Architektur des Schreckens. Maikäfer flieg … Lilli Engel, Raffael Rheinsberg. Installation und Malerei
Wie ein perfekter White Cube wirkt die weißgetünchte lange Halle hinter meterdicken Betonwänden des Bunkers in der Pallasstraße. Dort befindet sich eine Bodeninstallation aus unzähligen eisernen Fundstücken, Teile von Maschinen, die Raffael Rheinsberg in Reih und Glied zu einem „Feld“ angeordnet hat. Zentralperspektivisch läuft das ca. 25 x 4m lange Feld auf eine rätselhafte Figur im Mantel zu. Die unterschiedlichen Formen, Höhen und Flächenausmaße der Objekte, zwischen denen Längs- und Querschneisen wie Straßen verlaufen, befördern kurz die Bilder städtischer Ruinenlandschaften nach den Bombardierungen herauf. Das ist nicht so weit hergeholt, sondern durchaus im Rahmen möglicher Bildanalogien, die Raffael Rheinsbergs Installation „Feld“ evoziert. Man könnte auch eine Armee assoziieren, die vor ihrem Befehlshaber Aufstellung genommen hat. Schreitet man das Feld der Objekte ab und nähert sich der Figur am Ende, erkennt man eine alte und verrostete Bombenattrappe, die aus einer DDR-Kaserne stammt und Übungszwecken diente. Seit vielen Jahren sammelt der Künstler auf Brachgeländen, ehemaligen Maschinenfabriken und Kasernen Objekte, die er zu Installationen arrangiert. Die Eigentümlichkeit der ihres funktionalen Kontextes beraubten Gegenstände repräsentieren eine Industriekultur und addieren sich zu neuen Bedeutungsebenen. In einem weiteren Raum sind die großformatigen Bilder von Lilli Engel zu sehen, die über viele Jahre hinweg durch mehrfachen Farbauftrag und anschließendem Abkratzen eine palimpsestartige Vielschichtigkeit erlangen. Ein sehr dunkel gehaltenes Bild an der Stirnseite des länglichen Raumes trägt als Titel das Datum „1.9.1939“. An der gegenüberliegenden Wand erinnert das Tableau an Stalingrad und die Wende im Vernichtungskrieg. An den Längsseiten sind in Rot- und Brauntönen Gemälde nach Orten in Afghanistan benannt, die an einen Krieg gemahnen, der unter Beteiligung der Bundeswehr geführt wird, aber immer noch nicht als solcher deklariert wird. Die Bilder Lilli Engels sind realen Landschaften mittels erdiger Farben und den entsprechenden Lichttönen nachempfunden und werden in ihrer abstrakten Erscheinung zu Gefühlslandschaften. Durch die vielfache und langjährige Be- und Überarbeitung ist ihnen selber ein mehrschichtiger Geschichts- und Arbeitsprozess eingeschrieben. Einzig das Gemälde zum Kriegsbeginn hat sie seit mehr als zwanzig Jahren unverändert gelassen. Eine Reihe kleinerer Bilder wurde mit schwarzen Tüchern verhängt und steht für den ersten Irakkrieg 1991, der medial unter rigider Kontrolle der U.S.-Army stand. Auf Pressekonferenzen präsentierte General Schwarzkopf demonstrative Luftaufnahmen und einzelne Bilder von ausgebrannten Panzern in der Wüste. Der Mangel an Bildern nährte die Illusion eines nahezu opferlosen Krieges. Seitdem gab es viele weitere Kriege, unter vielen anderen auch die völkerrechtswidrige Bombardierung Serbiens mit deutscher Beteiligung.
Der 1943 in Kiel geborene Raffael Rheinsberg und die 1939 in Solingen geborene Lilli Engel hatten zusammen die Idee, mit einer Ausstellung in einem kriegswichtigen Gebäude in Berlin an den 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen und des Beginns des Zweiten Weltkrieges zu erinnern und gleichzeitig auf die Gegenwärtigkeit von Kriegen auch mit deutscher Beteiligung aufmerksam zu machen. Als Titel wählten sie das alte Kinderlied, das auf den Dreißigjährigen Krieg zurückgeht, aber als Folklore tradiert wurde. Nach der Melodie „Schlaf Kindlein schlaf“ wird der folgende Text gesungen:
Maikäfer flieg!
Der Vater ist im Krieg,
Die Mutter ist im Pommerland,
Und Pommerland ist abgebrannt.
Maikäfer flieg!
Mit dem Hochbunker unter dem durch das Quartiersmanagement wohlmeinend in Pallaseum umbenannten „Sozialpalast“ haben die beiden Künstler und das Haus am Kleistpark den geeigneten Ort gefunden. Dieser erst 1943 mit ca. 400 sowjetischen Zwangsarbeitern innerhalb eines Jahres hochgezogene Bunker wurde von den Nazis nie in Betrieb genommen. Die Zwangsarbeiter, darunter ganze Familien mit Kindern und Babys, waren in der benachbarten und 1943 in die Lausitz evakuierten Augusta-Schule (heute Sophie-Scholl-Schule) zusammengepfercht. Der Bunker war nicht etwa für Bürger geplant worden, sondern für die Unterbringung des Fernmeldeamtes in der Winterfeldtstraße. Mit der Errichtung war die Firma Philipp Holzmann AG betraut. Allerdings wurde der Bunker nicht völlig fertiggestellt und erlebte unbeschädigt das Kriegsende. Versuche, ihn zu sprengen, blieben erfolglos und 1977 wurde er mit dem Sozialpalast überbaut. 1986 ließ der Senat ihn gegen breite Proteste zum ABC-Bunker für ca. 4.800 Menschen umbauen. Ein Antrag, ihn als historischen Ort der Erinnerung unter Denkmalschutz zu stellen, wird zurzeit geprüft. Ein idealer Ort für das Künstlerpaar Lilli Engel und Raffael Rheinsberg, mit ihrer Ausstellung daran zu erinnern, dass die Welt nicht sicherer geworden ist, sondern Kriege und asymmetrische Kriege seit Ende des Systemkonflikts und seiner Balance des Schreckens numerisch zugenommen haben und trotz der NS-Erfahrung auch von „deutschem Boden“ aus wieder Krieg geführt wird.
Im Erdgeschoss des Bunkers zeigt der Verein „Maikäfer flieg“ Bilder und Fotografien von Kindern aus dem Kosovo.
Autor: Matthias Reichelt
Maikäfer flieg …
Lilli Engel, Raffael Rheinsberg
Installation und Malerei
2. September – 25. Oktober 2009
DI-SO 10-18 UHR
Eröffnung: Dienstag, 01.09.2009 um 19 Uhr
Hochbunker Pallasstr. 30
10781 Berlin-Schöneberg
U7 Kleistpark, U1 Bülowstr.
Bus M48, M85, 106, 187, 204
(Potsdamer Str., Ecke Goebenstr.)