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Matteo Corradini: Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge. Ein Roman über die Kinder von Theresienstadt. Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler. München: cbj 2017, 288 Seiten, ISBN 978-3-570-40355-6, 8,99 EUR. |
Das Leben in einem Konzentrationslager ist für Menschen, die dieses nicht selbst erlitten haben, nicht vorstellbar. Alle Versuche der Imagination müssen scheitern angesichts der Schrecken, denen die Menschen in den Lagern ausgeliefert waren. Dennoch ist es wichtig, gerade bei Jugendlichen die Erinnerung insbesondere an die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden wachzuhalten und dabei zu zeigen, dass Juden nicht nur willenlose Opfer waren, sondern in unterschiedlicher Weise um ihr Leben und ihre Würde kämpften. So ist es begrüßenswert, dass Corradini in seinem Buch Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt stellt, die die Wochenzeitung Vedem („Wir führen“) produzierten. Vedem war eine von mehreren Zeitschriften, die heimlich von jungen Menschen in Theresienstadt zwischen 1942 und 1944 hergestellt wurden. In ihnen dokumentierten die 10- bis 15-jährigen Autoren und Künstler das Leben im KZ, verarbeiteten ihre Erlebnisse, formulierten ihre Wünsche und Träume.
Schreibend und malend behaupteten sie ihre Individualität und widersetzten sich so dem Nationalsozialismus, der ihnen das Menschsein absprach. Statt sich auf die überlieferten Arbeiten der Jugendlichen zu konzentrieren, diese zu dokumentieren und mithilfe einer kindgemäßen Kommentierung das Leben im KZ zu rekonstruieren, versucht Corradini das Leben in Theresienstadt durch Einfühlung zu schildern, indem er in die Perspektive eines der Autoren von Vedem schlüpft. Die Romanform bedingt Spannungsbögen und Verfolgungsjagden im Stile von Räuber-und-Gendarm-Geschichten; selbst die Vergasung in Auschwitz wird völlig distanzlos geschildert. So gibt der Autor zwar vordergründig einen Einblick in das Leben von Kindern in Theresienstadt, nimmt seine historischen Vorbilder aber in ihrem Denken und Handeln nicht hinreichend ernst. Zumindest hätte der Roman durch ein Glossar ergänzt werden sollen, um den jugendlichen Leserinnen und Lesern die historischen Hintergründe zu erläutern und zu verdeutlichen, dass und warum die Produktion von Vedem Widerstand war.
Autor: Tomas Unglaube