Invisible. Man sieht es ihr nicht an. Es geht um Vergewaltigung und darum, daß eine von fünf Frauen in ihrem Leben mit Vergewaltigung oder versuchter Vergewaltigung konfrontiert wird. Regisseurin Michail Aviad zeigt in ihrem Erstlingswerk einen Film zwischen Dokumentation und Fiktion über das Verbrechen Vergewaltigung und dessen Auswirkungen im Leben zweier Frauen.
Es ist der Zufall, der zwei Frauen zusammenbringt, die ein gemeinsames Schicksal teilen: TV-Journalistin Nira (Evgenia Dodina) erkennt bei Dreharbeiten in einem militärischen Sperrgebiet in Israel in der Polit-Aktivistin Lily (Ronit Elkabetz) diejenige Frau wieder, die vor dreißig Jahren neben ihr bei einer polizeilichen Gegenüberstellung ihren gemeinsamen Vergewaltiger identifizierte.
Die schicksalhafte Begegnung führt dazu, dass sie in ihrer Vergangenheit graben, Erinnerungen heraufbeschwören und zu einem Verarbeitungsprozess führen, der eine ganz eigene Dynamik bekommt.
Für Nina wird zur Obsession so viel wie möglich über den Täter zu erfahren. Sie entdeckt, dass die Presse den Mann den „höflichen Vergewaltiger“ nannte, weil er seine Opfer dazu zwang, Stunden mit ihm zu verbringen, während derer er sie abwechselnd vergewaltigte und sich mit ihnen unterhielt.
Lily ist in einer ernsthaften Ehekrise und versucht vergeblich das Trauma zu verdrängen. Sie wehrt sich gegen Niras Versuche, sich mit ihr anzufreunden, hat aber nicht länger die Kraft, ihr Leid zu unterdrücken und sieht schließlich ein, dass sie keine andere Wahl hat, als sich der Vergangenheit zu stellen.
Schließlich begeben sich die beiden Frauen auf eine ebenso schmerzliche wie befreiende Reise, um ihre Angst, die sie unfreiwillig miteinander verbindet, abzuschütteln.
Der Film braucht eine Weile, um zu seiner vollen Wirkung zu gelangen. Nach und nach wird dem Zuschauer klar, dass es er keine reine Fiktion vor sich hat. Die Taten des „höflichen Vergewaltigers,“ das Verhör, sogar das Muttermal des Täters auf seinem Rücken entsprechen wahren Begebenheiten. Die Geschichte um Nira und Lily ist fiktiv. Anhand beider Protagonisten zeigt Aviad die Hilflosigkeit, die dieses Trauma mit sich bringt und wie es alle Bereiche des Lebens durchdringt. Von der entwürdigenden Behandlungen und Befragungen durch Psychiater, Polizisten oder Richter bis zum täglichen Kampf um die Rückkehr zur Normalität.
Ein Film, der nachhaltig unter die Haut geht – gerade weil er auf übertriebene Schockeffekte und Überdramatisierung verzichtet.
Lo Roim Alaich – Man sieht es ihr nicht an
Israel, Deutschland, 2010, 90 min
Regie: Michail Aviad
Darsteller: Ronit Elkabetz, Evgenia Dodina
Sektion: Panorama