Die Republik Finnland ist vermutlich Europas unbekanntestes Land, das aber den Kontinent immer wieder positiv überrascht. Finnland ist seit 1995 EU-Mitglied, aber EU-„Nettozahler“, wendet also mehr an Brüssel auf, als es von dort bekommt. Das Land liegt unter ständiger Bedrohung von Seiten Russlands, denkt aber an keinen NATO-Beitritt. Die finnische Sprache gehört zu den kompliziertesten in Europa, was aber den Bildungsgrad der Kinder eher fördert. Wie sonst konnte Finnland aus den PISA-Studien seit 2000 als „Modellfall“ hervorgehen? Finnland wurde 1939 von Stalins Sowjetunion überfallen, von dieser aber nicht besiegt. Im Zweiten Weltkrieg war Finnland zwar Hitlers Kriegspartner, aber nicht sein Verbündeter, geschweige denn sein Spießgeselle im Holocaust gegen die Juden. Gerade diese Umstände sind bei weitem nicht so bekannt, wie sie es sein sollten. Nicht zuletzt deshalb richtete 2009 in Tel Aviv das „Museum der jüdischen Diaspora“ eine Ausstellung zu knapp 200 Jahren „Geschichte der finnischen Juden“ aus, deren Gliederung partiell auch in die vorliegende Darstellung einging.
„Im Dienste der Zaren“
Seit dem späten 12. Jahrhundert gehörte Finnland zum Königreich Schweden, im „Nordischen Krieg“ (1697–1718) wurde es in großen Teilen von Russland erobert. Die vollständige Inbesitznahme erfolgte 1809, als die Russen Finnland in ein russisches „Großfürstentum“ (Velikoe knjažestvo Finljandskoe) umwandelten. Finnland genoss eine partielle Autonomie, Schwedens Verfassung und Rechtssystem behielten ihre Gültigkeit. Das galt nicht für die Juden, die keine Bürgerrechte genossen, aber ab ihrem 13. Lebensjahr Wehrdienst leisten mussten. So bestimmte es 1827 ein „Ukas“ von Zar Nikolaj I., mit dem das Institut der „Kantonisten“ entstand, eine militärische Spielart der dörflichen Leibeigenschaft, wo man sich hochdienen und den Wehrdienst von 25 Jahren bis auf sechs Jahre verkürzen konnte. 1858 erlaubte Zar Aleksandr II. den „Ausgedienten“, sich samt ihren Familien nach Belieben niederzulassen, auch im relativ liberalen Finnland, wohin „Kantonisten“ aus Nowgorod, Twer, Litauen etc. gingen, die später finnische jüdische Gemeinden gründeten. Offiziell war und blieb Finnland ein für Juden „verbotenes Land“ (Kielletty maa), wo sie auf Schritt und Tritt Behinderungen ausgesetzt waren: Juden durften sich nur in wenigen Städten niederlassen, nur wenige Handwerke ausüben, als Haupterwerbszweig wurden ihnen der Handel mit Altkleidern zugewiesen, sie durften keine Messen besuchen etc. Diese Vorschriften wurden durch immer neue „Zaren-Erlasse“ gemildert oder verschärft, so dass Juden in ständiger Unsicherheit lebten und sich nur mit der Gewissheit trösteten, dass die Lebensbedingungen für Juden in Russland noch weit schlimmer waren.
Die finnische Presse stand auf Seiten der Juden, deren Zahl langsam, aber stetig wuchs. Erste Zahlenangaben nannten 1870 500 Juden. Zum Ende des Jahrhunderts waren es schon 1.000, die keine Bürgerrechte besaßen, wie sie Juden im benachbarten Schweden längst hatten. Immerhin demonstrierten neuerbaute Synagogen (Helsinki 1906, Turku 1912) jüdische Präsenz im Land.
„Wir, die Juden Finnlands“
Ende 1917 proklamierte sich Finnland als „souveräne Republik“, die den Juden 1918 alle Bürgerrechte garantierte. Die Zahl der Juden stieg auf rund 2.000, zumal etwa 700 jüdische Flüchtlinge vor Lenins „Revolution“ nach Finnland kamen. Dagegen regte sich ein versteckter Antisemitismus, der im Grunde ein Antikommunismus war, da man die Juden als Hauptträger des Bolschewismus ansah. Finnland spürte die Auswirkungen der bolschewistischen Revolution ganz direkt, da ein kommunistischer Putsch den „Finnischen Bürgerkrieg“ (27. Januar bis 5. Mai 1918) auslöste, der auch „Befreiungskrieg“ heißt. Die alten russischen Garnisonen waren noch nicht völlig geräumt, im Lande wütete eine „finnische Rote Garde“, in der Stadt Viipuri (Viborg) amtierte eine „revolutionäre Regierung“. Das alles bereinigte der (spätere) Feldmarschall Gustav Mannerheim (1867–1951) auf radikale Weise. Der überzeugte Monarchist und ehemalige Zaren-Adjutant, der anfänglich kaum Finnisch sprach, wurde am 15. Januar 1918 Oberbefehlshaber der im Aufbau begriffenen finnischen Armee und machte kurzen Prozess mit Bolschewisten und ihren Kollaborateuren.
Das umkämpfte Viborg war auch Sitz einer größeren jüdischen Gemeinde, wie sie ähnlich in Helsinki, Turku und Tampere bestanden. Wie alle Bürger Finnlands unterstanden die Juden der Wehrpflicht, der sie bereitwillig nachkamen. Berühmt wurde ein Bild, das 16 Juden in finnischer Armeeuniform vor der Synagoge Helsinki zeigt. Die Juden, obschon überzeugte Anhänger des revisionistischen Zionismus, engagierten sich auch in paramilitärischen Verbänden Finnlands wie dem „Schutzkorps“, der „Bürgergarde“ und anderen. Generell gaben sich die Juden unpolitisch, was ihre problemlose Stellung in der finnischen Gesellschaft förderte. Seit dem „Gesetz über Personen jüdischen Glaubens“ vom 12. Januar 1918 konnten sie die finnische Staatsbürgerschaft erwerben oder wie ganz normale Ausländer behandelt werden. Das half 300 Juden, die in den 1930er Jahren aus Deutschland, Österreich oder der Tschechoslowakei nach Finnland geflüchtet waren.
„Im Krieg“
Die Diktatoren Stalin und Hitler schlossen am 23. August 1939 einen „Pakt“, der Finnland der sowjetischen Interessensphäre zuwies. Drei Monate später überfiel Stalin mit 800.000 Soldaten Finnland ohne formelle Kriegserklärung und unter Bruch des Nichtangriffspakts von 1932, weswegen die Sowjetunion Ende 1939 vom Völkerbund als „Aggressor“ geächtet wurde. Stalin wollte alle einst russisch okkupierten Gebiete in seine Sowjetunion einfügen, dabei durch Annexionen finnischen Gebiets das sowjetisch kontrollierte Umland Leningrad vergrößern. Er rechnete mit kurzer Dauer und großem Sieg, doch die kampfstarken, winterharten Finnen wehrten sich so, dass Moskau Mitte März 1940 in einen glanzlosen Frieden einwilligen musste. Für die Finnen blieb der hart genug: Finnland büßte 12 Prozent seines Territoriums ein, Westverschiebung seiner Staatsgrenze in Karelien um 130 km etc. Die Rote Armee war den Finnen an Soldaten dreifach, an Waffen zehnfach überlegen, erlitt aber enorme Verluste: 150.000 Gefallene und 325.000 Verwundete (gegenüber 21.000 bzw. 44.000 bei Finnland). Nur 30 Panzer besaßen die Finnen, vernichteten aber knapp 2.000 sowjetische, vorwiegend mit 550.000 todbringenden Brandflaschen, die sie in boshafter Anspielung auf Stalins Premier und Außenminister „Molotovin cocktail“ nannten: Molotow-Cocktail.
Der Winterkrieg endete am 13. März 1940 mit dem erwähnten „Friedensvertrag“. Finnland konnte seine staatliche Unabhängigkeit bewahren und startete ab Ende Juni 1941 im Gefolge von Hitlers „Feldzug“ gegen die Sowjetunion seinen „Fortsetzungskrieg“ gegen denselben Gegner. Denn laut Juho Paasikivi (1870–1956), finnischer Botschafter in Moskau, ab 1946 Staatspräsident, das Sowjetsystem war „tausend Mal schlimmer“ als Hitlers Regime. Diese Überzeugung teilten auch die finnischen Juden, von denen 350 in der Armee kämpften, also nahezu alle jüdischen Männer im „Einberufungsalter“. Hinzu kamen jüdische Freiwillige aus Schweden, Norwegen und Dänemark, mit denen man sich problemlos auf Jiddisch verständigte.
Finnland war nicht wie Dänemark und Norwegen von Deutschland besetzt, auch kein Verbündeter Deutschlands, sondern „Cobelligerent“, also ein informeller Waffenpartner gegen einen gemeinsamen Feind. Das wurde es nur, nachdem die Deutschen seinen zwei Bedingungen zustimmte: 1. Finnlands Unabhängigkeit wird garantiert, 2. die finnisch-sowjetische Grenze wird auf den Verlauf von 1939 zurückverlegt. Diese Begründung für ihren Kriegseintritt konnten die Finnen sogar den USA in Geheimverhandlungen verständlich machen. Am 30. Juni 1941 griff die finnische Armee die Sowjets an, bis August hatte sie alle im Winterkrieg verlorenen Territorien zurückerobert, wie es Marschall Mannerheim der Armee als Hauptaufgabe auferlegt hatte. Von da mühten sich die Finnen, durch kriegerische Passivität – von Ende 1941 bis Sommer 1944 gab es keine Bewegung an der finnisch-sowjetischen Front -, ihre Distanz zu Deutschland zu demonstrieren: Nichtbeteiligung an der deutschen Belagerung Leningrads, keine Störung der Versorgung des belagerten Leningrads über den „Weg des Lebens“ und des alliierten Nachschubs über Murmansk.
Juden, Finnen, Deutsche
Wichtiger noch war, dass Finnland „weltanschaulich“ ein gewichtiger Gegner Hitlers war. Das Land kannte keinen Rassismus nach nationalsozialistischer Art, was nationale Loyalität schuf, wie Leutnant Max Jakobson (*1923), nach dem Krieg Vizeaußenminister und UN-Vertreter Finnlands, bekundete: „In der jüdischen Gemeinde Finnlands wurde kein offizieller Beschluss zur Kriegsbeteiligung gefasst. Die Juden reagierten auf die Ereignisse exakt so wie die Finnen“.
Oberbefehlshaber Mannerheim (Bild) hatte Hitler die Niederlage im Krieg prophezeit, als dieser zu seinem 75. Geburtstag angereist war, und generell verfügte er: „Aus meiner Armee wird kein einziger jüdischer Soldat an Deutschland ausgeliefert, nur über meine Leiche“. Im Sommer 1942 war SS-Führer Himmler in Finnland, um die Auslieferung von Juden zu fordern, worauf er eine Abfuhr von Premier Jukka Rangell erhielt: „Finnlands Juden sind Staatsbürger wie alle anderen. In Finnland gibt es keine Judenfrage“. Details erkundete die russische Ethnologin Natal’ja Šlygina: Im Winter- wie im Fortsetzungskrieg dienten Juden in der Armee, davon 200 an der Front, wo 23 den Tod fanden, oder mehr, da z. B. die jüdische Gemeinde von Helsinki 9 Prozent ihrer 1.200 Mitglieder verlor.
An allen Erfolgen hatten jüdische Soldaten großen Anteil, beflügelt von einem Geist, an den sich Hauptmann Iosif Levkovič noch Jahrzehnte später erinnerte: „Wir kämpften für unsere Freiheit und Menschenwürde zu einer Zeit, da unsere wehrlosen Glaubensbrüder in den benachbarten Nordländern und in ganz Europa ausgerottet wurden“. Es klingt blasphemisch, aber die finnischen Juden begriffen den Krieg als Chance, und in dem von Levkovič genannten Sinne war er ja auch eine. Wer konnte, nahm am Krieg teil – die vier Brüder Blankett, die vier Brüder Hiršovic, die Krankenschwester Dina Poljakoff und ihr Bruder Hauptmann Miko (Bild) etc.
Zu den „Legendes“ des Verteidigungskampfes zählte Hauptmann Salomon Klass (1907–1985, Bild), vor dem Krieg Kommandeur im „Schutzkorps“ und Leiter der finnischen Filiale des „Brit Ha-Hayal“, eines 1931 in Polen gegründeten jüdischen Veteranenverbands, der 1939 weltweit 25.000 Mitglieder zählte. Klass hatte 1935–1939 in Israel die jüdischen Verteidiger gegen arabische Terroristen und ihre britischen „Masters“ unterstützt – so wirkungsvoll, dass ihn die Soldaten „Schrecken Palästinas“ nannten. Zu Beginn des finnisch-russischen Winterkriegs verhalf vor allem sein taktisches Geschick, im nördlichen Gebiet von Suamussalmi der 163. sowjetischen Division eine schwere Niederlage zuzufügen. Später war er erfolgreich am südlichen Ladogasee aktiv, konnte aber nicht verhindern, dass dieser größte See Europas bei Kriegsende in sowjetische Hände fiel.
In diesem Krieg waren unglaubliche Dinge an der Tagesordnung. Oder kann sich jemand vorstellen, dass an der deutschen Front Feldsynagogen bestanden? In den finnischen Abschnitten gab es sie! Oder dass jüdische Soldaten für deutsche Kriegsauszeichnungen vorgeschlagen waren? So geschah es mit Hauptmann Klass, Krankenschwester Poljakoff und anderen, unter ihnen Major Leo „Loli“ Skurnik (1907–1976, Bild). Skurnik ein Feldarzt, der 1941 an der finnisch-sowjetischen Grenze ein Feldlazarett mit 600 Verletzten durch rasche Evakuierung vor den angreifenden Rotarmisten rettete. Skurnik wusste, dass das Gros der Geretteten deutsche SS-Männer waren – die Deutschen wussten, dass Skurnik Jude war. Dennoch wollten sie ihn mit dem Eisernen Kreuz dekorieren, was dieser mit stolzem Hinweis auf sein Judentum ablehnte, wie es auch Klass und Poljakoff taten.
Im November 1942 beging die finnische Regierung im Umgang mit Juden einen schrecklichen Fehler: Sie ließ acht jüdische Flüchtlinge aus Österreich – Georg Kolman, Franz Ulof Kolman, dessen Mutter, Hans Eduard Szubilski, Henrich Jupper, Kurt Jupper, Hans Martin und Robert Korn – an die Deutschen ausliefern, die sie umgehend im KZ Auschwitz töteten. Das löste einen Sturm der Empörung in der finnischen Gesellschaft aus, einige Minister traten zurück, das Episkopat der Lutherischen Kirche, der fast alle Finnen angehörten, protestierte, desgleichen die Sozialdemokratische Partei. Das Ereignis von 1942 wiederholte sich nicht, vielmehr schickten im Frühjahr 1944 die finnischen Behörden 160 jüdische Flüchtlinge, die keine finnische Staatsbürgerschaft besaßen, ins neutrale Schweden. Noch im Jahre 2000 bat der finnische Premier Paavo Lipponen die Juden offiziell um Verzeihung wegen der Auslieferungen 1942. Schon 1971 hatten junge Finnen, die in Israel arbeiteten, am Stadtrand Jerusalems die Siedlung Jad-Hashmona („Mahnmal der Acht“) gebaut, die an den Vorfall von 1942 erinnerte.
Kriegsende
Finnland sah sich zu Kriegsbeginn gut gerüstet, hatte Ende Sommer 1941 650.000 Soldaten aufgestellt, knapp 18 Prozent der 3,7 Millionen Einwohner, ein „Weltrekord“ in der internationalen Kriegsgeschichte. Darunter litten Wirtschaft und Beschäftigung, weswegen ab Herbst 1941 Soldaten demobilisiert wurden und Finnland 1943 nur noch 320.000 hatte. Das Land glaubte sich, so Ende 1941 sein Militärattaché in Washington, mit seinem „Sonderkrieg“ auf gutem Wege zu einem „Sonderfrieden“. Erst im Sommer 1944 griff die Rote Armee in Karelien wieder an, im August übergab der zum Staatspräsidenten gewählte Mannerheim über die Sowjetbotschaft in Stockholm ein Friedensangebot. Schäbiger Bittsteller war man nicht, hatte vielmehr der Roten Armee in der Schlacht von Tali-Ihantala (25. Juni bis 9. Juli 1944) die schwerste Niederlage des „Fortsetzungskriegs“ zugefügt (ca. 18.000 Gefallene, 300 Panzer und 280 Flugzeuge abgeschossen).
Die sowjetischen Bedingungen für die Feuereinstellung waren mit England und den USA abgestimmt: Sofortiger Bruch mit Deutschland, Rückzug der deutschen Truppen bis zum 15. September. Am 4. September stellten die Finnen die Kampfhandlungen ein, die Sowjets erst am Tag danach wegen „bürokratischer Hemmnisse“. Am 19. September signierten in Moskau Finnland, die Sowjetunion und England ein Waffenstillstandsabkommen, das für Sowjet-Usancen relativ „milde“ ausfiel: Rückkehr zum territorialen Status von 1940, Abtretung weiterer Gebiete, ungehinderter Transit der Roten Armee durch Finnland, 300 Millionen US-Dollar Reparationen. Schwierigkeiten ergaben sich beim Rückzug der 200.000 Deutschen, wofür die vorgesehene Zeit nicht ausreichte. Um den Sowjets keinen Vorwand zu liefern, den Waffenstillstand nicht einzuhalten, starteten die Finnen ihren „Lapplandkrieg“ gegen Deutsche, der sich bis Ende April 1945 hinzog. Dennoch hatte Finnland den Krieg acht Monate eher als Deutschland beenden können. Der endgültige Friedensvertrag mit ihm wurde am 10. Februar 1947 in Paris unterzeichnet.
„Mit Israel“
Bis 1947 sollen Immigranten in Israel als „Verräter“ gegolten haben, weil sie angeblich im Krieg mit den Deutschen kollaboriert hätten. Der Staat Israel entstand gemäß einem UN-Teilungsplan für „Palästina“, über den am 29. November 1947 von den Vereinten Nationen abgestimmt wurde. Unter den 33 Befürwortern des Plans war die Sowjetunion sowie ihre Satelliten Ukraine und Weißrussland. Finnland fehlte, da es erst am 14. Dezember 1955 den UN beitrat. Da stand Finnland längst auf Seiten Israels, wie die jungen Juden aus Finnland bezeugten, die den Unabhängigkeitskampf des Judenstaats unterstützten (Bild). Offiziell verfolgte Finnland eine strikte Neutralitätspolitik, die die Sowjetunion in ihrem Sinne auslegte. Sie nutzten den 1948 mit Finnland geschlossenen „Freundschaftsvertrag“ zu einer Knebelung des Landes, für die 1966 der deutsche Politologe Richard Löwenthal den Begriff „Finnlandisierung“ prägte.
In Israel waren nicht wenige finnische Juden aktiv, beispielsweise die Weltkriegsheldin Dina Poljakoff, die dort 2005 im Alter von 86 Jahren verstarb. Nach den Nahostkriegen folgte ein israelisch-finnischer Austausch von Jugendgruppen, Künstlern, Musikern etc., was alles ein ungetrübtes Verhältnis bezeugte. Die Nagelprobe kam 1973, als sich Israel erfolgreich gegen Attacken islamischer Terroristen wehrte, die per Schiff den Gazastreifen annektieren wollten. Als ihnen das misslang, gab es weltweit wüste Demonstrationen in aggressivem Antisemitismus. Zu den wenigen Ausnahmen zählte Finnland, wo man für Israel demonstrierte (Bild), wie der russische Fotoreporter Stas Voronin im Bilde festhielt:
Vermutlich haben manche Juden den Rückweg von Israel nach Finnland gewählt, wo gegenwärtig 1.500 Juden leben dürften, 1.200 in Helsinki, 200 in Turku, 50 in Tampere. Sie weisen eine interessante sprachliche Entwicklung auf, wie Natal’ja Šlygina dokumentierte. Die ersten jüdischen Einwanderer, die erwähnten „Kantonisten“, sprachen Jiddisch und Russisch. Das verlor sich mit jeder Generation immer mehr und wurde durch Schwedisch ersetzt, das z. B. in der 1893 eröffneten ersten jüdischen Grundschule Unterrichtssprache war. Daneben wurde „Ivrit“, das moderne Hebräisch, gelehrt. Zwar wurden Schweden und Schwedisch per Gesetz von 1922 zweites Staatsvolk und zweite Staatssprache, aber aus rein praktische Gründen entschieden sich immer mehr Juden für Finnisch.
Dagegen opponieren die im Land ansässigen Russen, laut amtlicher Schätzung von 2012 60.000 Menschen. Es handelt sich um Zuzügler, die bis 1920 oder nach 1990 eintrafen, also so gut wie keine aus Sowjetzeiten. Sie leben kompakt und fordern für ihre Gemeinschaften die Einführung des Russischen anstelle von Schwedisch. Solche Impertinenz erklärt, warum in Finnland eine eskalierende „Russophobie“ aufkommt. Dazu trägt auch die russische Annexion der Halbinsel Krim bei, die die Finnen an Stalins Umgang mit ihrem Land erinnert.
Autor: Wolf Oschlies
Literatur (Auswahl)
Gabelija, Marija: Rusofobija v Finljandii: pravda ili mif? (Russophobie in Finnland: Wahrheit oder Mythos? In: Finland.ru 12.7.2016
Kendall, Paul: The Jews who fought for Hitler: We did not help the Germans. We had a common enemy, in: The Telegraph 9.3.2014
Kovalenskij; Jakov: Kak živut evrei v finljandii (Wie Juden in Finnland leben), in: Alef (Internationale jüdische Monatsschrift) 11.11.2011
Oschlies, Wolf: Finnlands „Sonderkrieg“ im Weltkrieg, in: Preußische Allgemeine Zeitung Nr. 25, 25.6.2016, S.11
Reichel, Klaus: An Hitlers Seite, in: Zeit online 1.3.2006
Šlygina, Natal’ja: Tradicionnye men’šinstva Finljandii: formirovanie I sovremennyj status (Traditionelle Minderheiten Finnlands: Entstehung und gegenwärtiger Status), in: Issledovanija po prikladnoj i neotložnoj ėtnologii Nr. 221/ 2010 (Moskau)
Zaslavskaja, Anna: „My, everei Finljandii…“ (Wir, die Juden Finnlands), in: Jewish.Ru 1.10.2009