Ein neues Kriegerdenkmal als Störfall in der hauptstädtischen Denkmallandschaft
Gebeten um Rat für mein Forschungsprojekt über „Kriegerdenkmäler im Berlin der Zwischenkriegszeit“, fragte mein Heidelberger Doktorvater Dietrich Schubert nur trocken zurück: „Und das wollen Sie sich wirklich antun?!“ Das Thema schien durchgearbeitet zu sein, nachdem er selbst und andere Kunsthistoriker sich seit den ideologiekritischen und friedensbewegten 1970er-Jahren damit abgemüht hatten – ein unerquickliches Forschungsobjekt, mit dem man in die düstere Zeit fataler Heldenverehrung eintauchte und sich mit der damaligen „Pervertierung der Plastik“ – so Schubert – befassen musste.[1] Trotzdem gab mir die 2004 abgeschlossene Arbeit[2] seitdem immer wieder Anlass, auch zeitgenössische politische Denkmäler und Inszenierungen aus kunsthistorischer Sicht zu beobachten und zu kommentieren. Das öffentliche und wissenschaftliche Interesse an Denkmälern hat jedenfalls in den letzten Jahren überraschenderweise nicht abgenommen, sondern sich verstärkt. Das wiedervereinigte, sozialräumlich aber immer noch stark fragmentierte Berlin bietet die Gelegenheit, eine einzigartige, sich ständig wandelnde Denkmalslandschaft zu beobachten. Während die deutsche Hauptstadt in den 1920er- und 1930er-Jahren Schauplatz einer auch damals kontroversen Heldenverehrung war, baut man im Berlin der Gegenwart vorrangig den Opfern der NS-Herrschaft Denkmäler. An erster Stelle ist hier das Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu nennen, das den Platz eines Nationaldenkmals der Berliner Republik eingenommen hat – eine gigantische Geste der Beschwichtigung nach außen und der Selbstvergewisserung nach innen.[3] Diesem Monument folgt nun eine ganze Reihe von Denkmälern für weitere Opfergruppen des Nationalsozialismus im Regierungsviertel. Zudem drängen auch die Opfer des Stalinismus und des DDR-Grenzregimes auf eine angemessene Repräsentation in der Bundeshauptstadt. Und schließlich gelang es der politischen Linken, mit neuen Denkmalssetzungen für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ihren historischen Opferstatus zu dokumentieren. Und nun erhält auch das scheinbar obsolete Medium „Kriegerdenkmal“ neue Aktualität. Die nun öffentlich gemachten Entwürfe für ein Denkmal zu Ehren der bei Auslandseinsätzen, Manövern und Unfällen ums Leben gekommenen Bundeswehrangehörigen verweisen ohne Zweifel auf den Kriegerdenkmalsbau in der Weimarer Republik, so daß ein historischer Rückblick angebracht ist.
Kriegserinnerung und Heldendenkmäler im Berlin der Zwischenkriegszeit
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden neben den Schlachtfeldern auch die europäischen Hauptstädte zu besonderen Orten der Kriegserinnerung. In den Metropolen gab es wichtige Friedhöfe, Kriegsmuseen und Kirchen; zudem wurden viele neue Kriegerdenkmäler errichtet. Entstand auch im Berlin der Zwischenkriegszeit eine Erinnerungs- und Denkmalslandschaft mit nationaler Ausstrahlungskraft? Und konnte diese artifizielle Gedenklandschaft ohne historische Orte als Ersatzziel für den Schlachtfeldtourismus dienen? Die Antwort lautet ja und nein. Eine monumentale, zentral gelegene Kriegergedenkstätte, die zum nationalen Pilgerort hätte avancieren können, wurde nicht gebaut. Der Pluralismus politischer Verbände und administrativer Ebenen führte stattdessen zu einer kleinteiligen, vielgestaltigen Denkmalslandschaft: Zahlreiche Kriegerdenkmäler, Kriegsausstellungen und Friedhöfe waren über den Stadtraum verstreut. Bis zum Ersten Weltkrieg waren deutsche Kriegerdenkmäler im Wesentlichen Siegerdenkmäler. Nun verkomplizierte die Niederlage die Situation: Man brauchte nach 1918 Denkmäler für Besiegte, für tragische Helden, suchte nach künstlerischen Lösungen, um diesen Widerspruch zu überwinden. Teilweise wurde das Vakuum, das der ergebnislose Streit der verfeindeten Veteranenverbände um ein „Reichsehrenmal“ hinterlassen hatte,[4] Anfang der 1930er-Jahre von der modern und schlicht gestalteten Gedenkstätte „Neue Wache“ ausgefüllt.[5] Erst die Nationalsozialisten gingen daran, monumentale Denkmäler zu bauen und zu planen, die die Stadt zu einem Erinnerungsort an vergangene Kriege machen sollten. Hitlers Projekt eines gigantischen Triumphbogens für die Toten des Ersten Weltkriegs und einer ebenso großen Ehrenhalle für gefallene Soldaten sind als Reaktionen auf die Unübersichtlichkeit der deutschen Hauptstadt zu verstehen. Berlin in seiner Vielfalt und seiner sozialräumlichen Fragmentierung blieb den führenden Nationalsozialisten immer fremd.[6] Der Kriegsverlauf sorgte jedoch dafür, daß auch unter nationalsozialistischer Herrschaft keine Sieger-Kriegerdenkmäler mehr entstehen konnten. In der Nachkriegszeit fristeten die historischen Kriegerdenkmäler ein Schattendasein. Manche wurden abgerissen, andere leidlich gepflegt oder einfach vergessen.
Zwischen Geschichtsvergessenheit und verspätetem Bildersturm – Berliner Kriegerdenkmäler heute
Um so überraschender wirken heute ikonoklastische Aktionen gegen diese Relikte. Für Empörung sorgte im Herbst 2005 eine Farbattacke auf die Marmorplastiken der preußischen Generäle Scharnhorst und Bülow, die sich gegenüber der Neuen Wache befinden. Die beiden Standbilder aus der Hand Daniel Christian Rauchs zählen zu den hochwertigsten Kunstwerken im öffentlichen Raum der Hauptstadt. Die zerstörerische Aktion radikaler Pazifisten war Protest gegen die Feier zum 50-Jährigen Bestehen der Bundeswehr, die am 26. Oktober 2005 mit Großem Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude zelebriert wurde. Die Tat bietet die Gelegenheit, nach der aktuellen gesellschaftlichen Bedeutung von Kriegerdenkmälern zu fragen. Wer, außer Kunsthistorikern und Denkmalpflegern, interessiert sich noch für diese Monumente, nachdem die Ideale ihrer Entstehungszeit obsolet geworden sind?
Heute ehrt man in Deutschland vorzugsweise Opfer des Krieges, während man in der Vergangenheit gerade die „Täter“ des Krieges würdigte und ihnen Heldendenkmäler baute. Seit 1926 wurde der fünfte Sonntag vor Ostern als „Volkstrauertag“ begangen, mit einem Staatsakt im Reichstag sowie zahlreichen Feiern an Kriegerdenkmälern und auf Friedhöfen. Da Berlin eine große Garnisonsstadt war, wurden hier bis 1939 auch besonders viele Heldendenkmäler gebaut.
Im Mai 1946 gaben die Alliierten den „Befehl Nr. 30“ heraus, der die Zerstörung aller militaristischen und Nazi-verherrlichenden Denkmäler vorsah. Eigentlich hätten in diesem Sinne fast alle Berliner Kriegerdenkmäler einschließlich der Siegessäule beseitigt werden müssen. Doch § 4 des Befehls sah Ausnahmen vor für die Denkmäler regulärer Truppen, vor allem des kaiserlichen Heeres. Der Volkstrauertag wurde 1952 wieder eingeführt, allerdings auf den zweiten Sonntag vor dem Ersten Advent verlegt – dies sollte die Abkehr von der nationalsozialistischen Tradition des „Heldengedenktages“ betonen.
Manche Kriegerdenkmäler blieben isoliert im Stadtraum stehen, nachdem die sie schützend umgebenden Kasernen abgerissen worden waren. Als „Wrackteile der Geschichte“ schmücken sie jetzt Verkehrsinseln und Parkbuchten. Der Neue Garnisonfriedhof in Neukölln mit seinen zahlreichen Regimentsdenkmälern wurde zwar durch private und behördliche Initiativen in den 1960er-Jahren instandgesetzt. Dennoch gehört er heute zu den fast vergessenen Kulturdenkmälern der Stadt. Von den großen Veränderungen in der Berliner Denkmalslandschaft infolge der Auflösung der DDR blieb der Bestand an Kriegerdenkmälern fast unberührt. Allein die Neue Wache, die zu DDR-Zeiten „Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus“ gewesen war, wurde unter Helmut Kohls Regie zu einer gesamtdeutschen Gedenkstätte umgebaut und inhaltlich neu akzentuiert. Als Sammelgedenkstätte aller denkbaren „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ vereint sie heute das Gedenken an den KZ-Häftling und an den SS-Mann. Als Dekor missbrauchten Kohl und seine Berater einen Pietà-Entwurf von Käthe Kollwitz, den sie einem „absurden Blow-Up“ unterzogen.[7]
Das Interesse der breiteren Öffentlichkeit an den erhaltenen Kriegerdenkmälern ist heute gering. Sie sind praktisch unsichtbar geworden und werden im Alltag kaum anders wahrgenommen als eine Parkbank. Einige Kriegerdenkmäler, vor allem auf den ehemaligen Militärstandortfriedhöfen, sind heute noch Teil der Feierlichkeiten am Volkstrauertag, der wie in der Weimarer Republik mit einem Staatsakt im Parlament begangen wird. Auf dem Neuen Garnisonfriedhof finden an diesem Tag Kranzniederlegungen des Rings deutscher Soldatenverbände statt. Auch bestimmte Studentenverbindungen und Vertreter rechtsgerichteter Parteien stellen sich hier ein. Doch abgesehen von den Obsessionen einzelner Privatpersonen und von demonstrativen Denkmal-Reinigungsaktionen rechtsextremer Gruppen ist das Kriegergedenken eine Angelegenheit von Armee und Kirche geworden, die wenig gesellschaftliche Beachtung findet.
Umso auffälliger ist es, dass Heldendenkmäler in linksextremen Kreisen bisweilen großes Ansehen genießen. Als Symbolträger von „Militarismus“ und „Imperialismus“ gelten sie als anschlagsrelevant. Der prominenteste Fall von politischem Ikonoklasmus war ein Bombenanschlag auf die Siegessäule. Im Januar 1991 versuchte eine Gruppe, dieses „Symbolobjekt für Nationalismus, Rassismus, Sexismus und Patriarchat“, wie sie es im Bekennerschreiben nannte, zu sprengen. Die auf der Plattform unter der Figur angebrachte Bombe zündete jedoch nicht vollständig, so dass sich der Schaden in Grenzen hielt.
In den 1990er-Jahren wurde dem Pionier-Denkmal an der Neuköllner Evangelischen Garnisonskirche am Südstern der Kopf abgeschlagen. Andere Denkmäler, wie das „Franzer“-Denkmal, werden immer mal wieder mit Farbe übergossen. Die seit 1924 grimmig die Faust ballende Kalksteinfigur des Bildhauers Eberhard Enckeist einsam in der Urbanstraße zurückgeblieben, nachdem die Kasernen des Kaiser-Franz-Garde-Regiments abgerissen worden waren. Nun muss sie herhalten für Aktionen wie diejenige der selbsternannten „Rotarmistinnen“, die am 20. Juli 2004 mit Hilfe von Farbeiern tätig wurden, um das Gedenken an die Hitlerattentäter des 20. Juli 1944 madig zu machen: „Es gilt, den deutschen Heldenmythos zu besudeln und die Deutschen auch zu diesem Anlass an Stalingrad zu erinnern“, erklärten sie auf einschlägigen Internetseiten. Doch letztlich überschätzen die linken Bilderstürmer den gesellschaftlichen Streitwert der historischen Steinskulpturen und Granitfindlinge. Fast schon verzweifelt halten sie am Symbolwert dieser Objekte fest.
Im Fall der Generäle Unter den Linden sind irreversible Schäden entstanden, wie der Amtsrestaurator Ende Oktober 2005 feststellte[8] – tragischerweise weniger durch die Attacke selbst als durch den prompten und inkompetenten Reinigungsversuch einer Firma, die in dieser Nacht einen Anti-Graffiti-Notdienst anbot. Hier rächte sich die harte Null-Toleranz-Linie der Berliner Polizei, die die sofortige Entfernung politischer Parolen vorsieht.
Ein neues Kriegerdenkmal für die Hauptstadt
Unerwartete Aktualität bekam das scheinbar obsolete Medium „Kriegerdenkmal“, als Bundesverteidigungsminister Jung im Frühjahr 2006 vorschlug, allen seit 1955 bei Auslandseinsätzen, Manövern und Unfällen ums Leben gekommenen Bundeswehrangehörigen auf dem Paradeplatz des Verteidigungsministeriums in Berlin ein Denkmal zu setzen.[9] Das Ehrenmal solle „öffentliches Erinnern erlauben und zugleich individuelles Trauern ermöglichen. Deshalb muss es in der Form und Ausgestaltung genauso wie für das militärische Zeremoniell als auch für die ganz persönliche Erinnerung geeignet sein“, lautete die Aufgabe.[10] Bereits im Frühjahr 2007 präsentierte das Verteidigungsministerium der überraschten Öffentlichkeit die Ergebnisse eines beschränkten Wettbewerbs, den der Architekt Andreas Meck für sich entscheiden konnte. Hans Kollhoff nahm den zweiten, Gesine Weinmiller den dritten Platz ein. Allen Entwürfen – es waren nur sechs Wettbewerber eingeladen worden – sind die zurückhaltende Geste und der Verzicht auf monumentale oder militaristische Gestaltungselemente gemeinsam. Es dominieren stille Orte, geschlossene Gärten und Höfe, Anpflanzungen und „Bodenarbeiten.“ Unverkennbar ist bei den Entwürfen auch die Fortführung einer Gestaltungstradition aus der Zeit der Weimarer Republik, in der die Debatte um den Kriegerdenkmalsbau von Begriffen wie „Ehrenhain“ oder „Heiliger Hain“ und von einer biologistischen Frucht – und Erntemetaphorik beherrscht wurde.[11] Meck, der bislang mit Sakral- und Universitätsbauten auffiel,[12] konzipierte einen rechteckigen Baukörper aus einem Stahlbetonrahmen mit einer dünnen, durchbrochenen Außenhaut aus Bronze. Das Innere ist aufgeteilt in eine offene, der Witterung ausgesetzte, helle Halle und eine schwarze „Cella“ als stillen Rückzugsraum. In der Cella steht ein Monolith aus Nagelfluh, auf dem Kränze und Blumen abgelegt werden können. Durch eine Öffnung in der Decke fällt Licht in den Raum – diese Gestaltung erinnert stark an die Gestaltung der Neuen Wache in der Zeit der Weimarer Republik, bei der ein silberner Eichenlaubkranz auf dem Monolith gelegen hatte. Die Neue Wache war damals als Gedenkstätte des republikanischen Preußen eingerichtet worden, und vielen Zeitgenossen erschien sie als zu nüchtern, zu kühl. Meck nimmt diesen Faden wieder auf. Tritt man aus seiner Cella wieder ans Licht, sieht man ein Zitat des Wehrmachtoffiziers Erwin von Witzleben, einer der Verschwörer des 20. Juli 1944. Auf diese Weise wird die gedankliche Verbindung zur angrenzenden Gedenkstätte Deutscher Widerstand im benachbarten Hof hergestellt. Aus der Bronzehülle sind Formen herausgestanzt, die an die Erkennungsmarken von Soldaten erinnern sollen. Damit bekommt der Baukörper eine filigran wirkende Oberfläche. Verschiebbare Wände sollen schließlich dafür sorgen, dass man das Denkmal für zeremonielle oder individuelle Zwecke zugänglich machen kann.
Der zweitplatzierte Hans Kollhoff präsentierte den Entwurf eines rechteckigen, geschlossenen Gartens, der von Mauern und Kolonadengängen begrenzt wird. Wasserbecken und ganzjährig blühende Pflanzen sollten eine kontemplative Stimmung hervorrufen. Die drittplatzierte Gesine Weinmiller wollte einen 9,5 Meter hohen Kubus im Platz versenken, der ein umlaufendes Textband aus Rilkes Gedicht „Der Fahnenträger“ erhalten sollte. Während zivile, private Besucher den tiefergelegten Innenraum des Kubus dem Modell zufolge durch einen Straßentunnel erreichen, treten die Teilnehmer militärischer Zeremonien von außen an ihn heran. Um den Eindruck einer „Kaaba“ zu vermeiden, rückte Weinmiller den Kubus in die Ecke des Appellplatzes. Ähnlich defensiv und zudem ikonologisch traditionell wirkte der Entwurf der deutsch-amerikanischen Bildhauerin Julia Mangold, die ebenfalls einen geschlossenen Garten konzipierte. Ein S-förmig angelegter Weg führt zu drei skulpturalen Gartenelementen: Mauer, Bodenarbeit und Flammensäule. Dominiert wird das Areal durch Mauerinschriften aus dem Soldatenlied „Ich hatt’ einen Kameraden“ nach einem Gedicht von Ludwig Uhland aus dem Jahr 1809,[13] das bei Trauerfeiern und Zeremonien der Bundeswehr häufig gespielt wird.
Geduckter und bescheidener kann sich die militärische Macht im Zentrum der Hauptstadt kaum geben. Ohnehin geschützt durch die Zäune des Ministeriums, verweigern sich die Denkmalsentwürfe der repräsentativen Situation und machen sich klein. Man versteckt das Denkmal im Winkel, in ummauerten Gärten oder versenkt es im Boden. Tatsächlich gelingt Meck am ehesten die Balance zwischen Bescheidenheit und repräsentativem Erscheinungsbild. Mehr erlaubte die politisch erwünschte Denkmalskonstellation im Berliner Stadtzentrum nicht. Denn man vergisst manchmal, dass auch die Bundeswehrsoldaten zum Töten ausgebildet werden und im Ernstfall die Aufgabe haben, Gegner zu vernichten – mit all den negativen Begleiterscheinungen, die kriegerische Einsätze mit sich bringen, wie man heute im Irak und in Afghanistan sieht. Bundeswehrsoldaten sind eigentlich aktive „Täter“ und keine Opfer; ihre Taten sollen Frieden, Menschenrechte und Demokratie sichern und durchsetzen. Der Charakter der Denkmalsdebatte könnte sich schon ändern, wenn beispielsweise Bundeswehrsoldaten in die offensiven Nato-Operationen im Süden Afghanistans eingebunden würden, wenn sie dort Talibankämpfer töten müßten und Dörfer bombardierten. Ein kleiner Schritt nur, und das geplante Denkmal wäre unverkennbar ein Kriegerdenkmal. Noch paßt es in die Berliner „Allee der Opfer“, könnte in die Kategorie „Ehrung von Gewaltopfern“ eingeordnet werden. Beklagte die Bundeswehr bei ihren bisherigen Auslands-Einsätzen Verluste nur durch Unfälle, Selbstmorde und heimtückische Anschläge. Zwei kleinere Denkmäler für getötete Bundeswehrsoldaten gibt es bereits in Kabul im Camp Warehouse und am Flughafen – letzteres ein Berliner Bär aus rotem Sandstein, ein Geschenk des Landes Berlin. Aus dem geplanten Berliner „Unfallopfer“-Denkmal kann schnell ein Kriegerdenkmal werden. Wird es vielleicht sogar ein Siegerdenkmal? Betrachtet man die Afghanische Geschichte, scheint diese Sorge unbegründet. Leider ist die Wahrscheinlichkeit größer, wie zu Zeiten der Weimarer Republik tragische Helden ehren zu müssen.
Bisher war das öffentliche Interesse an der Ehrenmal-Debatte überraschend gering; Parteien und Medien zeigten wenig Interesse. Ein wenig beleidigt und enttäuscht war mancher über die defensive Haltung des Verteidigungsministeriums. Einerseits weiche der Minister einer öffentlichen Debatte um den Denkmalsstandort aus, andererseits werfe die Nähe zum Denkmal für die Anti-Hitler-Verschwörer des 20. Juli im Bendlerblock Probleme der Deutung auf: Unfall- und Manöveropfer aus Friedenszeiten stünden dann auf einer Stufe mit den Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime. Der Grünen-Politiker Winfried Nachtweih erklärte, Jung habe eine öffentliche Debatte vermieden, etwa die Frage, ob mit dem Denkmal auch der zivilen Helfer bei Auslandseinsätzen gedacht werden solle (Entwicklungshelfer, Ärzte, Polizisten). Für diese Denkmalsvariante wäre sogar der Verteidigungsexperte der Linkspartei, Paul Schäfer, zu haben. FDP-Verteidigungsexperte Rainer Stinner und andere forderten ein Denkmal vor dem Reichstag, gut sichtbar und die Tatsache vergegenwärtigend, dass es sich um eine Parlamentsarmee handelt. Gleichzeitig wäre es auch eine Mahnung an alle Abgeordneten, Verantwortung zu zeigen und an die Folgen zu denken, wenn sie über Auslandseinsätze der Bundeswehr abstimmen. Insgesamt ist die öffentliche Debatte verhalten, ein lauter Protestschrei ist ausgeblieben. Und tatsächlich lässt sich wenig Skandalöses oder „Geschichtsrevisionistisches“ bei den Entwürfen finden. Allenfalls radikale Pazifisten können argwöhnen, dass das neue Bundeswehrdenkmal zu einer schleichenden Gewöhnung an militärische Symbole im Alltag beitragen werde. Geht Jungs Schleichtaktik also auf?
Autor: Christian Saehrendt
Zitierempfehlung:
Christian Saehrendt, Von der Siegesallee zur Allee der Opfer. Ein neues Kriegerdenkmal als Störfall in der hauptstädtischen Denkmallandschaft, in: Zeitgeschichte-online, Thema: Das Ehrenmal der Bundeswehr – eine notwendige Debatte, herausgegeben von Jan-Holger Kirsch und Irmgard Zündorf, August 2007
Anmerkungen
[1] Dietrich Schubert, , Das „harte Mal“ der Waffen oder Die Darstellung der Kriegsopfer. Aspekte der Visualisierung der Gefallenen nach 1918, in: Michael Diers (Hg.), Mo(nu)mente. Formen und Funktionen ephemerer Denkmäler, Berlin 1993, S. 137-152, hier S. 138f.; Siehe auch ders., Revanche oder Trauer über die Opfer? Kolbe versus Barlach – ein Soldaten-„Ehrenmal“ für die Stadt Stralsund 1928–1935, in: Martin Warnke (Hg.), Politische Kunst. Gebärden und Gebaren, Berlin 2004, S. 73-96. Unverzichtbare Standardwerke zu diesem Thema sind bis heute: Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, 6 Bde., Heidelberg 1985–1987; Reinhart Koselleck/Michael Jeismann (Hg.), Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler der Moderne, München 1994.
[2] Christian Saehrendt, Der Stellungskrieg der Denkmäler. Kriegerdenkmäler im Berlin der Zwischenkriegszeit 1919–1939, Bonn 2004.
[3] Vgl. Zeitgeschichte-online, Thema: Das Holocaust-Mahnmal und die Geschichte seiner Entstehung, Juni 2005, online unter URL: < http://www.zeitgeschichte-online.de/md=Holocaust-Mahnmal-Inhalt>.
[5] Vgl. u.a. Jürgen Tietz, Schinkels Neue Wache Unter den Linden. Baugeschichte 1816–1993, in: Christoph Stölzl (Hg.), Die Neue Wache Unter den Linden. Ein deutsches Denkmal im Wandel der Geschichte, Berlin 1993, S. 9-93, hier S. 21-61.
[6] Vgl. u.a. Wolfgang Schäche, Als aus Berlin „Germania“ werden sollte. Zum Verhältnis der „Neugestaltungsplanungen“ zu Kriegs- und Todeskult, in: Helmut Engel/Wolfgang Ribbe (Hg.), Hauptstadt Berlin – Wohin mit der Mitte? Historische, städtebauliche und architektonische Wurzeln des Stadtzentrums, Berlin 1993, S. 161-168; Sven Felix Kellerhoff, Hitlers Berlin. Geschichte einer Hassliebe, Berlin 2005; Friedrich, Thomas, Die missbrauchte Hauptstadt. Hitler und Berlin, Berlin 2007.
[7] Schubert, Revanche oder Trauer (Anm. 1), S. 96. Besonders Reinhart Koselleck hat dies bis zu seinem Tod unermüdlich und mit guten Argumenten kritisiert.
[8] Gespräch Rieffels mit dem Verfasser, 30.10.2005.
[9] Es handelt nach Angaben des Verteidigungsministeriums um mehr als 2.600 Tote; 69 davon starben bei Auslandseinsätzen seit 1990.
[10] Bundesministerium der Verteidigung/Planungsstab, Das Ehrenmal der Bundeswehr. Informationen und Hintergründe, Berlin, Juni 2007, S. 5. Der Findungskommission gehörten an: Stephan Braunfels und Christoph Sattler (Architekten), Bundesminister a.D. Oscar Schneider, Wolfgang Schneiderhahn (Generalinspekteur der Bundeswehr), Ulrich Schlie (Leiter des Planungsstabs im BMVg) und Christoph Stölzl. Auf Einladung der Kommission nahmen am Wettbewerb teil: Andreas Meck, Hans Kollhoff, Gesine Weinmiller, Axel Schultes (Architekten), Till Exit und Julia Mangold (Bildhauer).
[11] Hans-Ernst Mittig, Gegen das Holocaustdenkmal der Berliner Republik, Berlin 2005, S. 62.
[12] Vgl. seine Website: < http://www.meck-architekten.de/>.
[13] Kurt Oesterle, Die heimliche deutsche Hymne, in: Schwäbisches Tagblatt, 15.11.2007 (ausgezeichnet mit dem Theodor-Wolff-Preis 1997).