
Kadyrow (rechts) und der russische Präsident Dmitri Medwedew (2008)
Die westlichen Medien nennen ihn „Putins Bluthund“, den Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Achmatowitsch Kadyrow. Der behauptet auf Telegram: „Neulich waren wir etwa 20 Kilometer von Ihnen entfernt, Kiewer Nazis, und jetzt sind wir noch näher, und raten Sie mal, wie nahe wir gekommen sind. Ich werde eine Intrige hinzufügen: Vielleicht sind wir bereits in Kiew und warten nur auf die nötigen Befehle?“ Dass Kadyrow Kyjiw schon nahe sei, wollen ukrainische Medien widerlegt haben. Demnach habe der gefürchtete „Bluthund“ seine Nachricht von einem Mobiltelefon abgesetzt, das nachweislich nicht in der Ukraine war. Aber ganz gleich, ob Putins vermeintliche Geheimwaffe Kyjiw schon nahe ist oder nicht, man fürchtet ihn. Dabei hören viele von uns hier im Westen den Namen vermutlich zum ersten Mal. Wer ist also Ramsan Kadyrow und wieso steht er Wladimir Putin so nahe?
Tschetschenien. Hand aufs Herz: Die meisten von uns hätten wohl Probleme, es auf einer Weltkarte zu finden. Dabei ist Tschetscheniens Geschichte gerade vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges wichtig, denn beide Länder haben einiges gemein. Sie waren von ethnischen Minderheiten bevölkerte Spielbälle der Großmacht Russland bzw. UdSSR. Stalin ließ die tschetschenische Minderheit zwischenzeitlich sogar deportieren. Stalin hatte mit den Idealen und hehren Zielen eines Karl Marx ebenso wenig gemein wie Putin heute – beiden geht es um Macht und welches ideologische Vehikel dabei auch immer nützlich ist, es wird genutzt werden. Stalins Vorwand für die Deportation: Kollaboration mit Hitler. Heute spricht Putin bei seiner „Sonderoperation“ auch von „Entnazifizierung“. Unter den Deportierten waren auch die Eltern von Achmat Abdulchamidowitsch Kadyrow, der 1995, also nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in deren Zuge zwar die Ukraine, aber nicht Tschetschenien, unabhängig wurde, Mufti von Tschetschenien wurde. Denn ja, Tschetschenien ist muslimisch geprägt. Den ersten Tschetschenienkrieg weihte er als Dschihad und stand damit auf Seite der Unabhängigkeitsbewegung, die ein freies, von Russland losgelöstes Tschetschenien erkämpfen wollte. Jelzin schlug den Aufstand nieder. Achmat Kadyrow zerstritt sich mit dem tschetschenischen Präsidenten und Führer der Unabhängigkeitsbewegung Aslan Maschadow und schlug sich für finanzielle Zuwendungen im zweiten Tschetschenienkrieg auf die Seite des neugewählten russischen Ministerpräsidenten, eines gewissen Ex-KGB Agenten namens Wladimir Putin. Dieses Bündnis hielt Achmats Sohn Ramsan Kadyrow, der seinen Vater als Präsident beerbte, aufrecht. Als Putin damals auf brutalste Weise die Unabhängigkeit Tschetscheniens unterband, also etwas ganz Ähnliches tat, wie jetzt in der Ukraine, juckte es den Westen wenig. Aber der hat ja selbst eine gewisse Tradition darin, muslimisch geprägten Ländern mit militärischen Mitteln den eigenen Willen aufzuzwingen. Dass der Westen sich gegenüber Putins Territorialansprüchen geschlossen derart entrüstet zeigt wie jetzt, ist für Putin folglich auch eine neue Erfahrung.
Trotzdem muss man sich fragen, wie ein fanatischer sunnitischer Sufist und ein nationalkonservativer russischer Autokrat mit einer russisch-orthodoxen Mutter zusammenpassen. Kadyrow ist Mitglied in Putins Partei Einiges Russland. 2007 war es Putin, der Kadyrows Wahl möglich machte, nachdem er ihn zuvor als Held der Russischen Föderation ausgezeichnet hatte. Nach der Wahl waren es Finanzhilfen aus Moskau, mit denen Kadyrow sein Land wieder aufbaute und seinen von Korruption, Personenkult und Menschenrechtsverletzungen geprägten Regierungsapparat aufbauen konnte. Auch beim Niederschlagen der Wahhabiten, die für Kadyrow Feinde des Islams sind (eine andere Auslegung des Islams ist für viele Islamisten schlimmer als gar kein Muslim zu sein), war Putin durchaus behilflich. Kurzum: Kadyrow verdankt Putins Förderung im Grunde alles, was er heute ist. Dafür setzt Kadyrow Putins Interessen durch, hat seinerseits aber auch Narrenfreiheit bei der Bekämpfung eigener Feinde in Tschetschenien. Das läuft dann meistens so ab, dass er Kritiker seines Regimes öffentlich als „Terroristen“ tituliert und die, wenn sie dann nicht ganz schnell außer Landes fliehen, festgenommen werden oder ähnlich mysteriös ums Leben kommen wie Putins Gegner. Sollte jemand wie der Richter Saidi Jangulbajew Immunität genießen, lässt Kadyrow unter einem Vorwand Familienmitglieder verhaften. Offenkundig ein Mann nach Putins Geschmack, der deshalb tun und lassen kann, was er will, solange er dem Kremlchef die Treue hält. Überflüssig zu erwähnen, dass die beiden auch ihre extreme Homophobie teilen.
Kadyrow hat aber eine Sache, die Putin nicht hat, und das ist der Personenkult. Seine Kadyrowzy sind ihm treu ergeben bis in den Tod. Es sind Fanatiker und entsprechend kämpfen sie. Kadyrow selbst dazu: „Ja, im Krieg wird gestorben, und das war ihre Berufswahl.“ Deshalb sind sie Putins Geheimwaffe, sollte es in die Häuserkämpfe gehen. Viele Militärexperten führen das langsame Vorankommen des russischen Militärs auch auf dessen Motivation zurück. Die russischen Soldaten wissen nicht, warum sie auf die Ukrainer, ihr Brudervolk schießen sollen. Die Ukrainer ihrerseits verteidigen aber ihr Land und ihre Freiheit gegen Putins Allmachtsfantasien. Es ist nicht mehr wie auf der Krim, in Donezk und Lugansk. Da ist keine russische Mehrheit, die Putins Truppen mit offenen Armen empfängt. Hier verteidigen Menschen ihr Land gegen einen Feind von außen und die Geschichte lehrt, dass Kampfgeist zahlenmäßige und technische Überlegenheit sehr wohl ausgleichen kann. Das macht die Kadyrowzy, von denen Kadyrow 12.000 Mann in Grosny aufmarschieren ließ und dabei verkündete, weitere 58.000, also insgesamt 70.000 Mann seien für den Kampf in der Ukraine bereit, so gefährlich. Putin muss Kadyrow nicht einmal selbst um Hilfe ersuchen, denn der teilt im Vorfeld über Telegram mit: „Ich fordere die Führung des Landes, den Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte, Wladimir Putin, auf, allen Spezialeinheiten den entsprechenden Befehl zu erteilen, damit sie mit den Nazis und natürlich mit den Terroristen fertig werden, die unsere Frauen, die Alten, getötet haben, und Kinder in der Republik Tschetschenien.“ Noch kommen die tschetschenischen Krieger aber nicht zum Einsatz, noch bombardiert Putin die Großstädte, nimmt den Ukrainern ihr Zuhause. Doch wenn die Artillerie schweigt und die Infanterie in den Trümmern von Kyjiw einen Häuserkampf gegen die Ukrainer beginnt, könnte die Stunde der Kadyrowzy schlagen. Es gibt aber auch Stimmen, die das Auftreten des tschetschenischen Präsidenten als pure Selbstinszenierung sehen. Wunschdenken? Vielleicht. Andererseits glaubte auch Putin, er habe die Ukraine in zwei Tagen eingenommen.
Autor: Michael Schmidt
Siehe dazu auch: Russlands Kriege in Tschetschenien
Quellen
- https://www.tagesspiegel.de/kultur/moskauer-historiker-andrei-subow-deutliche-beweise-fuer-putins-militaerisches-scheitern/28166102.html
- https://www.n-tv.de/politik/Kadyrow-Befinde-mich-in-der-Ukraine-article23193592.html
- https://taz.de/Tschetschenien-und-der-Ukraine-Krieg/!5842003/
- https://www.n-tv.de/politik/Medien-ueberfuehren-Kadyrow-der-Kiew-Luege-article23202156.html
- https://de.wikipedia.org/wiki/Ramsan_Achmatowitsch_Kadyrow