
Monos – von Alejandro Landes. Quelle: Berlinale
Im Nebel Nordkolumbiens spielen ein paar Jugendliche Fußball mit verbundenen Augen – soll heißen: Sie trainieren die akustische Vermessung des Raums. Besser könnte die Eröffnungsszene nicht aussehen, wenn man bedenkt, dass das Ziel dieses Filmes darin besteht, den Zuschauer viel mehr fühlen als sehen zu lassen. Dabei spielen die Sinne und deren Schärfung für die Protagonist/-innen eine entscheidende Rolle. So entscheidend, dass es um Leben und Tod geht.
Denn diese Jugendlichen sind nicht etwa Freunde, die sich spontan getroffen haben, sondern Teil einer paramilitärischen Einheit. Das Ballspiel dient nicht dem Zeitvertreib, sondern ihrer Ausbildung. Patagrande, Rambo, Leidi, Sueca, Pitufo, Lobo, Perro und Bum Bum lauten ihre Kampfnamen. Ihre Disziplinierung steht im Mittelpunkt des Geschehens und gibt Einblick in das tägliche Exerzieren, sowie die nächtliche Verausgabung. Alle sind sie jung, schwer bewaffnet und gleichzeitig verantwortlich für eine amerikanische Geisel und die Milchkuh Shakira, von deren Erzeugnissen sie mitunter abhängig sind. Der Zweck dieser Einheit, der Grund der Geiselnahme und die politische Zugehörigkeit der Mitglieder – all diese Einzelheiten bleiben der Fantasie des Zusehers überlassen, denn auf eine Auflösung wartet man vergeblich.
Dass solche Gruppierungen überhaupt existieren und nicht nur steinzeitliche, sondern vor allem grausame Praktiken an den Tag legen, muss der Zuseher erst einmal verarbeiten. Dafür bleibt nicht lange Zeit, denn schon bald ereignet sich ein folgenschweres Ereignis, das die Jugendlichen dazu zwingt, ihren Standort zu ändern. Daraufhin ziehen sie sich weiter zurück in den Dschungel. Dass der fatale Vorfall nicht ohne Folgen bleibt, versteht sich von selbst, da die ungleichen Machtstrukturen der gewaltbereiten Gruppe ihr Übriges tun und für noch mehr Zerrüttung und Konflikte sorgen.
Der Regisseur hat mit diesem Filmdrama eine Kombination aus Kriegsthriller und Milieudarstellung geschaffen, das durch bildgewaltige Inszenierung überzeugt und den Zuseher voll und ganz vereinnahmt. Dabei liegt eine der Stärken des Films klar in der bewussten Entscheidung, weder auf Sinn noch Zweck der Organisation einzugehen. Der Zuseher wird auf diese Weise ins kalte Wasser geworfen, allein mit dieser grausamen Subgesellschaft und der rauen Gewaltdarstellung. Landes schafft es, einen dazu zu bringen, wegsehen zu wollen und doch gleichzeitig nicht den Blick abwenden zu können.
Nicht nur Bild und Ton überzeugen und nehmen einen ein, sondern auch die Protagonisten, die mit ihrem überzeugenden Spiel den Glauben erwecken, tatsächlich einer solchen Gruppierung anzugehören. Allen voran der einstige Kinderstar Moises Ariás, bekannt aus „Hannah Montana“, der den Gruppenanführer Bigfoot verkörpert. Sein kaltblütiges Spiel sowie korruptes und erbarmungsloses Handeln versetzen die Zuschauer sowohl auf als auch vor der Leinwand in Angst und Schrecken. Neben ihm sticht vor allem Julianne Nicholson mit ihrer einzigartigen Darstellung der amerikanischen Geisel heraus.
Landes‘ Kinoerlebnis überzeugt mit einer atemberaubenden Bildsprache, psychischer und physischer Härte und einer präzisen Geräuschkulisse, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Eine Kombination aus üppigen Landschaftsgemälden, ausgelassenen Fahrten und einer düsteren Bilderreihe besticht ebenso wie die tropische Vegetation als willkommener Hintergrund und Begleiter des Geschehens.
Ob Landes nun seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse in einer abstrakten und übertriebenen Weise porträtieren möchte, zumal er von kleinauf von den kriegerischen Konflikten Kolumbiens begleitet wurde, ist Ansichtssache. Eine neue Tonalität gewinnt das Filmdrama durch das Bekriegen der Jugendlichen untereinander. Ganz nach darwinistischen Prinzipien werden auch innerhalb dieser Gruppierung Hierarchien und Führungsansprüche neu verhandelt – Konflikte, Streit und Gewalt sind innerhalb einer derartigen Gruppendynamik unvermeidbar.
Klar ist, dass dieser Film, mit dem Urwald als Kulisse und einer Handlung, die den Zuseher gleichermaßen einnimmt und abstößt, einen Eindruck hinterlässt, der Raum für Fragen, Interpretation und einen eigenen Beigeschmack hinterlässt.
Monos
Regie: Alejandro Landes
Kolumbien / Argentinien / Niederlande / Dänemark / Schweden / Deutschland / Uruguay / USA 2019, Spanisch
102 Min · Farbe
Berlinale – Sektion Panorama