Der Einstiegsfilm zu Hitlers Aufstieg zur totalen Macht: „Hitler – Aufstieg des Bösen“
Viele Filme befassen sich mit den Verbrechen der Nazis. Dem Holocaust. Dem Zweiten Weltkrieg. Der Unterdrückung des eigenen Volks. Zweifelsohne ist es wichtig, der Untaten Adolf Hitlers (1889 – 1945) und seiner zahlreichen Mittäter zu gedenken. Nie dürfen diese Verbrechen in Vergessenheit geraten. Doch will man verhindern, dass Geschichte sich wiederholt, muss man vor allem Ursachenforschung betreiben. Nur wenige Filme packen dieses eigentlich viel entscheidendere Thema an. „Das Weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“ von Michael Haneke (*1942) deutet die Vorboten des NS-Regimes an. Ähnlich ist es mit der Adaption von Heinrich Manns (1871 – 1950) „Der Untertan“, die der Romanvorlage am Ende eine Andeutung des noch kommenden Unheils hinzufügt. Wirklich an den Kern, nämlich Hitler selbst, geht das Biopic mit dem bewusst etwas reißerisch gewählten Titel „Hitler – Aufstieg des Bösen“, der ausgesucht wurde, weil der ursprünglich angedachte Titel „Hitler: Die frühen Jahre“ den Machern doch etwas zu harmlos erschien, heran.
Der kanadisch-US-amerikanische Fernsehzweiteiler von Christian Duguay (*1957) aus dem Jahre 2003 wurde für CBC (Kanada) und CBS (USA) produziert. In Deutschland liegen die Rechte bei RTL 2. Der Spielfilm mit einem hochkarätigen internationalen Cast beschäftigt sich mit dem Werdegang Adolf Hitlers (gespielt von Robert Carlyle, *1961) vom gescheiterten Maler und Gefreiten im Ersten Weltkrieg hin zum Alleinherrscher des Deutschen Reichs. Hitlers Kindheit wird auch thematisiert, aber in den ersten paar Minuten relativ schnell abgefrühstückt. Schwerpunkt des Films liegt ganz klar bei der Weimarer Republik, Hitlers Umfeld, seinen Wegbereitern und auch Gegnern. So kommen nicht nur SA-Chef Ernst Röhm (1887 – 1934; gespielt von Peter Stormare, *1953) und Hitlers Verleger Ernst Hanfstaengl (1887 – 1975; gespielt von Liev Schreiber, *1967) vor, sondern eben auch der Publizist und Widerständler Fritz Gerlich (1883 – 1934; Matthew Modine, *1959). Des Weiteren verliert der Film sich nicht wie so viele Filme über Hitler in einer Imitation der Person, die ihn zu einer Karikatur seiner selbst verzerrt. Carlyle spielt Hitler, er ahmt ihn nicht nach.
Nun ist das mit Historienfilmen und den Historikern immer so eine Sache. Historiker sind keine Dramaturgen, keine Künstler, sondern recht penible Zeitgenossen, denen jedwede Abweichung von den Tatsachen als ungeheure Verfälschung erscheint – nicht so laut, aber mindestens so pedantisch wie die Fans von so mancher Buchvorlage. Da wundert es nicht, dass der zur Beratung angestellte Hitler-Biograf Ian Kershaw (*1943) dem Filmprojekt wegen eben solcher „Ungenauigkeiten“ den Rücken kehrte und nicht mehr mit ihm in Verbindung gebracht werden wollte. Doch was will ein Historienfilm, ein Biopic oder Periodpiece erreichen? Sie alle wollen dem Zuschauer ein Gefühl davon geben, wie es war. Das Publikum soll anders als bei einer Dokumentation, die nur Fakten vermittelt, emotional investiert und mitgenommen sein. In der Adaption von „V wie Vendetta“, von der Autor Alan Moore (*1953) sich wie für ihn üblich auch distanzierte, heißt es: „Künstler lügen, um die Wahrheit aufzuzeigen. Politiker lügen, um die Wahrheit zu vertuschen!“ Pablo Picasso (1881 – 1973) formulierte ähnlich: „Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit erkennen lässt.“ Kurzum: Damit ein Film einen komplexen historischen Stoff so vermitteln kann, dass der Zuschauer auf geistiger UND emotionaler Ebene versteht, was damals passierte, bedarf es gewisser dramaturgischer Anpassungen als Mittel zum Zweck.
Diese Anpassungen sind im Falle von „Hitler – Aufstieg des Bösen“ in Relation zum Endergebnis mehr als verschmerzbar, denn im Kern erfasst der Film die Stimmung der Weimarer Republik und die Psyche Hitlers durchaus sehr gut. Und manche Anachronismen und Details, an denen sich gestört wird, sind wahrlich kleinlich: Ein Auto hat das falsche Baujahr, der Richter klopft wie in den USA mit dem Holzhammer aufs Pult und statt „Onkel Alf“ nennt Hitlers Nichte Geli Raubal (1908 – 1931; gespielt von Jena Malone, *1984) Hitler im Film „Onkel Dolf“. Hin und wieder sieht der Film sich auch gezwungen, unterschwellig ablaufende Sympathien oder auch Antipathien wie im Falle Paul von Hindenburgs (1847 – 1934; gespielt von Peter O’Toole, 1932 – 2013) zu Hitler durch Symbolszenen einzufangen. Film ist nun einmal stets auch Verdichtung von Ereignissen, was hin und wieder gewisse fehlerhafte Rückschlüsse beim unbedarften Zuschauer begünstigt. Nun soll ein Film aber die Geschichtsstunde oder die Buchlektüre nicht ersetzen, sondern vielmehr illustrieren, erfahrbarer machen.
Will man aber selbst verstehen oder jemand anders klar machen, wie Hitler an die Macht kam, und zwar so, dass es im Gedächtnis bleibt und nicht verfliegt wie die meisten Dokumentationen, eben weil man mitfiebert, ist „Hitler – Aufstieg des Bösen“ das Mittel der Wahl, und zwar gerade weil er sich einige Freiheiten nimmt, Sachverhalte verdichtet und eben nicht, wie gerade viele deutsche Produktionen so nüchtern ist, dass man sich noch weniger in die Handlung einbezogen fühlt als bei einem Stück von Bertolt Brecht (1898 – 1956), der bekanntlich genau das erreichen wollte. Das soll nicht heißen, dass der Film eine Studie der harten historischen Fakten ersetzen könne, aber er erleichtert gewiss den Einstieg in die Thematik.
Der Film erzählt also, wie Hitler nach dem Tod seiner Mutter als junger Mann in Wien auf der Straße lebt und von den Kunstakademien abgewiesen wird. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs geht er an die Front, und nicht zuletzt weil wir über diesen Abschnitt in Hitlers Leben wenig Definitives wissen und der Film diese vier Jahre extrem verdichten muss, nimmt er sich hier wohl die größten Freiheiten. Nach Kriegsende wird die Republik ausgerufen und man schickt Hitler als V-Mann zur DAP, der er sich bald darauf anschließt. Mit flammenden Reden füllt er den Münchner Hofbräukeller und reißt die Partei, die bald zur NSDAP umbenannt wird, an sich. Den Höhepunkt des Films markieren der Hitler-Ludendorff-Putsch und die darauffolgende Gerichtsverhandlung und Inhaftierung Hitlers. Zum Ende hin hat der Film vermutlich seine größte Schwäche, da die Ereignisse nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 sehr gestrafft werden, was zumindest beim uninformierten Zuschauer falsche Rückschlüsse begünstigt. Allerdings liegt darauf nun einmal nicht der Fokus des Films. Vielleicht wären drei statt zwei Teilen noch besser gewesen, sodass ein Teil die Zeit zwischen Januar 1933 und Sommer 1934 noch einmal ganz genau hätte beleuchten können. Zum jetzigen Zeitpunkt ist „Hitler – Aufstieg des Bösen“ aber der bislang beste Spielfilm, den es zu Hitlers Werdegang gibt.