
Sieben Winter in Teheran | Seven Winters in Tehran – von Steffi Niederzoll. © Made in Germany.
Eröffnungsfilm einer Sektion bei der Berlinale zu sein, ist sicher ein großes Ziel und eine Ehre eines jeden Filmschaffenden. In diesem Jahr wird diese Ehre Steffi Niederzoll zuteil. Ihr Dokumentationsfilm Sieben Winter in Teheran (Seven Winters in Tehran) eröffnete die Sektion „Perspektive Deutschland Kino“ auf der 73. Berlinale 2023. Der Film zeichnet ein atemberaubendes, erschütterndes Bild des Schicksals der jungen Studentin Reyhaneh Jabbari, die in Teheran wegen Mordes zum Tode verurteilt wurde. Doch einen Mord hat Reyhaneh nie begangen. Sieben Jahre in Teheran erzählt die Geschichte des Justizskandals, aber auch die Geschichte eines Landes, in dem noch heute Frauenrechte mit Füßen getreten werden. Ungeschönt und beeindruckend bringt Sieben Jahre in Teheran aktuelles Zeitgeschehen und jahrzehntelange Kämpfe für die Rechte der Frauen auf die Leinwand.
Die Geschichte von Reyhaneh Jabbari beginnt mit schwermütigen Bildern. Vater und Mutter der jungen Frau sind auf dem Weg zum Gefängnis, in dem ihre Tochter schon seit sieben Jahren auf die Vollstreckung ihrer Strafe wartet-. Reyhaneh wartet auf den Tod. Doch dieses Warten war nicht geprägt von Untätigkeit und Resignation. Das Warten war ein jahrelanger Kampf für die Rechte der Frauen und gegen die Justiz, die Reyhaneh Jabbari schon im Alter von 19 Jahren zerstört hat.
Reyhaneh Jabbari war 19 Jahre alt, als das Schicksal im Jahr 2007 zuschlug. Reyhaneh ist bis dahin gut behütet in einer modernen Familie im Iran aufgewachsen. Ihr Vater hat ein kleines Geschäft, ihre Mutter ist Schauspielerin und Regisseurin. Reyhaneh ist im Jahr 1987 geboren und die älteste Tochter der Familie. Sie studiert Informatik, jobbt nebenbei als Inneneinrichterin. Im Rahmen dieser Tätigkeit bekommt sie den Auftrag eines Schönheitschirurgen, seine Praxisräume neu zu gestalten. In dieser Praxiswohnung bedrängt der Schönheitschirurg sie unsittlich. In ihrer Not greift sie zu einem Messer und sticht zu – mit all ihrer Kraft, all ihrer Verzweiflung und all ihrer Angst. Reyhaneh wird noch in der gleichen Nacht verhaftet. Nun beginnt ihr Albtraum, der sieben Jahre später mit ihrem Tod enden wird.
Ihre Mutter Shole Pakravan sagt, dass ihre Tochter nur 19 Jahre bei ihr gelebt hat. Das meiste in ihrem Leben hat sie nicht von ihrer Mutter oder ihren Eltern, sondern vom Leben selbst gelernt. Erst im Gefängnis ist sie erwachsen geworden. Wie es dazu kommen konnte, dass aus Notwehr Mord wurde, zeigt der aufwühlende Dokumentarfilm von Steffi Niederzoll. Gemeinsam mit der Mutter von Reyhaneh Jabbari arbeitet die Regisseurin die Geschichte auf. Der Schönheitschirurg, der zudringlich wurde, war kein gewöhnlicher Arzt, sondern früher ein Mitarbeiter des Geheimdienstes. Dadurch ist es wohl auch zu erklären, dass all die Beweise, die glaubhaft machen, dass Reyhaneh aus Notwehr und aus Angst vor einer Vergewaltigung zustach, verschwanden. Richter wurden ausgetauscht, das Gerichtsurteil macht keinen Sinn, wie Niederzoll in einem Bericht der Sendung Kulturzeit von 3Sat erzählt.
Reyhaneh aber bleibt all die Zeit der Verhandlung, selbst unter Folter im berüchtigten Gefängnis Evin in Teheran, bei ihrer Aussage, dass der Chirurg sie vergewaltigen wollte. Man vermutet, dass sich Reyhaneh Jabbari hätte vor dem Galgen retten können, wäre sie von ihrer Aussage abgerückt. Doch die junge Frau bleib dabei, bis zum Schluss. Und sie geht noch weiter. Sie beginnt im Gefängnis damit, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen. Sie muss erleben, wie Frauen aus ihrer Zelle hingerichtet werden, sie sieht genau hin, sieht, wie jeden Tag gegen die Menschenrechte verstoßen wird. Sie gibt Kurse, sie will aus dem Gefängnis heraus den Frauen helfen. Dabei verliert sie die Angst vor ihrem eigenen Tod. Sie will, dass alle wissen, was ihr im Alter von 19 Jahren passiert ist. Wenn Menschen ihre Angst überwinden, dann hat kein Regime der Welt eine Chance. Eine Prämisse von Reyhaneh, die heute, neun Jahre nach ihrer Hinrichtung durch den Galgen, aktuelle ist denn je.
Reyhanehs Mutter führte während des Prozesses, der Haft und auch nach der Hinrichtung den Kampf gegen die Todesstrafe und die Willkür gegen Frauen weiter. Als eine Mitstreiterin von Shole Pakravan verhaftet, und ihre anderen Töchter bedroht wurden, musste sie fliehen. Alle, die im Film zu Wort kommen, sind nicht mehr im Iran. Nur der Vater von Reyhaneh ist immer noch in Teheran. Ein gültiger Pass, mit dem er ausreisen könnte, wird ihm verwehrt. Dennoch spricht er im Film über Videotelefonie über seine Tochter.
Der Film Sieben Winter in Teheran von Steffi Niederzoll konnte nur durch die mutigen Taten der Mutter von Reyhaneh und vielen weiteren Menschen entstehen, die das Schicksal von Reyhaneh berührte und empörte. Geschmuggelte Briefe, Tagebücher, heimlich aufgenommene Telefongespräche, Filme und Videos aus dem Gefängnis – all diese Dokumente des Grauens und des Martyriums von Reyhaneh machten den Film erst möglich.