Über viele Jahre hinweg erarbeitete sich die Berlinale den Ruf eines der weltweit bedeutendsten Filmfestivals. Zahlreiche Zuschauer aus über 130 Ländern erleben auch in diesem Jahr wieder Aufführungen engagierter Filme. Im Segment „Forum“ gehört die rumänisch-schweizerische Produktion „Holy Week“ des Filmemachers Andrei Cohn zu den engagierten Filmen. Andrei Cohn ist Jahrgang 1972. In Bukarest hat er bildende Kunst studiert, bevor er sich dem Schreiben von Drehbüchern und der Regiearbeit zuwandte. Nach einigen Kurzfilmen folgten zwei abendfüllende Spielfilme. „Holy Week“ ist Cohns dritter Film. Er entstand in Anlehnung an die im Jahr 1889 erstmals veröffentlichte Novelle „An Easter Torch“ des rumänischen Dramatikers Ion Luca Caragiale. Das Drama zeigt, wie besonders harmlos auftretende antisemitische Stereotype zu entgrenztem Hass, zu Mord und Totschlag führen können. Dabei wirft „Holy Week“ durchaus auch Fragen auf.
Mit seinen minimalistischen Stilmitteln ist „Holy Week“ kein leicht und locker konsumierbarer Film. Er entführt die Zuschauer in die Idylle eines rumänischen Dorfs am Anfang des 19. Jahrhunderts. Im örtlichen Gasthof sitzen Männer beisammen und diskutieren über die Evolution aus ihrer Sicht: Demnach ist es allzu leicht, einen jüdischen Zeitgenossen an seiner Physis zu erkennen. Dazu müsse man lediglich wissen, worauf dabei zu achten sei – und die Männerrunde ist sich schnell einig. Der Film bietet Einblicke in die Lebensart der Menschen in der Zeit der Jahrhundertwende, auch ohne eine Distanz zu unserer heutigen Zeit aufkommen zu lassen. Er setzt das Leben jüdischer Menschen in den Fokus, die ständigen Abwertungen und menschenverachtenden Ansichten aus ihrem Umfeld mehr oder weniger offen ausgesetzt sind. Da serviert der jüdische Gastgeber namens Leiba den Wein und an der Oberfläche scheint die Stimmung in der Runde ganz entspannt. Dabei hatte der Mord an Millionen jüdischen Menschen einst seine Anfänge genommen in den zunächst scheinbar harmlos daherkommenden Theorien und Vorurteilen, so wie sie auch in der Männerrunde artikuliert wurden. Im Verlauf des Films wird der jüdische Inhaber des Gasthauses einen christlichen Angestellten entlassen. Denn er soll ihm und seiner jüdischen Familie mutmaßlich unkoscheres Essen aufgetischt haben. Gerade ist die Zeit zwischen dem jüdischen Pessachfest und dem christlichen Osterfest. Der Christ will das höchste der Feste keinesfalls arm und arbeitslos begehen. Andererseits fühlt sich der Jude betrogen, er fürchtet um das Seelenheil seiner Familie. Es ist bis dahin noch nicht ganz klar, wohin der Film eigentlich steuert. Mit seinen minimalistischen Stilmitteln ist „Holy Week“ kein leicht und locker konsumierbarer Film.
In seinem Verlauf wird „Holy Week“ zur Charakterstudie eines Menschen, der mit den Mitteln andauernder Diskriminierung an den Rand der Verzweiflung gelangt: Ein massiver Konflikt bricht auf, in dem Heiliges gegen Heiliges steht. Da droht der Christ dem Juden und andere stimmen ihm zu. Der Jude Leiba wiederum fühlt sich im eigenen Haus gefangen, verfolgt und von lauernden Angreifern umschlossen. So entsorgt er von Angst erfüllt eine blutverschmierte Schüssel, in der er Hühnchen zubereitet hat. Schließlich sollen die Dorfbewohner keine falschen Schlüsse ziehen, wenn sie die Schüssel auffinden. Denn „sie glauben doch, wir trinken das Blut von Kindern“, sagt Leiba dazu seiner schwangeren Ehefrau Sura. Als die Frau im Handlungsverlauf in eine medizinische Notlage gerät, eskaliert die Situation. Ausgerechnet in der Osternacht beschließt der jüdische Gastwirt, eine massive Gegenwehr zu ergreifen, obwohl er bis zu diesem Zeitpunkt von körperlichen Angriffen verschont geblieben ist.
Mit „Holy Week“ hat der rumänische Regisseur Andrei Cohn einen durchaus verwirrenden Film in die Berlinale-Kategorie „Forum“ eingebracht. Einerseits will er zeigen, dass ein Funke reichen kann, um in religiösen Konflikten massive Brände zu entzünden. Der Film will aufmerksam machen auf offenen oder latenten Antisemitismus. Er will nicht zuletzt mit Blick auf den Nahostkonflikt sensibilisieren. Denn wer könne Cohns Filmwerk ansehen, ohne an den Krieg im Gazastreifen zu denken – an die Eskalation von Gewalt. Andererseits könnte sich eine Art Ratlosigkeit ausbreiten. Denn wenn man es nicht besser wüsste, könnte man dem Regisseur Andrei Cohn unterstellen, dass er Leiba als vom Verfolgungswahn gejagten Attentäter darstellt. Denn die Eskalation der Handlung, die in verweigerte Hilfeleistung und einen Doppelmord mündet, erleben die Zuschauer beinahe ausschließlich aus dem Blickwinkel des jüdischen Protagonisten. Die Antisemiten, die ihre vergifteten Ansichten anfangs versprühten, kommen zum Ende hin kaum noch vor. So könnte man beinahe annehmen, dass sie eher Opfer sind als Täter – wäre nicht die Abschlussinszenierung des Films. Da wird Leibas Sohn als der letztendlich Leidtragende gezeigt. Jetzt wird mehr als deutlich, dass die Saat der Gewalt über Generationen Bestand hat, sobald sie aufgegangen ist.
Die Berliner Filmfestspiele haben sich in ihrer Eröffnungsveranstaltung klar und deutlich gegen Antisemitismus positioniert. Mit diesem Wissen kann man „Holy Week“ durchaus einordnen. Aber dennoch wäre es wünschenswert, die Macher des Films mit ihrem Regisseur Andrei Cohn hätten ein noch größeres Augenmerk auf die antisemitische Seite der filmischen Handlung gelegt. Das hätten das Autorenteam und der Regisseur durchaus machen können, ohne auf die Darstellung der Ängste und die irrationalen Eskalationen auf der Seite seines Protagonisten verzichten zu müssen.