Rezension über: |
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Robert Domes: Nebel im August. Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa. München: cbt 2008, 352 Seiten, ISBN 978-3-570-30475-4, 9,00 EUR. |
Das kurze, traurige Leben des Ernst Lossa
Die Jenischen als Opfer des NS-Rassenwahns.
Als Ernst Lossa am 1. November 1929 in Augsburg geboren wird, ist er der Stolz seiner jungen Eltern, die zum Volk der Jenischen gehören und sich als landfahrende Kurzwarenhändler ihren Unterhalt verdienen. Extreme materielle Not bestimmt die Kindheit von Ernst und seinen drei jüngeren Geschwistern, zugleich aber auch das Gefühl, frei zu leben und insbesondere von der Mutter über alles geliebt zu werden. Im Sommer 1933 wird die Familie auseinandergerissen; Ernst und seine Geschwister werden als „Zigeuner-Kinder“ in Heime gesteckt. Als Ernst Lossa im Alter von knapp 15 Jahren am 8. August 1944 in der Pflegeanstalt Irsee mit zwei Morphiumspritzen ermordet wird, leben seine Eltern schon nicht mehr: Die Mutter verstirbt 23-jährig an einer zu spät diagnostizierten Tuberkulose-Erkrankung, der Vater stirbt nach längerer Haft im KZ Flossenbürg im Alter von 35 Jahren an „Herzschwäche“.
Ernst selbst verbringt die letzten elf Jahre seines Lebens, isoliert von den Eltern und Geschwistern, in wechselnden Kinderheimen, sogenannten „Besserungsanstalten“ sowie Pflege- und Nervenheilanstalten. Statt Liebe und Geborgenheit erfährt Ernst hier Hass und Verachtung; nicht Zuwendung, sondern Schläge bestimmen seinen Alltag. Und Ernst entwickelt in Reaktion auf die erlittenen psychischen und physischen Misshandlungen genau die Verhaltensweisen, wegen der ihn das Heimpersonal immer wieder als „asozial“, „diebisch“ und „unerziehbar“ bezeichnet und damit schließlich auch seine Ermordung im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms rechtfertigt.
Fast fünf Jahre hat Robert Domes die Geschichte der Familie Lossa, das Schicksal der Jenischen sowie die Euthanasie-Politik der Nationalsozialisten erforscht, hat Akten gewälzt und vor allem Zeitzeugen befragt. Das Ergebnis seiner Recherchen ist die äußerst lesenswerte Biografie Nebel im August. Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa. Auf knapp 300 Seiten erzählt Domes das Leben von Ernst Lossa und gibt zugleich einen exemplarischen Einblick in die Lebensumstände der nicht nur von den Nationalsozialisten als „Zigeuner“ gebrandmarkten Jenischen. Bedrückend anschaulich schildert Domes die vielfältigen Quälereien, denen Ernst ausgesetzt ist. Und er zeigt zugleich, dass der Junge allen Misshandlungen zum Trotz sich zu behaupten sucht, indem er sich an die Liebe seiner Mutter erinnert und an das Versprechen seines Vaters klammert, mit der Familie nach Amerika auszuwandern. So wünscht man sich beim Lesen für das Kind Ernst immer wieder eine Wendung zum Guten und weiß doch, dass er ebenso wie viele andere Jenische dem NS-Rassenwahn zum Opfer fiel.
Domes’ Buch ist ursprünglich für Jugendliche geschrieben worden, weshalb die eigentliche Biografie durch ein 11-seitiges Glossar mit Erläuterungen zu Fachbegriffen, eine 10-seitige Übersicht zur NS-Zeit sowie einen knappen Forschungsbericht ergänzt wird. Aber auch historisch interessierte Erwachsene können mit Gewinn zu diesem linear erzählten Werk greifen, gibt es doch Einblicke in Aspekte der NS-Herrschaft, die bislang weniger im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen.
Autor: Tomas Unglaube
Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlichung in: ENDSTATION RECHTS. ↗, 22. Dezember 2009.