In der Geschichte ist es vielfach so, das politisches Ereignisse nicht isoliert von historischen Vorläufern zu bewerten sind. Sozusagen – alles hat eine Vor-Geschichte. Um wirklich zu verstehen, muss man tiefer graben um zu ergründen: Wie konnte das passieren, wie ist was passiert? Denn: Nichts ist ohne Ursache, nichts ist ohne Wirkung. So verhält es sich auch mit dem 13. August des Jahres 1961, den es so ohne die Hitler-Herrschaft und den 2. Weltkrieg nicht gegeben hätte. Lassen wir uns hier darauf ein und holen die Schaufel raus…
Schon aus der Frühgeschichte der DDR ist eine Protestnote des Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission, dem Marschall Tschuikow, an den Hohen Kommissar der USA in Deutschland, Donelly bekannt. In diesem Papier vom 1. Oktober 1952 stellte der Marschall fest: Westberlin sei zu einem Treibhaus von Spionage,- Diversions- und terroristischer Aktivität gegen die DDR geworden.
Jahre später: Am 8. Juli 1961 forderte die CDU in einer Grundsatzentschließung „die Einverleibung der Sowjetzone in das NATO-Bündnis. Mitte Juli 1961 kündigt Kanzler Adenauer auf einer CDU-Tagung in Köln an , die Abwerbung von Arbeitskräften und Fachleuten aus der DDR zu verstärken und die dafür einsetzbaren Finanzmittel zu erhöhen. Lassen wir Zahlen sprechen. Betrugen die Flüchtlingszahlen 1959 143.000, so betrugen sie 1960 199.000 und allein im April 1961 waren es schon 30.000 Menschen, die der DDR davonliefen (siehe Prof. Hermann Weber in „DDR Grundriß der Geschichte 1945-1990). Insgesamt sollen zwischen 1949 und 1961 über 2,6 Millionen Menschen, die DDR fluchtartig verlassen haben. Die Professoren Fritz Baade und Hans Apel schätzten übereinstimmend ein, das der DDR durch Republikflucht und Abwerbung Schäden in Höhe von ca. 100 Milliarden DM entstanden waren. Zum Vergleich, das Nationaleinkommen der DDR betrug 1961 76 Milliarden Mark. Hier keimt aber die kritische Frage auf, was die DDR für viele ihrer Bürger zu einem Land zum davonlaufen machte? Fehlte es dem Haus des Arbeiter und Bauern Staates doch an Farbe, so dass tatsächlich die Grautöne überwogen? Zogen jene ´gen Westen aus, weil sie in ihm Spiel- und Freiräume vermissten oder weil ihnen die Hausordnung zu streng war? Zeitsprung zurück:
Der Oberbefehlshaber der NATO-Landstreitkräfte Mitteleuropa, General Dr. Hans Speidel unternahm am 9. August 1961 eine Inspektionsreise zu an der DDR-Grenze stationierten Bundeswehr-Einheiten.Wochen zuvor, am 30. Juni erfuhren die Leser der Neuen Züricher Zeitung von General Adolf Heusinger, das sieben Divisionen bereit stünden, um gegen die DDR unverzüglich jede Mission auszuführen. Jede Mission…? Beide Militärblöcke führten vom Frühsommer bis zum Herbst 1961 sogenannte „militärische Demonstrativhandlungen“ durch.Vom 23. bis zum 30. Mai befehligte Marschall Gretschko eine Kommandostabsübung. In Moskau trat vom 3. bis zum 5. August der Politisch Beratende Ausschuß des Warschauer Vertrages zusammen. Am Ende der Konferenz verabschiedeten die teilnehmenden Parteichefs ein Kommuniqué, das am 13. August veröffentlicht wurde. Darin sprachen die Unterzeichner davon an der Westberliner Grenze eine solche Ordnung einzuführen, durch die der Wühltätigkeit gegen die Länder des sozialistischen Lagers zuverlässig der Weg verlegt werde. Soweit einiges, was die damalige Situation illustrieren sollte. Wie die Baumeister des Sozialismus in der DDR nun reagierten ist bekannt. Am 13. August 1961 nahmen die SED-Mächtigen die Sicherung der Staatsgrenze in Angriff. Entgegen der 2 Monate zuvor auf einer Pressekonferenz von Walter Ulbricht dementierten Absicht, eine Mauer zu bauen, wurde sie an diesem Tage doch gebaut. Es war ein politischer Akt von großer Tragweite, der folgenreich und schicksalsschwer war. Fakt ist doch, diese politisch motivierte Baumaßnahme hat brutal in Leben eingegriffen, Leben zerstört oder gar genommen. Familien wurden getrennt, einige wieder mühsam zusammengeführt. Bezeichnend: Vor FDJ-Funktionären sagte Ulbricht: „Manche sagen, Deutsche können nicht auf Deutsche schießen. Auf die Deutschen, die den Imperialismus vertreten, werden wir, wenn sie frech werden, schießen“. Und so starben allein im ersten Mauer-Jahr 50 Menschen. In einem war die Mauer wirklich grenzüberschreitend – bei ihren Opfern. Stellvertretend: Ida Siekmann, die am 22. August 1961in der Bernauer Straße aus dem Fenster sprang und starb. Der erste Grenzsoldat der sein Leben verlor war am 18. April 1962 Jörgen Schmidtchen. Und der Westberliner Dieter Bellig wurde am 2. Oktober 1971 im Grenzgebiet erschossen. Vielleicht auch in der Auseinandersetzung mit anderen historische Daten denkbar: Betrachten wir den 13. August 1961 doch mal aus der jeweils unterschiedlichen Machtperspektive: Denen, die die Macht hatten. Denen die ihr gehorchten. Aber auch: Denen, die sich ihr verweigerten und schließlich denen, die sich mit ihr arrangierten. Die Auswertung dieser unterschiedlichen Macht-Erfahrungen könnte spannend werden. Zeichnete man ein Bild davon, man käme garantiert nicht nur mit schwarz-weiß aus.
Der Publizist Sebastian Haffner fand in einer Ausgabe des „stern“ (November 1964) folgende Worte. „Der 13. August war die dritte – Gott sei Dank unblutige – Niederlage einer deutschen Politik die Deutschlands Situation durch Druck, Zwang und kalten Krieg, in der letzten Konsequenz notfalls auch durch einen wirklichen Krieg, zu verbessern hoffte.“. Und später: „Adenauer war seit dem 13. August 1961 ein gescheiterter Politiker, nicht weniger als vor im Wilhelm II. und Hitler“. Als gescheiterter Politiker dürfte auch Erich Honecker gelten: Im 12. Jahr des Bestehens der DDR leitete er als Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates den Bau der Mauer. 28 Jahre sollte sie stehen, ehe sie am 9. November 1989 fiel. Mit ihrem Fall begann sich die DDR, die der „grüne, unreife Kommunist“ (so Ulbricht 1970 über Honecker) mit aufgebaut und maßgeblich geprägt hat, rasend schnell von der politischen Weltkarte zu lösen. Sie wurde zum Abziehbild. Deutlich macht dieses Scheitern auch folgende Episode, die sich am Vortag der Ablösung Honecker´s als SED-Generalsekretär zugetragen haben soll und die sein „wendiger“ Nachfolger Egon Krenz in seinem Buch „Wenn Mauern fallen“ beschreibt: Das langjährige Politbüro-Mitglied Alfred Neumann richtete an Honecker diese harten Worte „Als du, Erich, 1971 die Funktion von Walter Ulbricht übernahmst, da hast du eine kampffähige Partei und kaum Auslandsschulden vorgefunden. Und was ist heute?“ Nun. Wenige Wochen später fiel die Mauer und mit dem 3 Oktober 1990 war die DDR Geschichte.
Kommen wir zum Abschluss-Befund. Um der Gefahr des wirtschaftlichen Ausblutens zu begegnen, machten die politisch (be)-Handelnden am 13.August 1961 alle Grenzen dicht. Sie setzten auf Abschottung, was anfänglich auch eine gewisse ökonomische Stabilisierung der DDR bewirkte. Im späteren Verlauf komplizierte sich ihr Zustand wieder, was auf den Mangel von demokratischen Mindestbedarfen, so auch fehlender Reisefreiheit, zurückzuführen war. Hätten man sich in dieser Frage noch früher, konkret dem Artikels 13 der UNO-Menschenrechtserklärung von 1948 verschrieben – vielleicht wäre die DDR dann zu retten gewesen. Hier ist der betreffende 2. Absatz des Artikel 13: “Jeder hat das Recht,jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren“. Dazu kam es nicht. An jenem Punkt war die (Aus)-Blutung dann nicht mehr zu stoppen. Und der Apparat war machtlos. Daher war der 13. August 1961 wohl nur eine lebensverlängernde Maßnahme.
Autor: René Lindenau