Der Krieg hat ein männliches Gesicht. Das Weibliche ist sein Pendant und verkörpert die sanfte Gegenseite. Doch das Verhältnis der Geschlechter wandelt sich. Schon der Blick in die Vergangenheit musste korrigiert werden. Auch Frauen waren kämpfend an Schlachten beteiligt. Neben der sanften Aphrodite stand schon immer die wehrhafte Athene, die die Gorgo im Schild führte. Der Film „Dreams’ Gate” richtet den Blick nach Nordsyrien.
Sie stehen an vorderster Front, agieren mit schweren Waffen, liegen im Dreck. Sie akzeptieren Hierarchien und ein militärisches Reglement. In jedem Moment setzen sie ihr Leben aufs Spiel. Doch ein Spiel war es nie unter der rigiden, religiös verbrämten Herrschaft nie. Augenblicke gewohnt-zarter Weiblichkeit erscheinen, wenn die Frauen sich gegenseitig das Haar kämmen. Erschütternde Vertrautheit entsteht, wenn sie ihre Wunden zeigen.
Negin Ahmadi ist undercover in Nordsyrien unterwegs. Die 1989 geborene Kurdin mit iranischen Wurzeln begleitet eine Gruppe junger Kämpferinnen in der Region Ar-Raqqa und sucht für sich selbst nach Antworten in einem Krieg, in dem es um mehr als Gebietsgewinne geht. Der Kampf gegen ein alles reglementierendes Regime ist ein Kampf um die eigene Würde und um die Idee der Selbstbestimmung. Es ist das Heraustreten aus dem Besitz und dem Besetzt-Sein. Doch die (innere) Befreiung ist blutig und brutal, denn sie wird mit Waffengewalt erkämpft.
Wer ist diese junge Frau, die inkognito in ein hochumkämpftes Gebiet reist? Warum setzt sie sich diesen Gefahren aus? Weshalb riskiert sie ihr Leben? Der Film versucht, Antworten zu finden. Das Ergebnis bleibt offen. Die Zuschauenden sind selbst gefragt und müssen für sich Position beziehen. Ahmadi lässt sie an den eigenen Fragen teilnehmen.
Negin Ahmadis studierte an der Imam Khomeini Universität in Qazvin Wirtschaftswissenschaften. Derzeit ist sie an der Iranian Youth Cinema Society, einer gemeinnützigen iranischen Bildungsinstitution, Studentin. Anlässlich ihres Debüts sagt sie, dass sie selbst auf der Suche nach ihrer verlorenen Identität sei und Fragen nach Macht und der Bedeutung von Weiblichkeit nachgehen wolle.
Die kurdischen Kämpferinnen seien im arabischen Raum zu Symbolen für Macht und Freiheit geworden. Das habe sie interessiert. Doch die Wahrheit selbst sei viel komplizierter. Heldinnentum nach dem männlichen Muster des Heldentums reiche als Erklärung nicht aus, hat die junge Regisseurin nach sechs Jahren Arbeit an ihrer ersten Produktion festgestellt.
Frauen gibt es seit den 1970er Jahren in den Reihen der PKK. Zunächst waren sie nur vereinzelt und in kleineren Gruppen vertreten. Das traditionelle Rollenverständnis sah keine politische Arbeit für Frauen vor und sah sie auch nicht an der Waffe im Kampf. Jetzt gibt es Kommandantinnen, die über jahrzehntelange Kampferfahrung verfügen. Sie sind Teil einer neuen Geschichte und eines neuen Selbstverständnisses. Zu dieser Geschichte gehören auch Identifikationsfiguren wie Gülnaz Karataş und Zeynep Kınacı.
In ihrem 65-minütigen Dokumentarfilm verfolgt Negin Ahmadis dieses Narrativ nicht. Sie beobachtet die einzelnen Frauen und ihre Zusammenarbeit in der konkreten Situation sensibel. Die vom Iran, von Frankreich, Norwegen und den USA finanzierte Produktion wurde in Kurdisch und Farsi gedreht. Sie entzieht sich damit einerseits der Außenansicht, bleibt aber andererseits bei aller Nähe dennoch auf Distanz. Das ermöglicht die Auseinandersetzung mit der Situation und nimmt die Bewertung nicht vorweg.
Indem der Film in der Generation-Sektion auf der Berlinale läuft, öffnet er den Blick auf bestehende und sich auch perspektivisch auswirkende Herausforderungen in einem Teil der Welt, der immer näher heranrückt und nicht mehr negiert werden kann.
„Jin – Jiyan – Azadî“ – „Frauen, Leben, Freiheit“ ist eine Losung der Arbeiterpartei Kurdistans. Von Anfang an kritisierte sie patriarchale Strukturen und machte die männlich dominierte Gesellschaft für Missstände verantwortlich. Eine neue Ordnung sei nur denkbar, wenn Männer und Frauen gleichgestellt wären. So war es nur folgerichtig, dass Frauen auch in der Armee ihren Platz einnahmen.
Davon sind die Verhältnisse in Nordsyrien weit entfernt. Nach der Ermordung von Jina Amini in Teheran, sind die Forderungen noch einmal verstärkt in den Fokus gerückt. Rojava mit seinen Kantonen Cizîre, Efrîn und Kobanî ist zu einem Symbol der Hoffnung geworden. In Frauendörfern wie Jinwar bestimmen Frauen über die Strukturen. Mit der Fraueneinheit YPJ kämpfen sie gegen den IS und seine fundamental-islamistische Ideologie.
Die Gleichsetzung von Weiblichkeit mit Gewaltlosigkeit ist schon lange obsolet. Von einem Teil der zweiten Frauenbewegung in den 1960er Jahren wurde sie noch vertreten, gegeben hat es sie nie. Schon damals entlarvten Frauen das Narrativ, indem das Weibliche sich einerseits unschuldig und andererseits schutzlos geben konnte. Es zeigte sich das Bigotte einer Zuschreibung, die ursprünglich inszeniert wurde, um Frauen zu unterdrücken.
Um „Darvazeye royaha“ zu verstehen, muss man auch einen Teil der Geschichte der PKK begreifen und anerkennen, was die Gleichberechtigung der Geschlechter für die kurdische Bewegung bedeutet. Das macht den Film von Negin Ahmadi so vielschichtig.