
Mit der Faust in die Welt schlagen | Punching the World. Land: DEU 2025. Regie: Constanze Klaue. Sektion: Perspectives 2025. Datei: 202516907_1. © Flare Film / Chromosom Film
Ein kraftvolles Debüt über verlorene Jugend und gesellschaftlichen Wandel
Constanze Klaues Spielfilmdebüt „Mit der Faust in die Welt schlagen“ ist ein beeindruckendes, emotional aufwühlendes Werk, das auf der diesjährigen Berlinale seine verdiente Weltpremiere feierte. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Lukas Rietzschel, entführt uns der Film in die raue Realität der ostdeutschen Provinz der frühen 2000er Jahre und zeichnet ein schonungsloses, aber zutiefst menschliches Porträt einer Gesellschaft im Umbruch. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen zwei Brüder, meisterhaft verkörpert von den jungen Schauspielern Anton Franke und Camille Moltzen. Ihre Darstellung der komplexen Geschwisterbeziehung ist von einer Authentizität geprägt, die unter die Haut geht. Wir erleben ihre Welt durch ihre Augen – eine Welt voller Unsicherheiten, zerbrochener Träume und wachsender Frustration. Klaue beweist ein bemerkenswertes Gespür für die Nuancen kindlicher Wahrnehmung. In den stärksten Momenten des Films fängt sie den Bewusstseinsstrom ihrer jungen Protagonisten mit einer Unmittelbarkeit ein, die den Zuschauer direkt in ihre Erfahrungswelt hineinzieht.
Die karge Schönheit der ostdeutschen Landschaft, eingefangen in atemberaubenden Bildern von Kameramann Florian Brückner, bildet dabei den perfekten Rahmen für diese Coming-of-Age-Geschichte. Besonders beeindruckend ist, wie der Film die großen gesellschaftlichen Themen der Nachwendezeit – Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, das Erbe der Stasi – durch die persönlichen Erlebnisse der Brüder greifbar macht. Die Darstellung der langsamen Radikalisierung, die sich in ihrer Umgebung vollzieht, ist erschreckend realistisch und vermeidet dabei jegliche Schwarzweißmalerei. Ein Höhepunkt des Films ist zweifellos die Sequenz, in der die Errichtung eines Flüchtlingsheims im Heimatort der Brüder die schwelenden Konflikte an die Oberfläche bringt. Die Spannung, die sich in diesen Szenen aufbaut, ist beinahe körperlich spürbar und kulminiert in einem erschütternden Crescendo der Gewalt.
Wenn der Film in seiner zweiten Hälfte einen abrupten Zeitsprung ins Jahr 2015 wagt, mag dies zunächst irritieren. Doch Klaue nutzt diesen dramaturgischen Kniff geschickt, um die langfristigen Auswirkungen der früheren Ereignisse zu beleuchten und eine Brücke zur Gegenwart zu schlagen. Die Einbeziehung der Geschichte von İbrahim Arslan, einem Überlebenden des Brandanschlags von Mölln, verleiht dem Film eine zusätzliche Ebene der Relevanz und Dringlichkeit. „Mit der Faust in die Welt schlagen“ ist kein leichter Film, aber einer, der lange nachwirkt. Er konfrontiert uns mit unbequemen Wahrheiten über die deutsche Nachwendegeschichte und deren Echos in der Gegenwart. Gleichzeitig ist er ein zutiefst menschlicher Film, der Verständnis weckt, ohne zu entschuldigen, der Mitgefühl erzeugt, ohne in Sentimentalität zu verfallen.
Constanze Klaue etabliert sich mit diesem Debüt als eine wichtige neue Stimme des deutschen Kinos. Ihr unerschrockener Blick auf ein schwieriges Kapitel deutscher Geschichte, gepaart mit ihrem Gespür für atmosphärische Dichte und authentische Charakterzeichnung, machen „Mit der Faust in die Welt schlagen“ zu einem der bemerkenswertesten Filme des diesjährigen Berlinale-Programms. Dieser Film ist mehr als nur ein Zeitdokument – er ist ein kraftvoller Appell an unser kollektives Gewissen und eine Erinnerung daran, wie fragil der gesellschaftliche Zusammenhalt sein kann. „Mit der Faust in die Welt schlagen“ ist ein Must-See für alle, die bereit sind, sich auf eine emotional fordernde, aber zutiefst lohnende cineastische Erfahrung einzulassen.
Mit der Faust in die Welt schlagen von Constanze Klaue (Regie, Buch) / mit Anton Franke, Camille Moltzen, Anja Schneider, Christian Näthe, Johannes Scheidweiler / 110′ / Deutschland 2025 / Farbe / Deutsch / Untertitel: Englisch
Berlinale 2025 – Sektion Perspectives
Ab 3. April 2025 im Kino.
- Hier geht es zum Trailer auf Youtube
- Hier geht es Bildungsmaterial, das im Auftrag des Instituts für Kino und Filmkultur erstellt wurde: https://film-kultur.de/wp-content/uploads/mit-der-faust-in-die-welt-schlagen_kc.pdf.