Am 20. März 1939 fand die Verbrennung „entarteter“ Kunst, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, im Hof der Kreuzberger Feuerwache, Lindenstraße 42 (heute Axel Springer Straße 40/41) statt. Dort erinnert seit 2006 ein Denkmal an die Kunstvernichtung, die im Gegensatz zur Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 bis heute nicht als Datum antifaschistischer Gedenkkultur verankert ist. Die Werke prominenter Künstler sind hier freilich nicht verbrannt worden. Entweder waren sie zuvor klammheimlich gegen das staatliche Verdikt in Privatsammlungen verschwunden oder wurden lukrativ für den NS-Staat ins Ausland verkauft. Deponiert wurden die „verwertbaren“ Gemälde und Skulpturen ab Herbst 1938 als „Entartete Kunst“ im barocken Schloss Schönhausen.
Die Ausstellung „Gute Geschäfte“ über den Kunsthandel in Berlin 1933-1945 arbeitet bewusst mit der doppelbödigen Konnotation des Titels, um einerseits die seriösen Kunsthändler der Weimarer Republik und deren Schicksal unter den Nazis zu beleuchten und andererseits die profitablen Geschäfte des NS-Regimes mit der von ihm verfemten Kunst zu behandeln.
Bis heute beschäftigen Provenienzforschung und Restitutionsklagen nicht nur Kunsthistoriker, Juristen und Gerichte, sondern beeinflussen die Arbeit von Museen und setzen Kunstsammlungen auf den Prüfstand. Die Liste jener mittels Arisierung von jüdischem Privatvermögen oder aus öffentlichen Sammlungen spurlos verschwundenen Bilder ist lang und die Herkunft einiger Exponate in den Museen oder von Auktionsware zumindest zweifelhaft.
Am Schicksal der führenden Personen und Galerien im Berlin der Weimarer Republik zeigt die Ausstellung des Aktiven Museum Faschismus und Widerstand, wie schnell die Situation für jüdische Kunsthändler unerträglich wurde. Von der Senkung des Freibetrages der Reichsfluchtsteuer auf 50.000 Reichsmark im Mai 1933 über das Gesetz zur „Einziehung von volks- und staatsfeindlichen Vermögen“ im Juli 1933 und das Gesetz zur „Beseitigung von Missständen im Versteigerungswesen“ ergriffen die Nazis gleich in den ersten Monaten Maßnahmen, die sich gegen jüdische Kunsthändler und die jüdisch-bürgerliche Käuferschicht richteten. Ab Oktober 1933 hatten alle Kunsthändler Mitglieder in der Reichskammer der bildenden Künste zu sein, was Juden verwehrt wurde. Manche „arische“ Mitarbeiter nutzten die „Gunst der Stunde“ und rissen sich Unternehmen in jüdischem Besitz unter den Nagel. Axel Vömel, der ehemalige Angestellte des legendären Kunsthändlers Alfred Flechtheim (1878–1937) arisierte kurzerhand die von Flechtheim 1913 in Düsseldorf gegründete Galerie. Unbeschadet davon blieb die 1921 am Lützowufer 13 in Berlin gegründete Dependance Flechtheims. Sie war der Hot Spot für die Moderne in Berlin, wo die Connaisseure auf der Suche nach der Avantgarde fündig wurden: Legér, Matisse, Picasso, George Grosz, Max Beckmann, Paul Klee und Willi Baumeister. Nach der Machtübergabe an die NSDAP kam ein Verbleiben des jüdischen Galeristen schon aufgrund seines Programms nicht in Frage, denn im Wesentlichen bestand es aus der von den Nazis als „entartet“ definierten Kunst. Flechtheim floh noch im Mai über Basel nach Paris und ließ sich in London nieder. Im gegenseitigen Einvernehmen übernahm sein Wirtschaftsprüfer das Berliner Geschäft und führte es noch bis 1936 weiter. Flechtheims Frau Betti konnte wegen der veranschlagten Höhe der Reichsfluchtsteuer das Land nicht mehr verlassen. Kurz vor der anstehenden Deportation beging sie im November 1941 Selbstmord.
Komplette hochkarätige Kunstsammlungen aus jüdischem Besitz mussten regelrecht verscherbelt werden, damit die ehemaligen Besitzer überhaupt Deutschland verlassen konnten, um somit ihr Leben zu retten. Von den Profiteuren der „Arisierung“ musste sich kaum jemand verantworten. Nur zwei, Karl Haberstock und Hansjoachim Quantmeyer, wurden nach dem Krieg zur Rechenschaft gezogen. Die Verhaltensweisen von ehemaligen Geschäftspartnern sind im Nachhinein nicht immer eindeutig zu beurteilen. Dies ist der Fall bei Bernhard A. Böhmer, dem Assistenten von Ernst Barlach. Das Janusköpfige in Böhmers Person scheint Barlach sehr früh klar gewesen zu sein. In einem Brief an seinen Vetter bezeichnete er ihn 1931 nicht unskeptisch als „mein guter wie mein böser Engel“. Der gelernte Bildhauer half dem Künstler bei der Fertigstellung großer Skulpturen und kümmerte sich nach dem Tod von Barlachs Galeristen, Paul Cassirer, ab 1926 um den Verkauf der Werke. Eine weite Anerkennung von Barlachs Kunst brachte Böhmer in Kontakt mit internationalen Sammlern. Böhmer war nie Mitglied der NSDAP, aber aufgrund seiner Beziehungen zu ausländischen Sammlern interessant für die Nazis. Diese Position nutzte er und setzte sich in Briefen nachweislich für das Werk Barlachs ein. Auch war er in der Lage, die über 600 als „entartet“ beschlagnahmten Werke Barlachs zurückzukaufen und an Sammler zu veräußern. Diese Aktivität weitete Böhmer aus und bewahrte somit Werke von mehr als 170 verfemten Künstlern vor der drohenden Zerstörung. Gleichwohl vermittelte er im Auftrag der Nazis Arbeiten an das in Linz geplante Führermuseum und scheint einer der zentralen Personen für den In- und Auslandshandel mit „verfolgungsbedingt entzogener“ Kunst gewesen zu sein. Böhmer, der keine Geschäftspapiere hinterließ, beging beim Einmarsch der Roten Armee im Mai 1945 in Güstrow Selbstmord. Wie auch andere Aspekte des Kunsthandels im Faschismus bedarf Böhmers zwiespältiges Agieren weiterer Erforschung. Die Ausstellungsmacher sehen ihr Projekt ausdrücklich nicht als Endpunkt, sondern als Anfang einer notwendigen wissenschaftlichen Recherche.
Autor: Matthias Reichelt
Bis 20.05.2012, Di bis So 10 – 19 Uhr
Gute Geschäfte. Kunsthandel in Berlin 1933–1945
Katalog, reich bebildert 20€
Haus am Kleistpark