Als im Frühsommer 1933 ein Nachfolger für den wegen diverser Verfehlungen abgesetzten Bürgermeister der brandenburgischen Kleinstadt Werneuchen[1] gesucht wurde, bestellte der Oberbarnimer Landrat v. Thaer den Kreisverwaltungsangestellten Hermann Körner mit Wirkung vom 27. Juli 1933 zunächst zum kommissarischen Bürgermeister Werneuchens[2]. Körner galt als hoch qualifiziert.[3] Allerdings belegen zahlreiche Dokumente, dass bereits bei diesem ersten Karriereschritt Körners seine frühe NSDAP-Mitgliedschaft[4] und sein Eintreten für die NS-Ideologie von zentraler Bedeutung waren; ebenso spielte Körners Engagement für den Nationalsozialismus bei seiner Einsetzung als ordentlicher Bürgermeister Werneuchens im Oktober 1934 eine wichtige Rolle.[5] Körner beließ es in der Folgezeit nicht bei einer einfachen Parteimitgliedschaft, sondern nahm verschiedene Posten in der NSDAP wahr, so u. a. als Kreispropagandaleiter im NSDAP-Kreis Eberswalde-Oberbarnim[6], als Gauredner[7] und später – während seiner Tätigkeit als Bürgermeister von Küstrin in den Jahren 1939 bis 1945 – als (kommissarischer) Kreisleiter des NSDAP-Kreises Königsberg/Neumark[8].
Dass Körner ein überzeugter Nationalsozialist und begeisterter Anhänger Hitlers war, zeigen auch seine zahlreichen öffentlichen Auftritte. So nutzte er zum Beispiel die eigentlich unpolitische Feier anlässlich der Fertigstellung der Verbreiterung der Chaussee zwischen Werneuchen und Tiefensee im Juli 1935 mit einer gewagten Metapher für ein Loblied auf den Nationalsozialismus:
„Wir haben in der Vergangenheit ein Deutschland gehabt, in dem der Standesdünkel regierte, und später ein Deutschland, in dem der Klassenkampf hauste. Beide Male musste dieses Deutschland an den Rand des Abgrundes kommen. Hieraus wollen wir lernen. Arbeiter der Stirn und der Faust müssen sich achten und zusammenstehen. Die nationalsozialistische Idee ist der Mörtel, der sie zusammenhalten muss. Dann werden die wenigen Gegner auf Granit beißen, und eine Volksgemeinschaft nach dem Willen des Führers wird bestehen.“[9]
Besonders Beamte waren laut Körner verpflichtet, den Nationalsozialismus zu unterstützen. Unter der Überschrift „Der Beamte muss überzeugter Nationalsozialist sein.“ berichtete das Oberbarnimer Kreisblatt über eine Kundgebung mit Körner und referierte seine Aussagen wie folgt:
„Die Beamten ständen auf wichtigem Posten, da sie die nationalsozialistische Gesetzgebung auszuführen und in die Praxis umzusetzen hätten. Das sei jedoch nur möglich, wenn sie das nationalsozialistische Gedankengut in sich aufgenommen hätten. […] Er verlangte, dass sich jeder Beamte, auch die älteren, mit dem Nationalsozialismus vertraut mache. […] Der Sieg einer Partei bedinge einen Regierungswechsel, der Sieg einer Weltanschauung aber bedinge eine Revolution. Die nationalsozialistische Revolution werde Jahrhunderte geschichtlich bestimmen.“[10]
Hermann Körner war nicht nur ein Propagandist des Nationalsozialismus. Er bediente sich der Machtmittel des Bürgermeisters, der damals zugleich Ortspolizeibehörde war, um gegen Mitbürger vorzugehen, die sich – und sei es nur störend im Alltag – der Gleichschaltung verweigerten. Dies zeigt der Fall Stroyek[11].
Karl Stroyek wurde 1878 in Ostpreußen geboren und lebte seit 1934 in Werneuchen, seit Juli 1936 als Faktotum im Gasthof Hinze (‚Zu den drei Linden‘).[12] Zuvor hatte Stroyek längere Zeit als Bergmann im Ruhrgebiet und als Kohlenhändler in Berlin gearbeitet. Angeblich wurde Körner seit 1937 wiederholt von NSDAP-Funktionären auf Stroyeks öffentlich geäußerte Kritik am Nationalsozialismus angesprochen.[13] Das Problem war, dass Stroyeks Verhalten strafrechtlich schwer greifbar war: Er verweigerte den Hitler-Gruß, trat unter Berufung auf einen Artikel im Völkischen Beobachter für öffentliche Kritik an Staat und Partei ein, betonte die Freiwilligkeit von Spenden für das Winterhilfswerk und bezweifelte die Sinnhaftigkeit von Beschränkungen für jüdische Kaufleute.
Schlimmer als die konkreten Einzelfälle war aus Sicht der NS-Machthaber in der Kleinstadt Werneuchen, dass Stroyeks Auftreten die Autorität der örtlichen Vertreter von Staat und Partei desavouierte. So forderte der NSDAP-Ortsgruppenleiter Köhler am 22. Juni 1938 Bürgermeister Körner schriftlich auf, gegen Stroyek vorzugehen: Es sei zunehmend schwierig, in Werneuchen Funktionäre für die NSDAP zu rekrutieren. „Und gerade die halben und weichen Volksgenossen nehmen mit größter Genugtuung zur Kenntnis, dass sich die Partei schon in einem solchen Fall nicht durchsetzen kann.“[14]
Angesichts dieser eindeutigen Vorgabe handelte Körner noch am gleichen Tag. Er wies die Ortspolizei an, Zeugen zum Verhalten Stroyeks zu vernehmen, Stroyek selbst zu verhaften und den Gastwirt Hinze unter Androhung straf- und zivilrechtlicher Konsequenzen bis hin zur Entziehung der Konzession zu ermahnen, Stroyek in seiner Wirtschaft keine Bühne zu geben. Stroyek, so Körners Begründung, „steht in dringendem Verdacht, sich durch dauernde staatsfeindliche Äußerungen heute noch im kommunistischen Sinne zu betätigen.“[15] Ebenfalls noch am 22. Juni 1938 wurden sieben Zeugen vernommen, und Körner führte ein Telefonat mit der Gestapo in Potsdam, über das er in einem Vermerk festhielt:
„Es wurde […] die Weisung gegeben, […] möglichst Strojek zunächst dem zuständigen Amtsrichter vorzuführen. Falls dieser die Inhaftnahme des Strojek ablehnt, ihn auf dem billigsten Wege der Stapo in Potsdam vorzuführen.“[16]
Zwei Tage später, am 24. Juni 1938 ließ Körner Karl Stroyek von Werneuchen direkt zur Gestapo nach Potsdam bringen. Körner verstieß damit nicht nur gegen die Weisung aus Potsdam; er entzog Stroyek auch bewusst einem möglicherweise milde urteilenden Richter. Dass er Stroyek nicht dem zuständigen Amtsrichter zuführte, begründet Körner denn auch damit, dass „nach den hier gemachten Erfahrungen das Amtsgericht uns Strojek sicher nicht abnehmen würde.“[17]
Ausführlich schildert und bewertet Körner am 24. Juni 1938 in einem Brief an die Gestapo in Potsdam das Verhalten von Karl Stroyek in Werneuchen. Sein Schreiben, das eng der Argumentation Köhlers vom 22. Juni 1938 folgt, mündet in folgendem Appell:
„Ich bitte dringend, Strojek zum mindesten einige Tage dort [in der Potsdamer Gestapo-Haft] zu behalten, damit er einmal spürt, dass er nicht ungestraft heute im Dritten Reich dauernd sich über Gesetze und Einrichtungen des Staates abfällig äußern und dass er weiter nicht ungestraft die Arbeit der nationalsozialistischen Bewegung, ihrer Amtswalter usw. erschweren kann. […] Bei ihm fruchten Verwarnungen nicht, sondern er muss einige Strafen erfahren. M. E. wäre es richtig, Strojek für einige Zeit in ein K.-Lager einzuliefern.“[18]
Die Gestapo folgte Körner nicht, sondern entließ Stroyek nach ca. drei Wochen unter Meldeauflagen aus der Gestapo-Haft. Ob bzw. inwieweit das Vorgehen Körners gegen Stroyek für dessen Inhaftierung im KZ Sachsenhausen von 1942 bis 1944[19] von Bedeutung war, lässt sich nicht sagen.
Der Fall Stroyek war dem Entnazifizierungshauptausschuss des Landes Schleswig-Holstein, wo Körner nach 1945 lebte, nicht bekannt, als er 1950 Körner als „entlastet“ einstufte.[20] Allerdings darf bezweifelt werden, dass das Urteil anders ausgefallen wäre, hätten die entsprechenden Unterlagen dem Ausschuss vorgelegen; zu groß war die Bereitschaft, auch offensichtliche Lügen hinzunehmen, zu gering der Wille, Unstimmigkeiten auf den Grund zu gehen.[21]
Karl Stroyek starb 1947.[22] Vier Jahre später wurde Hermann Körner erneut Bürgermeister einer Stadt – dieses Mal von Reinbek bei Hamburg.[23] [24]
Autor: Tomas Unglaube
Anmerkungen
[1] Es gibt keinen Hinweis, dass die Absetzung aus politischen Gründen erfolgte; vielmehr gab es teilweise auch strafrechtlich relevante Verfehlungen. (BLHA Rep. 31B FrankfurtO 1147 – Dienststrafverfahren, Werneuchen)
[2] s. BLHA Rep. 6B Oberbarnim 236, Blatt 50 – Personalakte Hermann Körner
[3] s. z. B. Landrat v. Thaer am 7.8.1933 in einer vertraulichen Beurteilung K.s (BLHA Rep. 6B Oberbarnim 236, Blatt 59)
[4] K. trat am 1. 10. 1928 in die NSDAP ein (BLHA Rep. 6B Oberbarnim 236, Blatt 137 u. 171)
[5] K. selbst betont in einem Schreiben an den Landrat vom 12.6.1934, in dem er auf seine Bestätigung als Bürgermeister Werneuchens dringt, seine langjährige NSDAP-Mitgliedschaft (BLHA Rep. 6B Oberbarnim 236, Blatt 104f); Landrat v. Thaer spricht in seinem Schreiben vom 6.1.1934 an den Regierungspräsidenten von der „einwandfreien politischen Gesinnung“ K.s als Kriterium für dessen Beförderung (BLHA Rep. 6B Oberbarnim 236, Blatt 89); die Stadtverwaltung Werneuchens begründet ihren Antrag auf Bestätigung K.s vom 28.11.1933 ausdrücklich mit seiner langjährigen Tätigkeit „in nationalen Verbänden“ und der frühen NSDAP-Mitgliedschaft (BLHA Rep. 6B Oberbarnim 236, Blatt 79f).
[6] s. Oberbarnimer Kreiskalender 1938, Eberswalde 1937, S. 132; Oberbarnimer Kreiskalender 1939, Eberswalde 1938, Seite 133 sowie div. Beiträge im Oberbarnimer Kreisblatt
[7] Im Sommer 1936 nahm K. auf Einladung der NSDAP-Gauleitung Kurmark an einer vierwöchigen Rednerschulung in der Adolf-Hitler-Schule in Lychen teil (BLHA Rep. 6B Oberbarnim 236, Blatt 177); s. auch die Veranstaltungspläne der NSDAP-Kreisleitung im Oberbarnimer Kreisblatt
[8] Im Königsberger Kreiskalender 1942, Neudamm [1941] veröffentlicht Körner als „Kreisleiter“ einen Beitrag und erläutert, dass er die Arbeit des NSDAP-Kreisleiters seit dem 1.4.1941 wahrnehme. Im Entnazifizierungsverfahren hat Körner behauptet, nur kommissarischer oder stellvertretender Kreisleiter gewesen zu sein. Auch will er dieses Amt nur „ca. 2 Jahre“ ausgeübt haben, obwohl er noch im April 1945 als „Kreisleiter“ zeichnet. (s. LASH Abt. 460 Nr. 2026, o.Z. – Anlagen betr. Entnazifizierung Körner, Ratzeburg; Kohlase, Fritz: Als Küstrin in Trümmer sank, Sehnde 2006², S. 444)
[9] zit. nach Oberbarnimer Kreisblatt, 24.7.1935; Rechtschreibung angepasst
[10] Oberbarnimer Kreisblatt, 24.3.1934; Rechtschreibung angepasst
[11] K. verwendet in seinen Texten die falsche Schreibweise „Strojek“, richtig ist „Stroyek“.
[12] Zu den biografischen Daten s. Stroyeks Angaben bei seiner Vernehmung durch die Ortspolizei Werneuchen (KA Barnim E. I. RdKB 26401) sowie die Hinweise in seiner Entschädigungsakte (LA NRW Abt Rheinland BR 3007 Reg Düsseldorf Nr 3151, o.Z. – Stroyek, Karl).
[13] Die folgende Darstellung beruht auf der Auswertung der Akte zum Fall Stroyek im Kreisarchiv Barnim (KA Barnim E. I. RdKB 26401, o.Z.).
[14] Köhlers Schreiben vom 22.6.1938 in KA Barnim E. I. RdKB 26401; Rechtschreibung angepasst
[15] K.s Vermerk über seine Verfügung vom 22. Juni 1938 in KA Barnim E. I. RdKB 26401; Rechtschreibung angepasst
[16] s. KA Barnim E. I. RdKB 26401
[17] K. in einem Schreiben vom 24. Juni 1938 an die Gestapo in Potsdam (KA Barnim E.I. RdKB 26401)
[18] ebd.
[19] s. LA NRW Abt Rheinland BR 3007 Reg Düsseldorf Nr 3151
[20] s. LASH Abt. 460 Nr. 1175 – Körner, Hermann
[21] Zur Entnazifizierungspolitik in Schleswig-Holstein s. Uwe Danker: Entnazifizierung, in: Das Neue Schleswig-Holstein-Lexikon, Neumünster 2006², 149f; Manfred Hanisch: Entnazifizierung in Schleswig-Holstein und Lauenburg, in: Ausgewählte Aspekte der Nachkriegsgeschichte im Kreis Herzogtum Lauenburg und in den Nachbarterritorien, Bochum 2004, 15-29
[22] s. LA NRW Abt Rheinland BR 3007 Reg Düsseldorf Nr 3151
[23] s. StA Reinbek Archiv-Nr. III/254, Blatt 1
[24] Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Bad Freienwalder Heimatkalender 2023, S. 156 – 160 unter der Überschrift „M. E. wäre es richtig, Strojek für einige Zeit in ein K.-Lager einzuliefern. Werneuchens Bürgermeister Körner sorgt für (seine) Ordnung“