Rezension über: |
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Michael Rißmann: Hitlers Gott. Vorsehungsglaube und Sendungsbewußtsein des deutschen Diktators. Pendo, Zürich [u. a.] 2001, 312 Seiten, ISBN 3-85842-421-8. |
Schon den Zeitgenossen fiel auf, wie oft Hitler in seinen Reden sich auf Gott, den Allmächtigen oder auf die Vorsehung berief. Gelegentlich stilisierte er sich zu einer Messias-Gestalt, so als er nach dem Anschluss Österreichs behauptete, „dass es auch Gottes Wille war, von hier einen Knaben zu schicken, ihn groß werden zu lassen, ihn zum Führer der Nation zu erheben“. Es konnte sogar vorkommen, dass Hitler eine Rede mit „Amen“ beendete. Doch was war das für ein Glaube, den Hitler verkündete? War er bloße Propaganda, um die religiös gestimmten Massen für sich einzunehmen, hinter der sich in Wahrheit nur der prinzipienlose Machtmensch verbarg? Oder glaubte Hitler wirklich an einen wie auch immer göttlichen Auftrag, war er also religiös – in welch abartigen Sinne auch immer?
Dies betrifft nicht irgendein randständiges Thema, sondern die zentrale Frage nach dem Selbstverständnis Hitlers und des Nationalsozialismus. Schon aus diesem Grund ist eine Studie, wie die von Michael Rißmann über „Hitlers Gott“ zu begrüßen. Er belegt ausführlich anhand vieler einzelner Beispiele, wie stark Hitler während jeder Phase seines Lebens Bezug zur Religion nimmt. Auffällig ist dabei sein doppeltes Verhältnis zum Christentum in Form von Vereinnahmung und zugleich Abgrenzung: Vor allem vor 1933 betonte er, es gehe ihm um „Erhaltung der deutschen, abendländischen und christlichen Kultur“. Hitler stellt sich öffentlich als Verteidiger des christlichen Abendlandes dar, das von Juden gleichermaßen wie von Kommunisten bedroht werde. Allerdings interpretiert er die christliche Glaubenslehre in sehr eigenwilliger Weise: Aus dem Gott der Nächstenliebe wird ein Gott des Kampfes. Und Jesus zum Gegenpart der Juden, als er die Händler aus dem Tempel vertreibt.
Die Frage, ob Hitlers Gott nur Propaganda oder echter Glaube war, will auch Rißmann nicht definitiv entscheiden. Für ihn ist klar, dass Hitler ein sehr genaues Gespür für die religiösen Empfindungen und damit für die Wirkung religiöser Botschaften hatte. Hitler habe Religion immer auch im Hinblick auf die öffentliche Wirkung eingesetzt. Dies lässt sich in seinem Verhältnis zur katholischen Kirche belegen. Obwohl er in internen Äußerungen keinen Zweifel an der Ablehnung der Kirche hatte und sie nach dem Endsieg ganz vernichten wollte, hielt er sich mit öffentlichen Angriffen – vor allem in schwierigen Phasen seiner Herrschaft – auffällig zurück. Insbesondere während des Krieges wollte er keinen Widerstand der Kirche und der Gläubigen provozieren. Andererseits, auch das konstatiert Rißmann zu Recht, bedeuten solche taktischen Überlegungen noch nicht, dass Hitler nicht wirklich an seine göttliche Bestimmung glaubte.
Die beiden klassischen Interpretationen zum Thema Nationalsozialismus und Religion, lehnt Rißmann gleichermaßen ab. Die erstere sieht Hitler unter Einfluss verschiedener okkult-esoterischer Organisationen, wie des geheimnisvollen „Thule-Ordens“. Hitler erscheint als bloße Marionette geheimnisvoller Hintermänner, als Vollstrecker eines heidnischen Kults. Allerdings lässt sich eine solche Behauptung nicht mit Quellen wirklich belegen und scheidet als seriöse wissenschaftliche Interpretation aus.
Die Deutung des Nationalsozialismus als „politische Religion“, die seit den fundierten Studien von Claus-Ekkehard Bärsch wieder verstärkt diskutiert wird, dagegen findet auch unter Fachwissenschaftler Anhänger. Nach dieser Auffassung erfüllt der Nationalsozialismus alle Elemente einer Religion: Umfassende Weltdeutung, Verehrung und entsprechende Kultveranstaltungen. Rißmann lehnt auch diese Deutung ab. Weder sei der Nationalsozialismus als Weltanschauung in sich einheitlich, noch würde der Glaube des Führers mit dem des Volkes wirklich übereinstimmen, wie es von einer politischen Religion gefordert sei. Freilich: „Hitlers Gott“ bleibt auch bei Rißmann vage und unbestimmt. Vielleicht ist seine Studie nicht wirklich „bahnbrechend“, wie der Verlag behauptet, aber sie öffnet in jedem Fall wieder den Blick auf ein in der Forschung unterbelichtetes Feld. Da sie außerdem gut lesbar ist, dürfte sie nicht nur für Fachhistoriker von Interesse sein.
Autor (Rezensent): Dr. Bernd Kleinhans