Einen Krieg mit der Kamera für die Welt festzuhalten, ist keine Besonderheit. Der Dokumentarfilm Intercepted von der Regisseurin Oksana Karpovych geht einen anderen Weg. In dem Film kommen nämlich die Menschen zu Wort, die selbst im Krieg mitwirken und die ihre Erlebnisse nicht einfach einem Reporter erzählen. Sie berichten sie ihren Freunden und Familien in der Heimat – ohne Propaganda und ohne Beschönigungen.
Der ukrainische Geheimdienst SBU hat nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Jahr 2022 damit angefangen, Telefongespräche der russischen Soldaten abzuhören und aufzuzeichnen. Die Telefonmitschnitte wurden auf der Website des Geheimdienstes veröffentlicht, um Außenstehenden einen Eindruck davon zu vermitteln, was die Soldaten ihren Freunden und Familien in der Heimat über den Krieg berichten.
Oksana Karpovych hat diese Aufzeichnungen für Intercepted aufgearbeitet und mit entsprechenden Aufnahmen aus den Kriegsgebieten unterlegt. Dabei achtete die Regisseurin sehr drauf, dass die gezeigten Videobilder passend zu den Gesprächsfetzen sind. Einige Beschreibungen der Soldaten sind allerdings so schockierend, dass sie stattdessen mit ruhigeren Bildern etwas angenehmer für die Zuschauer präsentiert werden sollten.
Da die Gesprächsmitschnitte in Intercepted nicht überarbeitet oder nachgesprochen wurden, zeichnen sie ein Bild des Krieges, das nicht nur sehr realistisch ist, sondern auch zum Nachdenken anregt. Manche Soldaten erzählen ihren Liebsten, wie es in der Ukraine aussieht. Dabei sprechen einige mit Neid davon, dass Ukrainer einen besseren Lebensstandard zu haben scheinen, weil sie nicht von Russland, sondern von Westeuropa und den USA unterstützt werden. Andere Soldaten berichten davon, wie schlecht es ihnen selbst geht. Ihnen fehlt es an Verpflegung und manche erzählen, sie würden Hunde erschießen und essen müssten.
Außerdem klagen viele Soldaten über die Moral in der Truppe. So berichtete ein Soldat, dass Teile seiner Truppe einfach vor dem Feind weggelaufen sind und die Kameraden im Stich ließen. Es gibt Stimmen, die darüber reden, dass auf jeden Menschen geschossen wird, dem die Soldaten begegnen – auch auf Frauen und Kinder. Die Soldaten begründen es mit der Angst, dass ihre Position an die Ukrainer verraten werden könnte und sie aus reinem Selbstschutz handeln müssten. Aber auch alltägliche Themen über Laptops oder Sneaker sind in die Gesprächsfetzen gemischt, um die Thematik des Films etwas aufzulockern.
Intercepted nimmt sich nicht nur die Themen raus, die für die Zuschauer noch angenehm oder halbwegs verständlich sein könnten. Es werden sämtliche Ansichten und Gedanken russischer Soldaten in dem Dokumentarfilm behandelt. Entsprechend kommen auch Themen zur Sprache, die andere Menschen verwirren, ängstigen und verstören können.
Einige Soldaten berichten davon, wie ukrainische Zivilisten entmenschlicht werden und auf unwürdige Arten und Weisen behandelt werden. Es gibt Gespräche für Folter und Misshandlungen. Manche Soldaten schildern außerdem sehr bildlich, was für Szenen sie gesehen haben. Ein Waldstück, in dem sich Leichen stapeln, ist da noch eher ein harmloseres Beispiel. Werden die Soldaten dann in wenigen Fällen mal gefragt, warum sie das tun, was sie machen, liefern die Anrufer entweder gar keine Antwort oder sie zählen Begründungen auf, die für sie vielleicht Sinn machen, aber für Außenstehende noch verwirrender sein können. Manche Soldaten brüsten sich sogar damit, was für Dinge sie an der Front gemacht haben. Sie freuen sich darauf, auf Menschen zu schießen oder sie schmücken ihre Taten aus, als wären es Heldentaten.
Allerdings zeigt der Film auch ohne aufdringliche Mittel die Diskrepanz zwischen den Erlebnissen der Soldaten und den Vorstellungen der Menschen, die in Russland über den Krieg nur aus dem Staatsfernsehn erfahren. Ein Soldat erzählt beispielsweise seiner Mutter am Telefon, dass er Kinder erschießen musste. Sie antwortet dagegen, dass es keine Kinder wären – es wären Faschisten.
In ähnlichen Beispielen sprechen die Menschen zu Hause ihren Söhnen und Männern an der Front Mut zu, wobei sie häufig einfach die Propaganda nacherzählen, die ihnen das Staatsfernsehen vermittelt oder sie reden über die Ukrainer wie Individuen, die nicht auf dem gleichen Niveau wie russische Menschen sind.
Oksana Karpovych hat sich für ihren Dokumentarfilm für eine Mischung entschieden, die den Inhalt weder verharmlost noch entfremdet. Trotzdem bemüht der Film sich, die Gesprächsthemen so zu verpacken, dass Zuschauer den Unterhaltungen auch bei den Details noch zuhören, die grausam oder unvorstellbar sind. Die Bilder von zerstörten Städten, ehemaligen Kriegsschauplätzen und aufgewühlten Landstrichen helfen dabei, die einzelnen Gespräche dann noch in einen Kontext zu setzen. Wenn zum Beispiel ein Soldat über den Angriff auf Mariupol erzählt und im nächsten Moment eine kurze Kamerafahrt durch die zerbombten Gebäude der Stadt folgt, präsentiert sich den Zuschauern ein etwas verständlicheres Bild des Krieges.
Trotzdem braucht der Film auch die ruhigen Momente, damit man die Zeit bekommt, um das Gehörte zu verarbeiten, ohne sich die einzelnen Details zu genau in der eigenen Fantasie ausmalen zu müssen. Nach den 95 Minuten Spielzeit werden durch den Dokumentarfilm zwar keine Fragen geklärt werden, die sich Leute aus dem Rest der Welt zu dem Angriffskrieg in der Ukraine stellen. Dafür zeigt der Film, dass es auch im Krieg die unterschiedlichsten Facetten und Ansichten gibt, die in normalen Nachrichtensendungen nahezu nie zur Beachtung kommen.