
Superpower. Sean Penn und Volodymyr Zelensky. © 2022. The people’s servant LLC.
Fast genau ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion auf ukrainischem Boden feiert mit „Superpower“ ein Dokumentarfilm der anderen Art seine Weltpremiere bei den Berliner Filmfestspielen 2023. Neben Kulturstaatsministerin Claudia Roth ließ sich auch der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew die Erstaufführung nicht entgehen.
Kein Geringerer als Sean Penn, Oscar-prämierter Hollywood-Star und Publikumsliebling, hat sich mit dem ehrgeizigen Regisseur Aaron Kaufman zusammengetan, um mit „Superpower“ einen ungewöhnlichen Dokumentarfilm auf die Beine zu stellen, der eines der bedeutendsten Themen dieses Jahrzehnts thematisiert. Als Penn und Kaufman Anfang 2021 zum Beginn ihrer Dreharbeiten in die Ukraine reisten, rechnete niemand mit den kurz darauf beginnenden kriegerischen Auseinandersetzungen, die durch Russlands Invasion losgetreten wurden. Eine Dokumentation über Kriegsgeschehnisse in der Ukraine war nie geplant – und dass er eines Tages sogar als Träger des ukrainischen Verdienstordens die Stellung eines inoffiziellen Sonderbotschafters der Ukraine einnehmen würde, damit hatte Sean Penn sicherlich ebenfalls nicht gerechnet. Ein humorvolles und politisch informatives Porträt über den volksnahen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dessen überaus ungewöhnlicher Werdegang vom Comedian zum ernstzunehmenden Staatschef nicht nur in Europa, sondern auch in den USA für reichlich Aufsehen gesorgt hatte, war Penns eigentlicher Grundgedanke.
Doch das ursprünglich geplante Porträt-Projekt nahm eine unerwartete Wendung, als am 24. Februar 2022 – am selben Abend, an dem Penn ein erstes Interview mit Selenskyj führte – Russlands Invasion in der Ukraine begann. Penn, der diesen Tag auch als „moment of extreme history“, einen historisch höchst bedeutenden Moment, bezeichnete, fand sich mit seinem völlig überrumpelten Drehteam ohne jede Vorwarnung inmitten eines vom Krieg überrannten Landes wieder. Schnell war dem 62-Jährigen Schauspieler und Regisseur jedoch klar, dass er seine weltweite Popularität in jedem Fall zugunsten der Ukraine nutzen will. Kurzerhand wurde also beschlossen, eine improvisierte Reportage in Echtzeit über die vor Ort hautnah erlebten Geschehnisse in der Ukraine auf die Beine zu stellen.
„Superpower“ ist kein bildgewaltiger Hollywood-Epos über glorreich geschlagene Schlachten und heroische Militärführer, genauso wenig aber ein trockener, reiner Sachbericht, der in klassischer Doku-Manier stur chronologisch die historisch bedeutendsten Momente der letzten Jahrzehnte abhakt, um zu guter Letzt von politikerprobten Experten vorgefertigte Stellungnahmen wiederzugeben. Es ist irgendetwas dazwischen; und genau das ist es, worauf „Superpowers“ Authentizität fußt.
Man muss anmerken, dass Penn und Kaufman durchaus bemüht waren, dem Zuschauer die Hintergründe der russischen Invasion zumindest in groben Zügen und stark vereinfacht näherzubringen – es werden wichtige Etappen der jüngeren Geschichte des Landes und auch einige ausschlaggebende russisch-ukrainische Konfliktpunkte kurz angeschnitten, wie die Euromaidan-Proteste oder die über Jahre andauernde Krim-Krise. Es werden Interviews mit Aktivisten und Journalisten geführt, Zusammenhänge für politisch weniger interessiertes Publikum einfach und verständlich erklärt. Was „Superpower“ jedoch eigentlich erreichen will, wird schnell klar: Wir, das Publikum, sollen verstehen, wie sich die ukrainische Bevölkerung angesichts der schrecklichen Ereignisse fühlt. Wie der Gedanke an Normalität plötzlich in schier unerreichbare Ferne rückt. Aber vor allem, wie unbegreiflich schwer es ist, als Staatsoberhaupt selbst in unmittelbarer Gefahr zu schweben und trotzdem rationale Entscheidungen für das eigene Land zu treffen und in einem derartig chaotischen Zustand den Überblick zu behalten. Das allgegenwärtige Chaos, das die Ukraine zu Beginn der Kriegsgeschehnisse durchlebt hat, ist auch auf der Leinwand zu spüren. Unruhige, verwackelte Kameraführung, es herrscht Hektik, ein heilloses Durcheinander. Sean Penn spricht mit Journalisten, Aktivisten, Angehörigen des ukrainischen Militärs, Menschen aus der einfachen Bevölkerung – und natürlich mit Präsident Selenskyj, der als ukrainisches Staatsoberhaupt und Mann des Volkes neben Penn eine zentrale Rolle in „Superpower“ einnimmt. Immer wieder sind kurze Ausschnitte aus Nachrichtensendungen zu sehen, aber auch aus vergangenen TV-Auftritten des Präsidenten zu seiner Zeit als Comedian, bunt zusammengewürfelt.
Der Hollywood-Star selbst zeigt sich im Laufe seiner Reportage zutiefst erschüttert über das Erlebte, während er mit Kriegsflüchtlingen in den Straßen Kyivs spricht und sich sogar mit schusssicherer Weste in einen Schützengraben wagt. Fast ein klein wenig zu dramatisch sitzt er immer wieder mit sorgenzerfurchtem Gesicht vor Whiskey- und Wodkaflaschen, um über das Leid und die Zerstörung zu sinnieren, die sich vor seinen Augen abspielt. Zentraler Bestandteil der Reportage ist vor allem auch Penns Bewunderung für Selenskyj. Untermalt werden viele Szenen mit treibender, teils militärisch-heroischer Hintergrundmusik.
Penns dramaturgische Mittel dienen zweifelsohne ihrem Zweck, so viel steht fest. Das Trauma, das die Ukraine seit Putins militärischem Akt der Zerstörung durchlebt, spiegelt sich auf der Leinwand wider. Dass das Konzept aufgeht, zeigte sich bei der Premiere in Berlin. Als der berühmte Satz „Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit“ fällt – Selenskyjs Antwort auf das Angebot der USA, ihn außer Landes zu bringen – gibt es Szenenapplaus, am Ende der Aufführung teilweise Standing Ovations. Als objektive Reportage lässt sich „Superpower“ kaum bezeichnen, es ist mehr eine Hommage Sean Penns an die Ukraine und ihren Präsidenten Selenskyj, für den er, wie er mehrfach auch bei Interviews betont, größte Bewunderung empfindet. Trotz, oder gerade wegen seiner subjektiven Erzählweise lässt Penn jedoch Einblicke zu, die herkömmlichen Reportagen verwehrt bleiben. Emotionalität ist „Superpowers“ Superkraft.