Die Anzahl guter deutscher Filme mit NS-Thematik ist sehr überschaubar – und auch Oskar Roehler scheitert auf ganzer Linie bei dem Versuch, die Genese von Veit Harlans antisemitischem Propagandafilm Jud Süß umzusetzen.
Jud Süß gehört zusammen mit dem Film ‚Der Ewige Jude’ zu den berüchtigtsten antisemitischen Propagandafilmen des Dritten Reiches. Während letzterer als pseudodokumentarischer Propagandafilm nur ein kleines Publikum fand, feierte Jud Süß als aufwändig inszenierter Spielfilm ab 1941 große Erfolge und erreichte ein breites Publikum. 20 Millionen Menschen hatten ihn bis Kriegsende in ganz Europa gesehen.
Sowohl ‚Jud Süß’ als auch ‚Der Ewige Jude’ passten in das Klima des sich ständig verschärfenden Antisemitismus im Dritten Reich. Beide Filme sollten zusammen mit Rundfunk und Presse die Bevölkerung auf das Ungeheuerliche vorbereiten. Für bisherige Verbrechen, wie die Nürnberger Gesetze lieferten die Filme die passende Rechtfertigung.
Jud Süß von Veit Harlan wurde als historisches Drama angelegt, in dem bekannte Schauspieler wie Heinrich George und Ferdinand Marian mitwirkten. Man bediente sich eines bekannten Stoffes, der schon von Lion Feuchtwanger bearbeitet worden war: Die historisch umstrittene Figur des Joseph Süß Oppenheimer, dem Finanzberater des württembergischen Herzogs Karl Alexander in der Mitte des 18. Jh. Die Handlung des Filmes beschreibt den verhängnisvollen Einfluss des Juden auf den Herzog und die Ausbeutung des württembergischen Volkes. Das Drama erreicht seinen Höhepunkt in der Vergewaltigung der „arischen“ Heldin und der „sühnenden“ Hinrichtung des Juden.
Roehler versucht die Geschichte des Filmes anhand des aus Wien stammenden Hauptdarstellers Ferdinand Marian (Tobias Moretti) zu erzählen, der 1939 von Goebbels für die Titelrolle ausgewählt wurde und 1946 nahe München unter ungeklärten Umständen bei einem Autounfall ums Leben kam. Wir sehen Marian als teils naiven, teils zweifelnden Schauspieler, der von Goebbels (Moritz Bleibtreu) getrieben, versucht, der Rolle des Juden noch im Spiel etwas Würde zu verleihen, weil er sich – nicht zuletzt wegen eines jüdischen Kollegen und seiner „vierteljüdischen“ Frau dem Propagandamissbrauch seiner Person verschließen will.
Doch all das misslingt Roehler. Die dank vielfältiger Quellen historisch eigentlich gut belegte Geschichte wird mit historisch-plakativem NS-Halbwissen filmtauglich aufgemischt. Das reicht vom allgegenwärtig gesungenen Horst-Wessel-Lied bis zur erfundenen KZ-Verschleppung von Marians Frau. Die Rolle des Jud Süß Regisseurs Veit Harlan wird nur am Rande gestreift und man wird das Gefühl nicht los, dass Roehler sich – aus welchen Gründen auch immer – an einer Apologetik von Marian versucht.
Als wäre das nicht genug, strotz der Film vor Fehlbesetzungen: Moritz Bleibtreu scheitert aufs Allerpeinlichste an seiner Goebbels-Rolle. Armin Rohde als Heinrich George und Paula Kalenberg als Kristina Söderbaum spielen so hölzern und gesichtslos wie die meisten ihrer Kollegen. In Kombination mit einer Filmausstattung, die allenthalben Pappwände und Studiosets durchscheinen lässt, erinnert der Film damit an eine billige Fernsehproduktion mit B-Besetzung und lässt die Betrachter mit der Frage zurück, wie der Film in den Berlinale-Wettbewerb gelangen konnte.
All das wäre bei jedem anderen Stoff weniger ärgerlich. Doch Roehler hantiert mit dem Thema Antisemitismus im öffentlichen Raum. Ferdinand Marians Biograph Prof. Friedrich Knilli stellte zum Start des Filmes diese Woche fest, Roehlers Wettbewerbsbeitrag sei ein „gewissenloser Film“, der durch Ungenauigkeiten und Fälschungen zur „Legendenbildung“ beitrage. Roehler berief sich daraufhin auf seine „künstlerische Freiheit“. Die Antwort auf die Frage, warum er sich die Freiheit genommen hat, ausgerechnet einen antisemitischen Propagandafilm mit weiteren Legenden aufzuladen, bleibt er uns schuldig.
Jud Süß – Film ohne Gewissen
Österreich, Deutschland, 2010. 114 min
Originalfassung: Deutsch
Regie: Oskar Roehler
Darsteller: Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Justus von Dohnanyi, Armin Rohde
Dazu auch: S. Mannes: Antisemitismus im nationalsozialistischen Film – Jud Süß und Der ewige Jude