihrem täglichen Leben und bei ihrem täglichen Widerstand, aber die Distanz bleibt erhalten. So hat der Betrachter Raum und Zeit zum Nachdenken. Es gibt kein geschriebenes Skript. Wir sehen keinen Helden, der die Ukrainer anführt, sondern wir sehen die Menschen, die unter dem russischen Angriff leiden. Die Menschen, die überlebt haben, und sich nun schützen wollen, ihr Hab und Gut schützen wollen und sich mit Hilfspaketen versorgen. Man sieht keine Kriegshandlungen und dennoch ist die Bedrohung immer zu spüren. Von weitem hört man Bombeneinschläge. „In Ukraine“ konzentriert sich nicht bis zum Schluss auf das menschliche Leid. Ab und an gibt es eine Annäherung an den Krieg, doch das sind nur wenige Aufnahmen. Schnell kehren die Filmemacher wieder zu den Menschen zurück. Im letzten Bild sieht man die ukrainische Bevölkerung, die unter dem Krieg leidet.
Der russische Einfall in die Ukraine dauert nur schon ein Jahr an und es scheint kein Ende in Sicht. Trotzdem haben die Ukrainer keine Wahl als weiterzumachen. Sie müssen, ob sie wollen oder nicht, ihren Alltag – so weit es geht – aufrechterhalten und weiterleben. In dem Film gehen die Ukrainer scheinbar gleichgültig an den zerstörten Gebäuden vorbei. Aber was sollen sie anderes tun, als sich an diese zu gewöhnen? Sie bestimmen ihren Alltag und sie können nichts anderes tun als sie hinnehmen und weitermachen. Die Zerstörung wird sie noch lange begleiten. Und auch wir werden uns in gewisser Weise an diese Bilder gewöhnen müssen. Man kann mit Worten nicht die Schrecken des Krieges beschreiben und auch keine chronologische Erzählung daraus machen, die vorgegebenen Strukturen folgt. Daher verzichten die Filmemacher in diesem polnischen Dokumentarfilm auf diese beiden Elemente.
Vorgestellt werden dem Zuschauer statische Bilder und lange Einstellungen. Es gibt keine oder allzu viel Bewegung. Es wird selten gesprochen. Ab und zu hört der Betrachter einige Gesprächsausschnitte von Menschen. Gezeigt werden die Folgen, die der russische Angriff für die ukrainische Bevölkerung hat. Sie zeigen im ganzen Ausmaß, welche Zerstörung der Krieg hinterlassen hat, und wie absurd er eigentlich ist. Diesen Kontrast erlebt der Zuschauer zum Beispiel bei einem gezeigten Spielplatz, in dessen Hintergrund zerbombte Häuserblöcke leerstehen. Mütter schubsen ihre Kinder an, die schaukeln. Ergreifend sind auch die Szenen, in denen Kinder verschiedene Situationen des Krieges nachspielen. Sie erleben dies real mit. Menschen posieren für Selfies vor Panzern. So absurd erscheint dieser Krieg. Der Film zeigt eindrucksvoll die unglaubliche Widerstandskraft dieses kleinen Landes gegen den großen, übermächtig scheinenden Feind.