Die Ausstellung Eskalation der Gewalt. Blutmai 1929 im Mitte Museum
Im Mai 1929, am Vorabend der Weltwirtschaftskrise und zehn Jahre nach der Revolution von 1918/1919, kam es in den Berliner Arbeitervierteln zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen der sozialdemokratisch geführten Polizei und demonstrierenden Kommunisten. Auslöser war das Verbot von Straßendemonstrationen gewesen, das der Berliner Polizeipräsident im Dezember 1928 verhängt hatte. Doch die KPD wollte sich am Ersten Mai die Straße nicht nehmen lassen. Am Ende wurden 32 Menschen getötet, 250 verletzt.
Die schweren Auseinandersetzungen im Wedding und in Neukölln resultierten aus der Spaltung der Arbeiterbewegung nach Rosa Luxemburgs Ermordung, und vertieften sie in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Für die Kabinettausstellung „Eskalation der Gewalt. Blutmai 1929“ im Mitte Museum am Gesundbrunnen wurden jetzt einige selten gezeigte Objekte und Dokumente zusammengetragen, wie etwa eine zeitgenössische Rotfrontkämpferbund-Uniform, Ehrenzeichen und Waffen. Die Ausstellungsmacher versuchen zu rekonstruieren, wie im Mai 1929 die Gewalt eskalierte und wer die Akteure, Profiteure und die Opfer des Geschehens waren, geben aber zugleich zu, keine neuen Erkenntnisse zur politischen Verantwortung oder der Zuordnung tödlicher Schüsse liefern zu können.
Im „Roten Wedding“ erhielt die KPD in den Reichstagswahlen der Weimarer Republik bis zu 47 % der Stimmen, die besten Ergebnisse, die Kommunisten in Deutschland je in freien Wahlen erreichten (abgesehen von den 48,9 % Erststimmen, mit denen Gregor Gysi 1998 sein Bundestagsdirektmandat Hellersdorf-Marzahn holte – aber war der überhaupt noch Kommunist?). Nach dem Blutmai stalinisierte sich die KPD freiwillig im berüchtigten „Weddinger Parteitag“. Es folgten Abwehrkämpfe gegen die Nazis, die in den Arbeitervierteln Eckkneipen zu „Sturmlokalen“ ihrer SA umfunktionierten. Doch die KPD in der Weimarer Republik war ein Scheinriese gewesen, selbst in ihrer Hochburg Wedding. Lautstarke Propaganda, Verbalradikalismus und viele Wählerstimmen auf der Habenseite, weniger offensichtlich waren jedoch die Defizite: Hohe Fluktuation der Mitglieder, Überalterung der Kader, wenig Einfluss in den Betrieben und Gewerkschaften, weil kaum noch ein KPD-Mitglied Arbeit hatte. Und der klandestine Parteigeheimdienst namens „M-Apparat“ hatte weder nennenswerten Zugriff auf moderne Bewaffnung, noch ausreichend Sympathisanten bei Polizei, Justizbehörden und Reichswehr. Die Ereignisse zwischen dem ersten und dritten Mai 1929 zeigten gnadenlos die gesellschaftliche Isolation der Kommunisten und die militärische Überlegenheit der Polizei. Die über das Stadtgebiet verteilten Demonstrationszüge konnten rasch zerschlagen werden. Ein Aufklärungsflugzeug mit Telefoneinrichtung kreiste über der Stadt, die Beamten setzten Pistolen, Karabiner und tragbare Scheinwerfer ein. Am Ende konnte die Berliner Polizei den Vorgang als gelungene Bürgerkriegsübung verbuchen, entsprechende Artikel lassen sich im Fachblatt Die Polizei nachlesen. Weil die Kommunisten allein standen, keine sozialdemokratischen oder gewerkschaftlichen Bündnispartner hatten, legte die Polizei eine Hemmungslosigkeit an den Tag, die an das Vorgehen der Freikorps 1918/19 erinnert. So wurde am ersten Mai um 10.30 Uhr eine Demonstration in der Kösliner Straße aufgelöst, indem die Beamten 80-100 Schüsse abgaben, später wurden einzelne Demonstranten durch Schüsse aus Nahdistanz ins Gesicht oder in den Kopf regelrecht hingerichtet. Auch Kommunisten sollen bewaffnet gewesen sein. In der Ausstellung wird ein deformiertes Kupfermantelgeschoss, Fundstück aus einer Weddinger Wohnung, mit der Erklärung präsentiert, dies könne kein Polizeigeschoss gewesen sein, weil diese Munition von den Beamten nicht mehr benutzt worden sei – „offiziell“ vielleicht nicht mehr, aber wie viele private Zweitwaffen waren wohl im Einsatz? Denn gleich daneben sieht man die „Offiziersdienstpistole 08“, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in einer Stückzahl von ca. einer Million in Privatbesitz befand. Alle Opfer der dreitägigen Unruhen waren Kommunisten oder Passanten, kein Polizist war darunter. Die Führung der KPD hatte ihre Anhänger in eine aussichtslose Auseinandersetzung geschickt, später sprachen Funktionäre hochachtungsvoll von „30 aktiven Kämpfern“, die die ganze Polizei in Schach gehalten hätten. Eine winzige Schar. In der Rückschau wirken die Mai-Unruhen wie eine Generalprobe für 1933. Ein isolierter Aufstand der Kommunisten gegen Hitler wäre ähnlich ausgegangen, mancher Arbeiter und mancher Parteigenosse mag dies schon damals geahnt haben.
Die Ausstellungsmacher nähern sich dem Thema übervorsichtig, sie sprechen von „jungen, überforderten Polizebeamten“, die in Stresssituationen geschossen hätten, und von unverantwortlichen Agents provocateurs aus den Reihen der Kommunisten. Sie verstecken das historische Ereignis, das doch eine eindeutige Aggression gegen die Berliner Arbeiterbewegung war, unter dicken Schichten ausgleichender Objektivität – aber was will man bei einer von der SPD dominierten Bezirksverwaltung, die Museum und Sonderausstellung finanziert, auch anderes erwarten.
Was blieb vom Roten Wedding, was erbte der heutige Bezirk davon? Das „Dritte Reich“ verfolgte die Kommunisten, der Mauerbau diskreditierte sie. Die berüchtigten Mietskasernen wie Meyers Hof oder die Blöcke in der Kösliner Straße wichen der Flächensanierung, und man wählte die nächsten vierzig Jahre wieder SPD. Die Kommunisten und ihre Wohnquartiere waren verschwunden, doch nun verschwand auch die Industrie, allein der Pharmakonzern Schering (heute Bayer) hielt die Stellung. Inzwischen sind auch die Arbeiter weggezogen oder verrentet. Statt 300.000 leben heute noch etwa 160.000 Menschen im Wedding, eine multiethnische Einwohnerschaft mit viel Fluktuation.
Der Ausstellungsort, der vormalige „Rote Wedding“ und soziale Brennpunkt des heutigen Berlins, wirft die Frage auf, inwieweit die gewaltsame Eskalation politischen Protests auch heute denkbar ist, im Blick auf Finanzkrise, Rezession, Schrumpfen der Volksparteien. Drohen Weimarer Verhältnisse, Erdrutschsiege von Extremisten, steht uns gar ein „Aufstand der Unterschicht“ bevor, wie alarmistische Buchtitel weismachen wollten? Wenn, so würde man vermuten, dann am ehesten im Wedding, doch von politischer Radikalisierung findet sich heute keine Spur. Im Vergleich zu den „Weimarer Verhältnissen“ wird klar: Es fehlt heute das politische Subjekt, das Kollektiv einer gewachsenen Nachbarschaft von Arbeiterfamilien, das dichte Netz aus Partei und Gewerkschaft, aus Arbeitergesangsverein und Eckkneipe, das das kommunistische Milieu einst zusammenhielt. Derzeit bemühen sich sogenannte Quartiersmanagements durch soziokulturelle Programme etwas wie Nachbarschaft erst mühsam herzustellen, weniger um zu politisieren, sondern um das ignorante Nebeneinander der ethnischen Milieus zu überwinden.
Autor: Christian Saehrendt
Eskalation der Gewalt. Blutmai 1929
Mitte-Museum am Gesundbrunnen
Pankstr. 47
Di-So 13.00 – 17.00 Uhr
bis 28. Februar 2010