Wien 1938. Die Nazis sind kurz davor Österreich zu übernehmen, jedoch stört das Josef Bartok in diesem Moment noch recht wenig. Man sieht ihn tanzend, mit seiner Frau Anna im Arm, auf einem opulenten Wiener Ball.
Seine Worte “ … ich glaube, Liebes, so lange Wien tanzt, wird die Welt nicht untergehen.” lassen erahnen, dass er die Situation gewaltig unterschätzt. Ungeachtet aller Warnhinweise tanzen sie weiter.
Schnitt.
Die Bilder werden düsterer. Truppen marschieren ein und so langsam dämmert es Herrn Bartok, gespielt von Oliver Masucci, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als doch zu fliehen. Schließlich hat er eine Menge zu verlieren. Unter anderem großes Vermögen, gelagert auf verschiedenen Konten, die sich im Ausland befinden. Nur er kennt die Zugangscodes.
Die Feierstimmung endet mit der Machtübernahme Hitlers. Die geplante Flucht des Bartok-Paares in die USA gelingt nicht.
Bartok wird letztendlich festgenommen und in das Luxushotel Metropol, das Hauptquartier der Gestapo, gebracht. Nachdem es dem Gestapo-Leiter Böhm, brilliant gespielt von Albrecht Schuch, nicht gelingt, ihm die Zugangsdaten zu den entsprechenden Konten zu entlocken, landet Bartok in Hotelzimmer-Isolationshaft mit Folter.
Doch Bartok bleibt standhaft. Vorerst.
Seine Frau, deren Figur von Filmregisseur Philipp Stölzl („Nordwand“, „Goethe!“, „Der Medicus“, „Ich war noch niemals in New York”) und Drehbuchautor Eldar Grigorian für den Film erst neu kreiert wurde, ist nicht mehr zu sehen. Im gleichnamigen Buch existiert sie nicht.
Im Film wird ersichtlich wie sein Verstand langsam abgleitet und er zusehends verzweifelt.
Jetzt kann Oliver Masucci, als Josef Bartok, seine schauspielerische Leistung voll und ganz ausleben. Man sieht ihm einfach so gerne beim “Wahnsinnigwerden” zu. Der Anfangs überhebliche Notar, immer noch Smoking des ursprünglichen Ballgeschehens, verkommt zusehends – und so auch das Hotelzimmer, in dem er sich befindet.
“Doch wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Schachbuch her.”
Oder so ähnlich.
In einem unbeobachteten Moment greift Bartok zu einem Buch mit Schachpartien, das er während der Vernehmung findet und spielt diese auf den Badezimmerfliesen seinen Hotelzimmers mit Figuren aus Brotresten nach.
Es scheint für einen kurzen Moment die zerstörerischen Leere in ihm zu retten – bis das Schachspiel entdeckt wird.
Parallel zu diesen wahnsinnigen Szenen sieht man Bartok und seine Frau auf einem Schiffsdampfer über den Atlantik. In seiner Adaption verwebt Regisseur Philipp Stölzl, die Zeitebenen ineinander.
Hat er etwa die Folter überlebt? Im Film wird nie ganz ersichtlich welche Filmszenen der Realität entsprechen und welche nicht.
Spannend dabei ist, dass genauso die Idee zur Novelle durch Stefan Zweig entstanden ist. Er selbst war auf einem Dampfer unterwegs und traf dort auf einen ominösen Herren B., der ihm die Inspiration für die Schachnovelle liefern sollte. So wurde kurzerhand aus Herrn B., Herr Bartok.
Drei Jahre schrieb Stefan Zweig an seiner Novelle, von 1938 bis 1941. Jedoch erschien das Buch erst im Jahre 1942, kurz nachdem sich Zweig, gemeinsam mit seiner Frau, im brasilianischen Exil das Leben genommen hatte.
Zurück zum Film.
Auf dem Schiff trifft Bartok auf einen russischen Schachmeister. Ebenfalls gespielt von Albrecht Schuch, der zur Unterhaltung gegen Gäste spielt – und letztendlich auch gegen Bartok.
„Es ginge beim Schach darum, das Ego des Gegners zu zerstören“, erläutert Schuch in der Rolle des Schachmeisters, der sein Versprechen einlöst: Denn der geistig und auch körperliche Verfall seinen Gegners wird immer mehr ersichtlich – und Kameramann Thomas W. Kienast fängt diese schon fast albtraumhaften Bilder geschickt mit seiner Kamera ein.
Auch Schuch brilliert als eiskalt-kultivierter Gestapo-Leiter in seiner Rolle, vor allem dann, wenn er sich mit Masucci – nicht nur auf dem Schachbrett – sondern auch verbal duellieren darf.
Die beiden Handlungsstränge, die der grausamen Hotelszenen und die des schon fast harmlos wirkenden Schiffes, vermischen sich metaphorisch bis zum Höhepunkt des „Wahnsinnigwerdens“ des Protagonisten. Schiff und Hotel – und wieder zurück.
Mit Schach in den Wahnsinn oder war es seine Lebensrettung? Das Filmende bleibt offen.
Jedoch ist eine Botschaft sicher: Bei klarem Verstand zu bleiben, gilt als oberstes Gebot, um irgendwie zu überleben. So verweist auch das Filmende auf ein Zitat von Stefan Zweig hin: Aus seiner Rede 1941, die er beim PEN-Kongress in New York hielt:
„Es ist an uns heute, den Glauben an die Unbesiegbarkeit des Geistes trotz allem und allem unerschütterlich aufrechtzuerhalten.”
Ist der Film besser als das Buch?
Für eine Literaturverfilmung dieser Art gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man entfernt sich von der Vorlage und lässt seine eigenen Interpretationen einfließen oder man versucht die Vorlage auszubügeln. Dafür benötigt es jede Menge Mut und Selbstvertrauen.
Filmregisseur Philipp Stölzl und Drehbuchautor Eldar Grigorian haben sich für eine gesunde Mischung aus beiden Ansätzen entschieden. Und das ist gut gelungen.
Ab 23. September 2021 in deutschen Kinos.