Joachim Schroth: Geschichte als Legitimationsstrategie oder die Frage nach der Tradition des Durchhaltefilmes. Eine Analyse von drei Historienfilmen aus geschichtskultureller Perspektive. Berlin u. a. 2016.
„Hiermit beauftrage ich Sie, einen Großfilm ‚Kolberg‘ herzustellen. Aufgabe dieses Films soll es sein, am Beispiel der Stadt, die dem Film den Titel gibt, zu zeigen, daß ein in Heimat und Front geeintes Volk jeden Gegner überwindet.“ Mit einem kurzen Schreiben beauftragte im Sommer 1943 Propagandaminister Joseph Goebbels – einige Monate nach der Niederlage in Stalingrad – den NS-Starregisseur Veit Harlan mit der Regie für einen neuen, aufwändigen Propagandafilm. Die ostpreußische Stadt Kolberg, die 1806 in den Napoleonischen Kriegen wochenlang der französischen Belagerung erfolgreich Widerstand leistete, sollte den „Volksgenossen“ als Exempel für einen vorbildlichen Durchhaltewillen auch in schwieriger militärischer Lage dienen. Wie Kolberg durch die Einigkeit von Bevölkerung, politischer und militärischer Führung den Feind besiegt habe, so die Botschaft des Filmes, könne auch jetzt der Krieg noch gewonnen werden, wenn das Volk im totalen Krieg bedingungslos der NS-Führung folgte.
Gesehen hatte den Farbfilm Kolberg, der mit einem enormen Aufwand an Material und Menschen – selbst Wehrmachtseinheiten wurden zeitweise als Statisten abgestellt – produziert wurde, tatsächlich nur wenige. Als er im Januar 1945 uraufgeführt wurde, waren die Kinos in den großen Städten vielfach zerbombt, funktionierende Projektionseinrichtungen fehlten und es mangelte an Material, um eine ausreichende Zahl von Filmkopien herzustellen.
Kolberg gilt bis heute als typischer „Durchhaltefilm“, der allein zum Zweck gedreht wurde, die Bevölkerung psychologisch zum Ertragen der Kriegsbelastungen, eben zum „Durchhalten“ zu bewegen. Dadurch, so das propagandistische Kalkül, würde letztlich sogar ein Sieg in aussichtsloser Lage möglich sein. Der Begriff „Durchhaltefilm“, der sich inzwischen fest im politischen-historischen Diskurs etabliert hat, beschreibt einen Film also nicht von seinen filmästhetischen Qualitäten oder seinen narrativen Strukturen, sondern allein über seine Funktion in einem bestimmten gesellschaftlichen und politischen Kontext.
An dieser Stelle setzt die Arbeit von Joachim Schroth an, die im Jahr 2015 an der Pädagogischen Hochschule Weingarten als Dissertation angenommen wurde. Schroth rekonstruiert nicht nur die Produktionsgeschichte von Kolberg und führt eine präzise Inhalts- und Strukturanalyse des Filmes durch, sondern fragt nach den Merkmalen, die einen „Durchhaltefilm“ filmisch und narrativ kennzeichnen. Um die „Durchhaltefunktion“ in einer bestimmten politischen und militärischen Lage zu erfüllen, reicht weder der Wille einer Führung, einen solchen Film herzustellen noch die Bereitschaft der Rezipienten sich darauf einzulassen. Ein Film muss darüber hinaus auch spezifische inhaltliche und strukturelle Elemente aufweisen. Kolberg dient Schroth als exemplarischer Film, um diese Kennzeichen des Durchhaltefilms herauszuarbeiten. Als typische „Durchhaltebotschaften“ macht er unter anderem die „Glorifizierung der (Selbst-)Opferung als selbst gewähltem unausweichlichen Schicksal“, die gegen die feindliche Übermacht „numerisch unterlegenen Helden“, die „moralische Überlegenheit“ und schließlich auch ein Sieg über die Feinde – selbst um den Preis des eigenen Lebens – aus.
Bestimmt man den Durchhaltefilm auf diese Weise, dann ist das Genre nicht allein an die NS-Zeit, noch nicht einmal an diktatorische Systeme gebunden, sondern kann auch in demokratischen modernen Gesellschaften eine Funktion besitzen. Der Verfasser belegt das an den Historienfilmen Eine Handvoll Helden (D, I 1967), der ebenfalls zur Zeit der Napoleonischen Kriege spielt, und insbesondere an dem amerikanischen Spielfilm 300, der 2006 in der Inszenierung von Zack Snyder in die US-Kinos kam und inzwischen weltweit vermarktet wurde. Eng angelehnt an die Überlieferung des antiken Historikers Herodot zeigt der Film den Verteidigungskrieg des griechischen Heeres gegen die Perser, der 480 v. Chr. an den Thermopylen mit einer Niederlage der persischen Streitmacht endete. In 300, der die Zuschauer vor allem durch seine ungewöhnliche Kameraführung und Farbgebung beeindruckt, wiederholt sich, wie Schroth zeigt, das von Kolberg bekannte narrative Grundmuster eines Durchhaltefilms: Eine kleine Gruppe von Helden – in diesem Fall 300 Spartaner unter ihrem Führer Leonidas – steht einer Übermacht von Feinden, dem persischen Heer, gegenüber. Während die Perser untereinander zerstritten und allein von der Gier nach Macht und materiellem Reichtum getrieben sind, werden die Spartaner als moralisch höherwertig dargestellt, weil sie bereit sind, sich selbstlos für das Vaterland zu opfern. Und genau durch dieses Opfer gelingt es schließlich die Perser zu besiegen.
Auch wenn dieser Film nicht im Auftrag einer Regierung produziert wurde, insofern kein quasi offizieller Durchhaltefilm ist, kann er doch in den USA in der aktuellen politischen Situation eine solche Funktion übernehmen. Sehen sich doch viele Amerikaner von Terroristen und Islamisten aus dem Nahen Osten bedroht und fühlen sich gleichzeitig in einer moralisch überlegenden Position, in dem sie die freiheitlichen Werte des Westens in den Kriegen zu verteidigen glauben. Ganz so wie die Spartaner in 300 das freie Griechenland gegen die persische Übermacht aus dem Osten verteidigten.
Gerade am Beispiel von 300 kann Schroth auch aufweisen, wie sehr die Rezeption von Historienfilmen vom jeweiligen geschichtskulturellen Kontext abhängt. Während Snyders Film in den USA vielfach positiv rezensiert wurde, dominierten in Europa Stimmen, die die extreme Gewalt, die der Film zeigt, kritisierten und ihn politisch in der Nähe der faschistischen Heldenverehrung verorteten. Im Iran und anderen Ländern des Nahen Ostens wiederum wurde er vor allem als Ausdruck westlichen Vorherrschaftsstrebens und der Verachtung anderer Kulturen gesehen.
Schroths Arbeit überzeugt nicht nur durch die genaue Analyse von Kolberg, Eine Handvoll Helden und 300, sondern eröffnet durch die Neubestimmung des Begriffs des Durchhaltefilmes eine erweiterte Perspektive auch auf aktuellere Filmproduktionen. An manchen Stellen hätte man sich seine Ausführungen freilich etwas straffer gewünscht. Vor allem die im ersten Kapitel reichlich ausgedehnten Erläuterungen zum Begriff des Historienfilms, zur Authentizität von Geschichtsbildern und zur Medienrezeption tragen nur wenig zum eigentlichen Forschungsthema bei. Hier hätte oftmals ein schlichter Verweis auf die vorhandene Forschungsliteratur gereicht. Gleichwohl: Für Historiker und Filmhistoriker, die sich mit dem geschichtskulturellen Kontext filmischer Produktionen befassen, bietet Schroths Buch eine Fülle von Anregungen und Material.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans M.A.
Joachim Schroth: Geschichte als Legitimationsstrategie oder die Frage nach der Tradition des Durchhaltefilmes. Eine Analyse von drei Historienfilmen aus geschichtskultureller Perspektive (= Geschichte, Bd. 133). LIT Verlag, Berlin u. a. 2016, 502 S., ISBN 978-3-643-13409-7, EUR 49,90.