Am 22. Juni wird auch dieses Jahr wieder ein Medienpreis im Namen von Herbert Quandt verliehen, für dessen Unternehmen während des NS-Regimes zahllose Zwangsarbeiter starben. Dass sich daran kaum jemand stört, ist ein Beispiel für die Gratwanderung deutscher Familienunternehmen zwischen Aufarbeitung und Ablasshandel.
Familienunternehmen brauchen im Vergleich zu anderen Konzernen oft länger und sind mit mehr internen Widerständen konfrontiert, was die Aufarbeitung der eigenen Rolle während des Dritten Reiches angeht. Denn während nicht-familiengeführte Betriebe ihre Führungsetage nach dem Krieg entnazifizieren konnten, war das aufgrund der patriarchalen Strukturen in Familienunternehmen nicht so einfach möglich oder gewünscht – ist doch gerade personelle Kontinuität das, was ein familiär geführtes Unternehmen ausmacht. Innerfamiliäre Loyalitäten und der Versuch, die Angehörigen und das eigene Erbe zu schützen und entlasten, tun ihr Übriges. Deshalb dauert es gerade bei Familienbetrieben oft über die dritte Generation hinaus, bis eine Öffnung, Nachforschung und Konfrontation mit der Vergangenheit stattfindet. Und selbst dann scheint sie oft eher als „Schlussstrich“ zu dienen, denn als Prozess der Neuorientierung und Hinterfragung. Wie sonst könnte man erklären, dass die Unternehmerfamilie Quandt jedes Jahr einen Medienpreis im Namen eines NS-Verbrechers verleiht – und niemand sich daran stört?
Die Mühlen der Entschädigung mahlen langsam
Wo die einen viel Zeit brauchen, rennt sie den anderen davon: Viele der früheren Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen waren und sind von existenzbedrohender Altersarmut betroffen, besonders in Osteuropa. Der deutsche Staat und deutsche Unternehmen leisteten erst ab Ende der 90er Jahre Entschädigungszahlungen, ausgelöst durch eine Klagewelle von US-Anwälten. Über die zu diesem Zweck gegründete Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (evz) wurden 4,4 Milliarden Euro an 1,66 Millionen ehemalige ZwangsarbeiterInnen weltweit ausgezahlt. In den Fonds zahlten die Bundesregierung und Unternehmen ein, wobei trotz der Mitgliederanzahl von ca. 6500 Betrieben die Geldbeträge nur sehr langsam und größtenteils unzureichend eintrafen [1]. So war die Auszahlung der Fonds-Beträge erst 2007 abgeschlossen – für viele Betroffene kam die Entschädigungszahlung damit zu spät, ganze Gruppen an Betroffenen gingen dabei ohnehin leer aus [2].
Ablasshandel statt Aufarbeitung?
Neben dem finanziellen Aspekt bleibt die historische Aufarbeitung: Ein Großteil der deutschen Familienunternehmen hat inzwischen seine Archive für unabhängige Forscher geöffnet und die eigene Historie aufarbeiten lassen. Das geschieht allerdings meist nicht ganz freiwillig – oft ist öffentlicher Druck der Auslöser für solche Nachforschungen. Und dass selbst eine umfassende, neutrale Aufarbeitung nicht alle blinden Flecken tilgt, zeigt beispielhaft die Familie Quandt: Die Unternehmerfamilie ist heute Großaktionär von BMW, während des Dritten Reiches gehörte ihr u.a. die Batteriefabrik AFA. Für diese mussten im betriebseigenen KZ Hannover-Stöcken Häftlinge ohne Schutzkleidung und unter härtesten Bedingungen arbeiten – viele starben an Schwermetallvergiftungen und den unmenschlichen Lebensbedingungen. Herbert Quandt, der damalige Personalchef und Sohn des Geschäftsführers Günther Quandt, rechnete dabei mit 80 Personen „Fluktuation“ pro Monat – also 80 Todesfällen, die sogenannte „Vernichtung durch Arbeit“. Über verschiedene Fabriken und Orte verteilt waren insgesamt knapp 60.000 Zwangsarbeiter für die Quandt-Unternehmen im Einsatz, die Überlebenden litten bis zu ihrem Tod an schweren körperlichen und psychischen Folgen. Herbert Quandt plante bei Kriegsende gerade das nächste betriebseigene Konzentrationslager [3]. Später leitete er das Nachfolgeunternehmen Varta, das alle Forderungen nach Entschädigungen oder Entschuldigungen rigoros abwies. Eine öffentliche Aufarbeitung der Familien- und Unternehmensgeschichte fand erst statt, nachdem 2007 die TV-Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“ die Verstrickungen aufdeckte. Heute fördert die Familie zum Beispiel das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide und hat öffentlich ihr Bedauern über die jahrzehntelange Leugnung ausgedrückt. Außerdem war BMW Gründungsmitglied der Stiftung evz. Opferverbände beklagen allerdings, dass finanzielle wie historische Aufarbeitung oft eher dem Zweck dient, vor unliebsamen Enthüllungen und Zahlungsforderungen sicher zu sein und zur reinen Imagepflege dient.
Ein Preis im Namen von Herbert Quandt
So offensichtlich auch bei den Quandts: Seit 1986 verleiht die Johanna-Quandt-Stiftung jährlich den Herbert Quandt-Medienpreis für Wirtschafts-Journalismus, dotiert mit 50.000 €. Daran nimmt trotz allem, was man heute über den Namensgeber weiß, kaum jemand Anstoß. „Wenn man sein Lebenswerk sieht, denke ich nach wie vor, dass man zu einem Gesamtbild kommt, das es rechtfertigt, einen Herbert Quandt Medien-Preis zu verleihen“, so sein Sohn Stefan Quandt in einem ZEIT-Interview. Das scheinen auch die meisten der Preisträger, wie zum Beispiel das Süddeutsche Zeitung Magazin, das Handelsblatt, der Spiegel, die ZEIT oder das ZDF ähnlich zu sehen. Während auch dieses Jahr am 22. Juni, dem Geburtstag des Namensgebers, wieder der Herbert Quandt-Preis verliehen und entgegengenommen wird, fällt der Schatten der Tradition immer noch vor allem auf die Opfer.
Autorin: Eva Hasel
Literatur
Borggräfe, Henning: Zwangsarbeiterentschädigung: Vom Streit um „vergessene Opfer“ zur Selbstaussöhnung der Deutschen. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. S. 415f.
www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/227273/der-lange-weg-zur-entschaedigung
www.mediummagazin.de/archiv/2008-2/07_08/quandt-preis-mit-anmerkungen/
Scholtyseck, Joachim: Der Aufstieg der Quandts: Eine deutsche Unternehmerdynastie. C.H. Beck, München 2011
www.wiwo.de/unternehmen/auto/nachruf-vorreiter-im-umgang-mit-der-ns-vergangenheit/12155764-2.html
www.zeit.de/2011/39/Interview-Quandt
Anmerkungen
[1]Borggräfe, Henning: Zwangsarbeiterentschädigung: Vom Streit um „vergessene Opfer“ zur Selbstaussöhnung der Deutschen. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. S. 415f.
[2]https://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ns-zwangsarbeit/227273/der-lange-weg-zur-entschaedigung
[3]https://www.wiwo.de/unternehmen/auto/nachruf-vorreiter-im-umgang-mit-der-ns-vergangenheit/12155764-2.html