Während wir über die klassischen und sozialen Medien zwar einen groben Überblick über die Kampfhandlungen und Entwicklungen in Syrien erhalten, fehlt oft der konkrete Bezug zu den größten Opfern und Leidtragenden des Konflikts – der syrischen Zivilbevölkerung. Während zeitweise Bilder und Berichte von Einzelschicksalen kursieren, fehlt oft der große Zusammenhang und tatsächliche Geschichten, die uns mehr zeigen als nur einen kurzen Augenblick eines Opfers.
Auf der diesjährigen Berlinale hat sich der Belgier Philippe Van Leeuw mit seinem Film „Insyriated“ an der Aufgabe versucht, keine Sensation oder ein besonderes Schicksal zu portraitieren sondern den echten Alltag während eines Krieges.
So handelt es sich bei „Insyriated“ nicht um einen Dokumentarfilm sondern um einen echten Spielfilm und so überrascht es nicht, dass die Dreharbeiten nicht im umkämpften und gefährlichen Syrien stattfanden, sondern im Libanon – ein Land, welches in den letzten Jahrzehnten auch von Bürgerkriegen und Unruhen geprägt war.
Trotz der schwierigen politischen Situation zwischen Syrien und Israel überrascht Van Leeuw mit der Berufung von Hiam Abbass in der Hauptrolle. Die israelische Schauspielerin spielt die Mutter der Familie.
„Insyriated“ ist ein Kammerspiel und erzählt die Geschichte einer Familie inmitten der Kampfhandlungen in Damaskus, der Hauptstadt Syriens. Die syrische Familie ist keineswegs arm und die geräumige Wohnung sowie die Haushälterin zeugen von reichen Verhältnissen.
Doch auch der Reichtum kann diese Familie nicht vor dem Krieg bewahren, der in ihrem Land tobt. Schon früh sucht auch die Nachbarfamilie Unterschlupf in der Wohnung, da ihre eigene zerbombt worden ist und auch der Freund der Tochter muss dort verharren, da die Feuergefechte es undenkbar machen das Haus zu verlassen.
Der Krieg in Syrien ist geprägt von Hinterhalten und Scharfschützen, welche ein Verlassen der eigenen vier Wände zur Lebensgefahr machen und auch im Film ihre Opfer fordern. Während um die Gemeinschaft der Krieg tobt, versucht man – trotz der Gefahren und des Leids – einen halbwegs normalen Alltag zu führen. Die Versorgungslage ist schlecht und das Wasser geht zu Neige – um neue Vorräte zu holen, müsste man die Wohnung verlassen und dafür das eigene Leben riskieren.
Lange scheint es so, als wäre die Wohnung eine Enklave und der Krieg könnte – bis auf Erschütterungen und Geräusche – nicht in die Wohnung eindringen. Doch schnell zeigt sich was der Krieg aus Menschen macht. Tod, Vergewaltigung und die Abwesenheit von Sprache werden zum Alltag.
„Insyriated“ zeigt hier, welche brutalen und unwirklichen Einzelschicksale sich hinter verschlossenen Türen abspielen. Geschichten, die nicht in Nachrichten oder anderen Medien erzählt werden, aber seit 2011 in Syrien geschehen. Der Zuschauer wird selber in eine zutiefst erdrückende und beklemmende Gefühlslage gebracht, die uns den Syrienkrieg näherbringt als je zuvor.
Mit „Insyriated“ zeigte der Belgier Philippe Van Leeuw seine überragenden Qualitäten als Regisseur. Sein Debüt gab er bereits 2009 als Regisseur und Drehbuchautor von „Le jour oú Dieu est parti en voyage“ – ein Film welcher mit dem Völkermord in Ruanda eine ähnliche Stimmung auffing.
Das Drehbuch basiert laut Van Leeuw lose auf einer Erzählung, die ihm von einem Syrer zugetragen worden ist. Die meisten Rollen wurden von Syrern – oft Laiendarstellern – besetzt, welche als Flüchtlinge vertrieben worden sind und während der Dreharbeiten im Libanon verweilten.
Insyriated – von Philippe Van Leeuw
Belgien / Frankreich / Libanon 2017
Arabisch
85 Min · Farbe
Berlinale: Sektion Panorama