Der Morgenstern von Wittenberg

Katharina von Bora (Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren, 1526). Lucas Cranach the Elder artist QS:P170,Q191748, Katharina-v-Bora-1526, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Nachdem sich durch die Reformation die Klostertore geöffnet hatten und eine neue Kirchenordnung begründet wurde, hatten auch einige der namhaften Reformatoren eine neue „Ordnung“ des Hauses vor Augen. Und das bedeutet, das Haus zur Ehe und Familie umzugestalten. Luther selbst aber fühlte sich nicht dazu berufen. Einige seiner Freunde hatten schon geheiratet, so Justus Jonas und Johannes Bugenhagen. Martin Luther wurde von manchen Seiten dazu angehalten, ein Gleiches zu tun, um ein Zeichen aufzurichten. Er hatte aber noch im November 1524 auf solches Ansinnen erwidert: „So wie mein Herz bestellt ist, wird es nicht geschehen, dass ich ein Weib nehme. Mein Sinn ist fern vom Heiraten, da ich täglich den Tod und die Strafe eines Ketzers erwarte.“ Mit einem einzigen übrig gebliebenen Klosterbruder hauste er in dem verödeten Augustinerkloster zu Wittenberg. Er entbehrte jeglicher notwendigen Pflege und litt oft genug Mangel.
Nun lebten seit Ostern 1523 in Wittenberg neun Nonnen, die waren mit Luthers Wissen dem Kloster Nimbschen bei Grimma entflohen und hatten in verschiedenen Bürgerhäusern vorläufige Aufnahme gefunden. Unter ihnen war auch Katharina von Bora, die als zehnjähriges Mädchen dem Kloster übergeben worden war. Im Zisterzienserkloster hatte sie Aussicht darauf nicht nur versorgt zu sein, sie erhielt auch eine gewisse Bildung. Nun – nach ihrer heimlichen aber tapferen Flucht hatte sie im Hause des Bürgermeisters Lucas Cranach, des Malers, Unterkunft gefunden. Frau Cranach hatte einen guten Eindruck von ihr bekommen. Luther nahm an dem Schicksal der jungen Frauen lebhaften Anteil und bemühte sich, für sie einen geeigneten Partner zu finden. Sie aber wehrte alle Versuche ab und ließ ihn wissen, dass sie sich nur für ihn selbst entscheiden würde. Da reagiert Luther prompt und entschloss sich bald zu heiraten. Schon am 13. Juni 1525 wurde das junge Paar getraut. Am 27. Juni fand mit Festgottesdienst und Tafel die Hochzeitsfeier statt. Auch Luthers Eltern waren aus diesem Anlass nach Wittenberg gekommen.
Kurfürst Friedrich der Weise schenkte dem Ehepaar zu diesem Tage das Augustinerkloster als Freihaus. Sieben Jahre später überließ er es ihnen samt Hof und Garten als steuerfreie Schenkung für sie und ihre Kinder und Erben. Luther hatte nach dem Rat gehandelt, den er selbst einmal erteilt hat: „Es ist nicht gut, viel dazu zu reden; man muss Gott um Rat fragen und beten und danach entscheiden.“
Das Kloster, da es verwahrlost und über längere Zeit unbewohnt war, befand sich in einem über -holungsbedürftigen Zustand und musste nun schnell und notdürftig umgebaut werden. Käthe Luther zeigte sich als tüchtige Hausfrau. Sie wusste für ihren Gemahl und seine Gäste zu sorgen und schuf aus dem verödeten Haus ein wohnliches Heim. Sie füllte die leeren Schränke mit Leinwand, sie legte den verwilderten Klostergarten neu an und zog darin nicht nur Kraut, Gurken, Melonen und köstliches Obst, sondern auch Lilien und Rosen. Auf dem Kloster ruhte ein altes Baurecht, das wollte sie nicht ungenützt lassen. Darum wurde Hopfen angebaut und im klösterlichen Brauhaus Bier für den Hausgebrauch gebraut. Die Ställe des Klosters füllten sich nach und nach mit allerlei Getier, und die Wirtschaft zählte schließlich Pferde, Kühe, Schweine und Geflügel. In einem Fischwasser nahe der Stadt wurden Forellen gezüchtet, die ein besonderer Stolz der tüchtigen Hausfrau waren. In der Frühe am Morgen um vier Uhr erhob sie sich vom Lager, um das Gesinde zu wecken, und wurde darum liebevoll „der Morgenstern von Wittenberg“ genannt.
Sie richtete einen Kosttisch für Studenten ein, an dem auch manch gereifter Mann teilnahm, um dem Reformator zu begegnen und dem Reichtum seiner Gelehrsamkeit. Es ist bekannt, dass er auch mit Johannes Reuchlin in Verbindung stand und seine hebräische Grammatik mit viel Eifer und Respekt studierte. Im Hause und bei Tisch führte er die legendär gewordenen Tischgespräche, die später von Freunden niedergeschrieben wurden und auf diese Weise erhalten geblieben sind.
Käthe Luther hatte allen Grund, Hab und Gut durch hauswirtschaftliches Talent sorgsam zusammen zu halten. Denn Martin Luther ging mit dem Gelde freigebig um. Er hatte allezeit offene Hände für Not und Bedrängnis. Von seinen Büchern und für seine Vorlesungen nahm er kein Geld, und für seine vielschichtige Tätigkeit im Stadtpfarramt bezog er kein Gehalt. Seine Vergütung als Professor betrug anfangs hundert, zuletzt dreihundert Gulden im Jahr. Als ihm einst ein Verleger für eines seiner Bücher eine runde Summe bot, sagte er in kindlicher Unbekümmertheit: „Geld habe ich genug“, und das war sein voller Ernst. „Gott ist reich, er wird ein anderes bescheren“. Denn es flossen seinem Hause immer wieder viele Gaben zu: Nahrung und Kleidung und andere geldwerte Dinge für den Haushalt, sogar köstliche Geschmeide, Silber und Gold war darunter.
In seiner Familie wuchsen nach und nach sechs Kinder heran, drei Söhne und drei Töchter, und der Vater hatte große Freude darüber. Im Kreise seiner Frau und der Kinder fühlte er sich reicher als geistliche Fürsten, und im Umgang mit seinen Kindern entfalteten sich die innigsten Züge seines Wesens. An ihnen gewann er geistliche Einsichten tiefster Art. „Kinderlein sind die feinsten Vögel, sie reden und tun alles einfältig und natürlich. Sie leben ohne Anstoß im Glauben und sind darin viel gelehrter denn wir Narren. Sie fragen nicht, was das Korn gelte, denn sie sind in ihrem Herzen sicher und gewiss, dass sie zu essen finden werden. Gott, der ihnen Leben und Glieder so artig und hübsch geschaffen hat, will sie auch ernähren und erhalten.“
Zur Hausgemeinschaft zählten außer den Kindern die Muhme Lene, eine Tante der Hausfrau, die mit ihr im Kloster gelebt hatte, und Luthers halblahmer Diener Wolf; dazu zahlreiche elternlose Verwandte, Neffen und Nichten, Bruder- und Schwesterkinder des Hausvaters, die er in sein Haus aufnahm und ohne Entgelt versorgte.
Das große Haus wuchs jedoch nicht nur durch die Kinder. Studenten, freundliche Helfer, Gäste auch von weit her und vor allem – Angestellte, sie alle fanden in den vielen Räumen Platz. Die jungen Helfer nahmen dem Reformator Schreibarbeiten ab, wie zum Beispiel beim Abfassen der vielen Briefe. Auch unterstützten sie die große Hauswirtschaft. So war das schwarze Kloster eine friedliche Heimstatt, eine Zuflucht der Vertriebenen, eine Troststätte der Angefochtenen und ein Vaterhaus der Verwaisten. „Arme habt ihr allezeit unter euch.“ Dass es auf solche Weise und in so reichem Maße dienen konnte, ist zu einem guten Teil auch Käthe Luthers Verdienst.
Katharina war eine tatkräftige und tüchtige Frau, die auch herrschen und befehlen konnte, und nicht umsonst hat Luther sie bisweilen im Scherze seinen „Herrn und Doktor Käthe“ genannt. Es war eine Wohltat für ihn, dass sie die Sorgen des großen Hausstandes trug, und ihr rüstiger und starker Charakter war ihm eine willkommene Stütze in seinen vielfachen Gemütsschwankungen und Anfechtungen. Das häusliche Glück stand ihm vor Augen, wenn er den Rat gab: „Liebe Tochter, halte dich also gegen deinen Mann, dass er fröhlich wird, wenn er auf dem Heimwege des Hauses Spitzen sieht. So stehet´s wohl.“ Wir kennen auch den Ausspruch: „Die höchste Gnade und Gabe Gottes ist ein fromm, freundlich, gottesfürchtig und häuslich Gemahlin zu haben, mit der du friedlich lebest, der du darfst all dein Gut und was du hast, ja dein Leib und Leben anvertrauen.“ Käthe Luther hat ihren Gatten um einige Jahre überlebt. Sie starb auf der Flucht vor der Pest, die zu Wittenberg ausgebrochen war, zu Torgau am 20. Dezember 1552 und liegt in der Stadtkirche daselbst begraben.
Autorin: Beate Barwich