Malte Ewert (Hg.): Neue Dokumente zur Geschichte der Schulfilmbewegung in Deutschland II. Die Rundschreiben der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm (RfdU) und späteren Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (RWU), Hamburg 2003
Der Film galt im Dritten Reich als eines der wirksamsten Propagandamittel überhaupt. Insbesondere die jungen Menschen sollten mit diesem Medium für die nationalsozialistische Ideologie gewonnen werden. Zugriff hatte der nationalsozialistische Staat auf die Jugend dabei nicht nur über den Zwangsverband der Hitlerjugend, sondern vor allem über die Schulen. Für die Schulfilmarbeit gab es eine eigene Institution, die „Reichsstelle für den Unterrichtsfilm“ (RfdU), 1940 umbenannt in „Reichsanstalt für Film und Bild“ (RWU). Offiziell gegründet wurde die RdfU im Sommer 1934, auf Initiative von Bernhard Rust, „Reichsminister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung“, dem sie auch zugeordnet war.
„Der nationalsozialistische Staat“, so heißt es im Gründungserlass des Ministers, „stellt die deutsche Schule vor neue große Aufgaben.“ Und weiter: „Erst der neue Staat hat die psychologischen Hemmungen gegenüber der technischen Errungenschaft des Films völlig überwunden, und er ist gewillt, auch den Film in den Dienst seiner Weltanschauung zu stellen.“ Die neue „Reichsstelle“ erarbeitete Richtlinien für die Unterrichtsgestaltung, organisierte den Verleih von Filmen an die Schulen, sorgte für die technische Ausstattung, gab eigene Publikationen und Unterrichtsmaterialien heraus. Nicht zuletzt produzierte sie selbst rund 1000 Filme für den Unterricht an Schulen und Hochschulen. Finanziert wurde dies durch einen Zwangsbeitrag, den alle Schüler jährlich zu bezahlen hatten. In Kooperation mit den NS-Gaufilmstellen führte die „Reichsstelle“ auch die „staatspolitischen Schulveranstaltungen“ mit meist besonders aggressiven Propagandafilmen durch. Ein wichtiges Führungsmittel innerhalb der zentralistisch organisierten Schulfilmarbeit waren die internen Rundschreiben der Reichsstelle an die 35 untergeordneten Landesbildstellen. Hier wurden wichtige Anweisungen und Informationen weitergegeben, die die Tagesarbeit der Bildstellen regelten und ihrerseits den Landesbildstellen Grundlage für ihre Arbeit mit den Kreis- und Stadtbildstellen gaben. Diese Rundschreiben enthalten Hinweise auf neue technische Geräte, informieren über neue Filme und Bestimmungen. Sie geben so einen wertvollen Einblick in das reale Geschehen und Probleme der Filmarbeit, wie sie allein aus den amtlichen Publikationen der Zeit nicht zu erschließen sind. Diese Rundschreiben, von denen es etwa 1500 gab, wurden in extrem kleiner Stückzahl verbreitet und oft nach Kenntnisnahme gleich vernichtet. Für die Historiker war diese wichtige Quelle bisher praktisch nicht zugänglich, zu verstreut waren die einzelnen Schreiben in zahlreichen Archiven. Malte Ewert hat in mühevoller Kleinarbeit fast 1300 der Rundschreiben sammeln können, die vom Verlag Dr. Kovac nun in zwei Bänden herausgegeben werden.
Die Dokumente – die meisten kaum umfangreicher als eine Schreibmaschinenseite – sind chronologisch angeordnet. Ein äußerst hilfreiches Inhaltsverzeichnis sortiert die Rundschreiben zusätzlich thematisch und ermöglicht einen guten Einstieg. Zu den vom Herausgeber benannten Themenbereichen gehören etwa die technische Entwicklung, die Finanzierung der Filmarbeit, Personalmaßnahmen oder Berichte zum Kriegsgeschehen. Zusätzliche Register für Personen und Institutionen, die in den Schreiben erwähnt werden, ermöglichen gezielte Recherchen. Die jetzt mögliche Gesamtschau auf die Arbeit der „RdfU“ kann ganz neue Perspektiven auf die in der Forschung bisher vernachlässigte Schulfilmarbeit in der NS-Zeit bieten. So zeigt sich etwa, dass in der konkreten Praxis die „Reichsstelle“ keineswegs nur der willfährige Erfüllungsgehilfe des Propagandaministeriums war. Mit großer Energie achtete man gerade auf institutionelle, aber auch inhaltliche Unabhängigkeit – sowohl gegenüber dem Goebbelschen Ministerium wie auch gegenüber anderen NS-Propagandastellen. Dies äußerte sich etwa darin, dass man Filme, die von der NS-Propagandaleitung bereits für staatspolitische Veranstaltungen ausgewählt worden waren, einem eigenen Genehmigungsverfahren unterzog. Gelegentlich wurde Propaganda-Material – so eine Lichtbildserie über „Bau- und Gestaltungswille im Dritten Reich“ – als für den Schulunterricht ganz ungeeignet abgelehnt.
Dieser Wunsch nach Unabhängigkeit spiegelt sich auch in der Filmproduktion wider. Politische Propagandafilme – jedenfalls soweit die Titel Rückschlüsse erlauben – finden sich vergleichsweise wenig, dafür umso mehr reine Unterrichtsfilme zu biologischen, technischen und anderen Sachthemen. Der Band bringt in einem Anhang eine komplette Liste aller produzierten Filme. Die RdfU hatte dabei ein besonders Privileg: Reine Schulfilme, die nicht für eine öffentliche Vorführung bestimmt waren, unterlagen keinerlei staatlicher Zensur. Keine Beschäftigung mit Filmgeschichte und Propaganda im Dritten Reich wird künftig an dieser wertvollen Dokumentensammlung vorbeigehen können. Man darf dem Herausgeber für seine mühevolle Recherche und dem Verlag für den Mut zu dieser wichtigen Edition dankbar sein.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans
Malte Ewert (Hg.): Neue Dokumente zur Geschichte der Schulfilmbewegung in Deutschland II. Die Rundschreiben der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm (RfdU) und späteren Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (RWU), 2 Bände, Hamburg 2003, Verlag Dr. Kovac, 793 Seiten, 118.- Euro