Thomas Bernhard: Meine Preise, Frankfurt/Main 2009.
Er war ein Unikum im deutschsprachigen Literaturbetrieb, der den Hass in eine literarische Form presste und das Granteln zur Methode erhob. In der sich steigernden Wiederholung seiner Tiraden, den sich immer höher schraubenden Suaden lief er zu meisterlicher Höchstform auf, die aber bei den Lesern nicht etwa das Ziel islamistischer Hassprediger erreichte, sondern sich in einem Akt der Befreiung in Lachsalven entlud. Kaum ein System oder eine Institution, ob Literatur, Politik, Staat oder Kirche blieben von seiner grenzenlosen hämischen und haßerfüllten, niedermachenden Kritik verschont. Das galt auch für die sich in ihrer Eitelkeit sonnenden Repräsentanten und Mächtigen. Und doch verbarg sich hinter all der Schmäh-, Verunglimpfungs- und Abrechnungsliteratur ein höchst sensibler und auch zärtlicher Autor, der von Jugend an krankheitsbedingt mit dem Tod auf Du war und sich immer wieder durch ernste gesundheitliche Krisen manövrieren musste. Da bot die Literatur, das Bühnen- wie auch das Lebenstheater einen willkommenen Ausgleich, sich mit dem lächerlichen Dasein der Menschen, ihrer Eitelkeit, ihrem Opportunismus, ihrer Verdrängung und den Lebenslügen zu beschäftigen, „denn alles ist lächerlich angesichts des Todes“.
Die Rede ist hier natürlich von Thomas Bernhard. Nun, zwanzig Jahren nach seinem Tod, ist ein bislang unveröffentlichter autobiografischer Text aus seinem Nachlass erschienen, den er noch selbst bei Suhrkamp angekündigt hatte. Schwierigkeiten bei der Zuordnung und Aufarbeitung des Nachlasses haben die Herausgabe so lange verzögert.
Es ist ein fast buchhalterischer und chronologischer Bericht über die Preise, die man Bernhard in seiner literarischen Karriere verliehen hatte. Klare und unziselierte und relativ kurze Sätze präsentieren eine ungewohnte Sprache von Bernhard. Die Form tritt hier zugunsten des Inhalts zurück, eine Abrechnung mit dem Literaturbetrieb. Laudatoren, die die Namen der Preisträger verwechseln, oder die falschen Werke benennen, sind da noch Petitessen. Entlarvender ist die Jurysitzung zum Bremer Literaturpreis 1966, an der Bernhard als Juror teilnahm, nachdem er den Preis ein Jahr zuvor selber erhalten hatte. Er reiste nach Bremen mit der festen Absicht, Elias Canetti für „Die Blendung“ vorzuschlagen. „Mehrere Male sagte ich das Wort Canetti und jedes Mal hatten sich die Gesichter am Tisch wehleidig verzogen.“ Die meisten kannten ihn offenbar gar nicht, bis auf einen, der entgegnete: „Aber der ist ja auch Jude.“ Diese antisemitische Bemerkung fiel auf fruchtbaren Boden und Canetti war ausjuriert. Dass dann der deutsch-jüdische Autor Wolfgang Hildesheimer, offenbar in Unkenntnis seiner jüdischen Herkunft, den Preis bekam, war für Bernhard „das die Pointe des Preises“. Für Bernhard waren unterschiedslos alle „Arschlöcher“. Die Juroren, wenn sie ihn nur für den kleinen Staatspreis vorsahen, die unwürdigen anderen Preisträger, und nicht zu vergessen, die involvierten Politiker. Da ist sie wieder die ungerechte, pauschalierende Verunglimpfung. Bernhard schwingt die Axt und hinterlässt Kahlschlag. Aber wer glaubt, dass ein literarischer Text Gerechtigkeit offenbaren muss und sein Autor dem Anstand, der Ausgewogenheit verpflichtet ist, sollte sich eher in die Kirche begeben.
In seinen Überlegungen zu den ihm zugesprochenen Preisen offenbart sich Bernhard sehr ehrlich – wenn man unbedingt eine moralische Kategorie bemühen möchte – als kleinbürgerlicher Bausparer und ausschließlich am Preisgeld interessiert, das er im Geist sofort in diverse Käufe, Aus- und Umbauten an seinem Vierkanthof umsetzt. Die ganze Verleihung und der lästige Zwang zum Dank oder gar einer Dankesrede waren ihm stets grauenhaft. Sehr sympathisch war ihm dagegen der Julius-Campe-Preis des Hoffmann und Campe Verlags in Hamburg. Da musste er weder eine Feier über sich ergehen lassen, noch eine Rede halten, sondern nur sang- und klanglos im Verlagsbüro den Scheck entgegennehmen und mit einem Verlagsrepräsentanten zu Mittag speisen. Seine beispiellos kurzen und verquast semiphilosophischen Reden sind im Anhang ebenso beigefügt wie seine Austrittserklärung aus der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, die er anlässlich der Aufnahme von Walter Scheel als Ehrenmitglied 1979, verließ. Danach nahm er überhaupt keine Preise mehr an.
Autor: Matthias Reichelt
Thomas Bernhard: Meine Preise, Frankfurt/Main 2009. 144 Seiten, Hardcover, Suhrkamp-Verlag, 15,80 €, ISBN 978-3-518-42055-3.