Einige Anmerkungen und Ergänzungen zum Katalog der Ausstellung „Ein Visum fürs Leben“ – Diplomaten die Juden retteten
Es gibt einen perfekten, reichhaltigen Katalog der interessanten Ausstellung „Ein Visum fürs Leben – Diplomaten, die Juden retteten“, der vom israelischen Außenministerium mit freundlicher Genehmigung von Yad Vashem, der Holocaustmärtyrer- und Heldengedenkstätte, herausgegeben wurde.
Der Katalog, sowie die Ausstellung, enthält Informationen und fotografische Materialen über die Diplomaten – Gerechte unter den Völkern: Raoul Wallenberg (Schweden), Tiune (Sempo) Sugihara (Japan), Per Anger (Schweden), Aristide de Sousa Mendes (Portugal), Jan Zwartendig (Holland), Giorgio Perlasca (Italien), Feng Shan Ho (China), Hiram (Harry) Bingham IV (USA), Carl (Charles) Lutz (Schweiz).
Wahrscheinlich haben einige Besucher der Ausstellung Exemplare des Kataloges mitgenommen oder nehmen sich bei späteren Ausstellungen einen mit und lesen ihn und machen sich darüber ihre Gedanken. Darum denke ich, dass einige meiner Anmerkungen zu zwei Behauptungen aus dem Text des Kataloges wichtig und interessant für den Leser sind.
Im Katalog befinden sich neben dem Vorwort außerdem zwei Artikel über die Zuflucht der Juden in Shanghai (China) und über die Rettung der Juden in der ungarischen Hauptstadt Budapest.
Die Einleitung erläutert: „Yad Vashem wurde von der Knesset, dem israelischen Parlament, dazu bevollmächtigt, den Titel eines „Gerechten unter den Völkern“ als Geste des Dankes von Seiten des jüdischen Volkes zu verleihen. Ein Richter des Obersten Gerichtshofes sitzt einem Komitee von Vertretern der Öffentlichkeit vor, die prüfen, ob Kandidaten bei der Rettung von Juden unter bestimmte Aspekten gehandelt haben“.
Diese Ausstellung war im Landtag Brandenburg (Potsdam) im Frühjahr 2004 zu sehen. Sie wurde schon u.a. in Berlin2, Koblenz3, im Frühjahr 2003 in der Ukraine (Kiew), dann in Italien und im Frühjahr 2006 in Saarbrücken und in Russland10 (Moskau) gezeigt.
Möglich, dass sie in absehbarer Zukunft auch in anderen Städten gezeigt wird, weil im Katalog folgende zusätzliche Erklärung steht: „Elf weitere Diplomaten – Friedrich Born (Schweiz), Selagattin Ulkumen (Türkei), Angel Saens-Briz (Spanien), Georg Ferdinand Duckwitz (Deutschland), Monsignore Angelo Rotta (Vatikan), Carl Ivan Danielson (Schweden), Aracy de Carvalho-Guimareas Rosa (Brasilien), Ernst Podolliet (Schweiz), Waldemar Langlet (Schweden), Jose Santaella (Spanien), Lars Berg (Schweden) – sind von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt worden. Bemühungen sind im Gange, um Informationen und fotografische Materialen über sie zu sammeln, die zukünftig als Ausstellungsstücke präsentiert werden sollen“.
Die 1. Behauptung aus dem Text des Kataloges, die ich korrigieren möchte, lautet:
„Die Rettung einer großen Zahl von Juden war nur in zwei kurzen Zeiträumen am Rande der Geschichte der Shoah (Holocaust) möglich – entweder zu Beginn der nationalsozialistischen Eroberungen, bevor der Zugriff des NS-Regimes tödliche Formen annahm; oder gegen Ende des Krieges, als der mörderische Griff schwächer wurde“.
Bekanntlich sind in Bulgarien, Dänemark, Finnland und in Italien während der Shoah die jüdischen Mitbürger am Leben geblieben…
„Im August des Jahres 1942 wurden Massendeportationen der Juden in südlichen Regionen von Siebenbürgen (Rumänien) nach Polen vorbereitet. Die Abfahrten standen unmittelbar bevor“ – schreibt der heutige Oberrabbiner von Genf, ehemaliger Landesoberrabbiner von Rumänien Alexandre Safran in seinem Buch1.
Im August 1942, Alexandre Safran „klopfte an alle Türen“, hatte aber keinen Erfolg. Er hat einen verzweifelten Schritt vorgenommen, er wandte sich nämlich an den Metropoliten Balan, Oberhaupt der rumänischen orthodoxen Kirche von Siebenbürgen. Safran „legte ihm die äußerst kritische Lage dar, in der sich die Juden im Süden Siebenbürgens befanden, weil deren Deportation nach Polen vielleicht nur eine Frage von Stunden war“. Dank des Eingriffs und der Hilfe des Metropoliten Balan wurde der Deportationsbefehl für die Juden im Süden von Siebenbürgen annulliert. Tausende von Juden waren gerettet. Das zeigt, dass auch noch im August des Jahres 1942 und nicht nur zu Beginn oder gegen Ende des Krieges Juden gerettet werden konnten.
Die 2. Behauptung aus dem Text des Kataloges, die ich ergänzen möchte, lautet:
„Diplomaten genossen als Vertreter ausländischer Regierungen einen privilegierten Status. Ihre Gefährdung war weitaus geringer als die Bedrohung des Lebens anderer Menschen bei derartigen Rettungsaktionen. Daher gelten für die Anerkennung von Diplomaten als „Gerechten unter den Völkern“ folgende Kriterien:
Handeln gegen die ausdrücklichen Anweisungen der Vorgesetzten;
Gefährdung der eigenen Karriere;
Hilfe für eine große Anzahl von Juden.
Bisher wurden 16.000 Menschen in die Reihe der „Gerechten unter den Völkern“ aufgenommen, darunter nur 20 Diplomaten, aber ihr Handeln trug zur Rettung Tausender von Juden bei“.
Bis heute (01.01.06) wurden 21.310 Menschen als Gerechte anerkannt, darunter 427 deutsche Gerechte9.
Tatsächlich wurden bisher in die Reihe der „Gerechten unter den Völkern“ nur 20 Diplomaten, die Juden retteten, aufgenommen. Aber es gibt ebenso viele Retter, die in die Reihe der „Gerechten unter den Völkern“ nicht aufgenommen wurden. Alexandre Safran im o. g. Buch erzählt über den Päpstlichen Nuntius in Bukarest, den großen Humanisten Monsignore Andrea Cassulo und den Päpstlichen Nuntius in Istanbul, Angelo Roncalli (ab 1958 – Papst Johannes XXIII.). Auch ihr Handeln trug zur Rettung Tausender von Juden von Transnistrien bei. (Hitler hatte Rumänien die Verwaltung der ukrainischen Territorien jenseits des Dnjestr (auf Rumänisch: Nistru) übertragen. Dieses Gebiet wurde Transnistrien genannt.)1. Unter diesen Geretteten war auch ich.
Auf der in der Fußnote genannten Internetseite4 gibt es Informationen unter dem Titel „Päpstliche Diplomaten, die den Juden geholfen hatten“, in der folgende Personen genannt sind: „…Andrea Cassulo in Rumänien, Filippo Bernardino in der Schweiz, Giuseppe Burzio in der Slowakei, Valerio Valeri in Frankreich, Angelo Roncalli in der Türkei“. Des weiteren gibt es auf der Internetseite5 über Raoul Wallenberg Informationen unter dem Titel „Diplomaten, die Juden retteten“ und neues Material (1. November 2005 „Türkische Diplomaten, die während den II. Weltkrieges Juden retteten“) in der ca. 84 Diplomaten benannt sind, darunter die folgenden Diplomaten:
Boyan Atanassov, Bulgarien, Diplomat in Paris, Frankreich, 1940
Monsignore Philippe Bernardini, Päpstlicher Nuntius und Dekan des Diplomatischen Korps, Bern, Schweiz, 1942-45
Franz Bischof, Schweiz, Vizekonsul in Budapest, Ungarn, 1937-1945
Gilberto Bosques, Mexiko, Konsul in Marseille, Frankreich, 1940
Carlos de Liz-Texeira Branquinho, Portugal, Konsul in Budapest, 1944-45
Oberst José Arturo Castellans, Salvador, Generalkonsul in Genf, Schweiz, 1942-45
Rives Childs, USA, Generalkonsul in Tangier, Marokko, 1944
Luis Martins de Souza Dantas, Brasilien, Botschafter in Frankreich, 1940
L. P. J. de Decker, Holland, Gesandter in der Baltischen Staaten, 1940
René de Weck, Schweiz, Generalkonsul in Amsterdam, Holland, 1942
Isidor Fabela, Mexiko, Delegierte am Völkerbund
Howard Elting, USA, Konsul, Botschaft in Bern, Schweiz, 1944
Gerhart Feine, Deutschland, Vertreter in Budapest, 1944-45
Dr. Harald Feller, Schweiz. Minister in Budapest, Ungarn, 1944-45
Radu Flondor, Rumänien, Konsul in Wien, Österreich
Frank Foley, Großbritannien, Vizekonsul in Berlin, 1938-39
Dr. Carlos Almeida Afonseca de Sampayo Garrido, Portugal, Gesandter in Budapest, Ungarn, 1944
Dr. Raymond Herman Geist, USA, Generalkonsul, Botschaft in Berlin, 1929-39
Gastone Guidotti, Italien, Diplomat in der Gesandtschaft in Belgrad, Jugoslawien, 1936-1940
Maximillian Jaeger, Schweiz, Minister in Budapest, 1936-44
Constantin Karadja, Rumänien, Generalkonsul in Berlin, 1942-1944
Jan Karski, Konsul in Polen
Alexander Kasser, Schweden, Vertreter des Roten Kreuzes in Budapest, Ungarn, 1944-45
Hans Keller, Schweiz, Konsul in Bratislava, Tschechoslowakei
Paul Komor, Ungarn, Honorarkonsul in Shanghai, China, 1938-1941
Dr. Julius Kuhl, Polen, Konsul in Bern, Schweiz, 1938-45
Alexander Lados, Polen, Gesandter in Genf, Schweiz, 1938-45
George Mandel-Montello, Salvador, Konsul in Genf, Schweiz, 1942-45
Constanin Mares, Rumänien, Konsul in Wien, Österreich
Dumitru Metta, Rumänien, Diplomat in Frankreich, 1940-42
Pio Perucchi und Candido Porta, Schweiz, Diplomaten in Mailand, Italien, 1938-39
Thomas Preston, Großbritannien, Konsul in Kaunas, Litauen, 1940
Erzbischof Angelo Giuseppe Roncalli, Päpstlicher Nuntius (Botschafter) in Istanbul, Türkei, 1943-45
Carvalho da Silva, Portugal, Vizekonsul in Paris, Frankreich, 1943
Henryk Slawik, Polen, Gesandter in Budapest, Ungarn, 1944
Miles Standish, USA, Vizekonsul in Marseille, Frankreich, 1940
Stephen B. Vaughan, USA, Vizekonsul in Breslau, Deutschland, 1938-39
Vladimir Vochoc, Tschechien, Konsul in Marseille, Frankreich, 1940
Peter Zürcher, Schweiz, Vertreter in Budapest, 1945
Gertrud Lutz, Göte Carlsson, S. Lanz, Count Pongracz, Raoul Nordling, Denes Von Mezey,
Necdet Kent, Türkei, Generalkonsul in Marseille, Frankreich, 1942-45
Namik Kemal Yolga, Türkei, Generalkonsul in Paris, Frankreich, 1942
Numan Menemencioðlu, Türkei, Außenminister, 1942-44
Behiç Erkin, Türkei, Botschafter in Vichy, Frankreich, 1940-1943
Saffet Arýkan, Türkei, Botschafter in Berlin, 1942-1944
Ýnayetullah Cemal Özkaya, Türkei, Generalkonsul in Athen, Griechenland, 1940-1945
Burhan Iþýn, Türkei, Generalkonsul in Varna, Bulgarien, 1942-1946
Ýrfan Sabitakça, Türkei, Generalkonsul in Prag, 1939-1943
Pertev Þevki Kantemiz, Türkei, Generalkonsul in Budapest, 1939-1942
Abdülahat Birden, Türkei, Generalkonsul in Budapest, 1942-1944
Fuat Aktan, Türkei, Generalkonsul in Kostence, Bulgarien, 1937-1942
Ragýp Rauf Arman, Türkei, Generalkonsul in Kostence, Bulgarien, 1942-1945
Kudret Erbey, Türkei, Generalkonsul in Hamburg, 1938-1942
Galip Evren, Türkei, Generalkonsul in Hamburg, 1942-1944
Cevdet Dülger, Türkei, Generalkonsul in Paris, 1939-1942
Fikret Þefik Özdoðancý, Türkei, Generalkonsul in Paris, 1942-1945
Bedii Arbel, Türkei, Generalkonsul in Marseille, 1940-1943
Mehmet Fuat Carým, Türkei, Generalkonsul in Marseille, 1943-1945
Die italienischen Diplomaten Pietromarchi und Basstianini haben ebenfalls in den Zeitraum von 1942–1944 Juden gerettet6, genauso handelte die tschechische Diplomatin Anna Binder7.
Am 18. April 2005 ist Constantin Karadja von Yad Yashem als Gerechter unter den Völkern anerkannt worden8.
Ich denke, dass man allgemein behaupten kann, dass alle „Gerechten unter den Völkern“ Judenretter sind, aber nicht alle Judenretter als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt worden sind.
Autoren: David Rosenfeld und Vivianne Schnurbusch
Anmerkungen
1 Safran, Alexandre: „Den Flammen entrissen“. Erinnerungen. Tübingen und Basel 1996.
2 http://www.berlin-judentum.de/denkmal/visa.htm
3 http://www.ekir.de/ekir/13064_6992.asp (Seite nicht mehr abrufbar (Stand: 27. Januar 2017) – Snapshot in der Internet Archive Wayback Machine vom 20. Februar 2005
4 www.holycross.edu/departments/history/vlapomar/hiatt/piusXII.htm (englisch) – Seite nicht mehr abrufbar (Stand: 7. August 2015) – Snapshot in der Internet Archive Wayback Machine vom 15. Juni 2006
5 http://www.raoulwallenberg.net/?en/saviors/diplomats/2742.htm (englisch) – Seite nicht mehr abrufbar (Stand: 14. November 2014) – Snapshot in der Internet Archive Wayback Machine vom 11. Juni 2007
6 http://www.berkovich-zametki.com/, Evreiskaja starina, N2, 12.01.2003 (russisch)
7 www.vestnik.com/issues/2001/0508/koi/berkovich.htm (russisch)
8 www.nlarchiv.israel.de/2005_html/09/Newsletter%20vom%202005-09-15a.htm – Seite nicht mehr abrufbar (Stand: 14. November 2014) – Snapshot in der Internet Archive Wayback Machine vom 19. Juli 2011
9 http://www.pobeda-60.ru/main.php (russisch) – Seite nicht mehr abrufbar (Stand: 21. Februar 2015) – Snapshot in der Internet Archive Wayback Machine vom 17. Mai 2006